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Marlene Bellissimo fotografiert sich selbst zwischen antiquarischem Mobiliar in einem Spiegel.
Die Autorin Marlene Bellissimo macht ein Selfie.
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In einem lauten Raum zu singen

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Wie ich meine neue Stimme durch Transition fand
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Auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) 2023 in Maryland (USA) sagte der konservative Kommentator Michael Knowles, dass „Transgenderismus vollständig aus dem öffentlichen Leben getilgt werden muss“. Außerdem wurden in den letzten Jahren 537 transfeindliche Gesetze in den USA vorgeschlagen. Was als „Protect the Children“ begann bis hin zu einem Verbot der medizinischen Versorgung von trans Dingen für Minderjährige (was gegen die Meinung der großen medizinischen Organisationen des Landes verstößt), hat dazu geführt, dass es in einigen Bundesstaaten nahezu unmöglich ist, in jedem Alter als trans Person zu leben, mit oder ohne medizinische Verfahren.

Das ist nicht neu – in Staaten wie Florida kann man sich an Anita Bryant und ihre Anti-Schwule/Lesbische-Rhetorik in den 1970er- bis 1980er-Jahren erinnern – ihre Organisation hieß „Save Our Children“. Jetzt sind trans Personen das Ziel. Und vor kurzem wurde in Florida ein Gesetz verabschiedet, das es trans Personen verbietet, öffentliche WCs ihres Geschlechts zu benutzen, selbst wenn ihre Dokumente geändert wurden. Aber die USA sind nicht das einzige Land, in dem die Transphobie zunimmt. Tatsächlich gibt es schon ähnliche transfeindliche Argumente auch in Deutschland.

Das Selbstbestimmungsgesetz

Der derzeitige Prozess für Namensänderungen kann für viele trans Personen sehr schwierig sein. Der neue Entwurf für einen Ersatz (das Selbstbestimmungsgesetz – SBG) macht die Dinge zwar besser, liegt aber auch weit hinter anderen Ländern zurück: Es gibt (im aktuellen Entwurf) eine dreimonatige Wartezeit und eine scheinbar vage Formulierung zum Hausrecht im Zusammenhang mit dem SBG. Die Diskussionen von Politiker*innen darüber, ob trans Frauen aufgrund ihrer „äußeren Erscheinung“ (trotz ihres Geschlechts­eintrags) der Zutritt zu Frauensaunas verwehrt werden könnte und wie dies mit bereits bestehenden Antidiskriminierungsgesetzen kollidiert (und wie das durchgesetzt werden soll), unterscheiden sich nicht wesentlich von dem, was in Florida passiert. In den USA gibt es viele Geschichten von cisgender (nicht trans) Frauen, die auf öffentlichen WCs belästigt werden, weil sie „nicht weiblich genug“ aussehen. Die strenge Kontrolle des Geschlechts betrifft uns alle. Und was die angebliche Bedrohung durch trans Frauen in Frauensaunas angeht (oder, um bestimmte Argumente anzusprechen, „angebliche Männer“ lügen und missbrauchen das SBG): Wenn es eine Bedrohung gäbe, wäre das in den 19 Ländern, die Gesetze wie das SBG haben, längst bemerkt worden – aber das ist nicht der Fall.

Nicht aufgeben

Ich habe meine Transition parallel zu dieser Anti-Trans-Hysterie begonnen. Wenn sie mit Hass konfrontiert werden, haben trans Personen zwei Möglichkeiten: aufgeben (indem sie „im Schrank bleiben“… oder sterben) oder eben gerade nicht. Aber ich wusste schon – ich hatte mein ganzes Leben lang schon versucht, meine Gefühle zu ignorieren, doch das konnte ich nicht mehr.

Als Komponistin, die ich oft meine eigenen Lieder performe, war ich sehr besorgt, wie es mit dem Singen für mich weitergehen würde. Also habe ich eine neue Stimme aufgebaut.

Das Analysieren von Aufnahmen, das Aufnehmen meiner Stimme und das ständige Training mit Übungen aus dem Internet (zum Beispiel Trans Voice Lessons auf YouTube) haben mir sehr geholfen. Und schließlich konnte ich eine logopädische Therapie machen, um wieder zu lernen, mit meiner neuen Stimme Deutsch zu sprechen.
Die Einnahme von Östrogen verändert deine Stimme nicht, und auch wenn einige eine Feminisierungs-OP an der Stimme vornehmen lassen, müssen viele trotzdem Logopädie machen. Durch alles, was ich gemacht habe, habe ich gelernt, wie flexibel die menschliche Stimme ist.

Nachdem ich mich beim Sprechen endlich wohl fühlte, dauerte es aber noch einmal eine ganze Weile, bis ich singen konnte. Es ist für mich schwierig zu beschreiben, wie es sich anfühlt, seine Stimme von Grund auf neu zu erschaffen und gleichzeitig das Gefühl zu haben, dass das, was man geschaffen hat, schon immer die eigene Stimme war.

Vielfalt an Stimmen

Eine Stimme zu haben, kann auch eine Frage der Sicherheit sein. Für trans Personen kann eine Stimme auch vor transfeindlicher Belästigung und Gewalt schützen.
Trans Frauen haben, genau wie cis Frauen, eine große, wunderbare Vielfalt an Stimmen. Und in einer Gesellschaft, die den Personen oft unterdrückerische Geschlechterrollen auferlegt, ist die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wer man ist – eine starke Entscheidung.

Ich habe immer noch meine ältere Stimme. Zwischen Bariton und Alto gibt es eine große Bandbreite, und zu lernen, wie ich das „Geschlecht“ meiner Stimme beeinflussen kann, hat mir nicht nur eine Reihe von Werkzeugen gegeben, mit denen ich Musik als Komponistin schreiben kann, sondern auch mein Leben gerettet.

Neulich habe ich zum ersten Mal seit drei Jahren wieder in der Öffentlichkeit gesungen. In der U-Bahn hörte ich mir danach die Aufnahme meines Auftritts an, hörte mich, wirklich mich, zum ersten Mal selbst und stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus.

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