Das Bundesjugendorchester ist das älteste der drei Jugend-Ensembles in Trägerschaft des Deutschen Musikrates. Ausgewählte Nachwuchsmusiker*innen im Alter von 14 bis 19 Jahren erhalten dort eine außergewöhnliche Förderung und erarbeiten während der intensiven Arbeitsphasen anspruchsvolle sinfonische Kompositionen aus allen Epochen. Auch zeitgenössische Werke und Uraufführungen gehören zum festen Bestandteil der Orchesterarbeit. Als „Kulturbotschafter“ der Bundesrepublik Deutschland tourt das Bundesjugendorchester durch Deutschland und die ganze Welt. Die Mitgliedschaft im Bundesjugendorchester (BJO) ist eine der Anschlussförderungen für Erste und Zweite Bundespreisträger*innen Jugend musiziert. 85 Prozent der aktuellen BJO-Besetzung sind Erste, Zweite oder Dritte Bundespreisträger*innen Jugend musiziert. Sönke Lentz, der langjährige Orchesterdirektor, erläutert im Gespräch die Geschichte des Bundesjugendorchesters (BJO), sowie die Verbindung von Jugend musiziert und dem BJO.
Und nach dem Bundeswettbewerb?
Jugend musiziert: Wie ist denn das Bundesjugendorchester entstanden?
Sönke Lentz: 1969 wurde das Bundesjugendorchester von Peter Koch, einem Musikpädagogen und Schulmusiker aus Osnabrück, aus der Überzeugung heraus gegründet, dass es ein Auswahlorchester geben muss. Ein bundesweites Auswahlorchester, das helfen sollte, den Nachwuchsmangel im Bereich Orchesterspiel zu lindern. Wie bekannt, war nach dem Krieg ein Großteil der künstlerischen Eliten entweder vernichtet oder vertrieben worden. Jetzt stellte man sich die Frage, wo finden wir junge Talente, den Nachwuchs? Das war ja auch eine Gründungsmotivation des bundesweiten Musikwettbewerbs Jugend musiziert; die Talente zu finden, die es ja irgendwo geben muss. Trotz des ähnlichen Gründungsimpulses war das Bundesjugendorchester damals noch nicht institutionell mit Jugend musiziert verbunden. Peter Koch hat die Gründung des Bundesjugendorchesters mehr oder weniger im Alleingang durchgezogen. Er holte Volker Wangenheim dazu, der über viele Jahre die Dirigierprofessur an der Kölner Musikhochschule innehatte und neben anderen Tätigkeiten auch das heutige Beethoven Orchester Bonn leitete. Von der Gründung des BJO ist ein netter Satz Wangenheims an Peter Koch überliefert: „Du bist zwar verrückt, aber wir machen das.“
Erst einige Jahre nach seiner Gründung hat der Deutsche Musikrat das Bundesjugendorchester unter sein Dach genommen, wie mir der inzwischen verstorbene Peter Koch vor einigen Jahren erzählte. Daraufhin wurde eine Konstruktion entwickelt, dass Jugend musiziert und das Bundesjugendorchester zusammen zu denken sind, dass beide Förderungen aufeinander aufbauen und das BJO so als Anschlussmaßnahme von Jugend musiziert gelten kann. Die Jugendlichen, die durch Jugend musiziert gefunden werden, können sich im Bereich Orchestermusizieren durch das BJO weiter fortbilden. Diese Struktur wurde dann einige Jahre später um das Bundesjazzorchester erweitert und vor drei Jahren für die Vokalmusik um den Bundesjugendchor. Eine Förderung im Bereich der Kammermusik stellt der Deutsche Kammermusikkurs Jugend musiziert dar.
JM: Das BJO wirkt doch aber auch noch weiter nach bei den jungen Erwachsenen, die das Orchester aus Altersgründen verlassen müssen. Haben sich ehemalige BJOler*innen zu anderen Ensembles zusammengeschlossen?
Lentz: Man kann sagen, dass durch Jugend musiziert und die große Motivation, die das BJO als Ensemble auslöst, weitere Ensembles entstanden sind. Musiker*innen, die nach ihrem Ausscheiden aus dem BJO beschlossen haben, weiterhin Musik machen zu wollen, haben das damalige Bundesstudentenorchester gegründet, heute Junge Deutsche Philharmonie. Aus diesem Kern von Musiker*innen sind dann noch weitere Ensembles entstanden. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Resonanz, auch das Ensemble Modern kann man in gewisser Weise dazu zählen, genau wie das Freiburger Barockorchester. Viele dieser Ensembles haben ihren Motivationskern im BJO.
JM: Wie gestaltet sich heute die Verbindung zu diesen Ensembles?
Lentz: Inzwischen liegen ja Generationen zwischen diesen Musizierenden und den aktuellen BJOler*innen!. Aber es gibt den freundschaftlichen, institutionellen Kontakt und eine Verbundenheit zum BJO. Das spüre ich immer wieder. Wir sind gerade dabei, unser Alumni-Netzwerk zu stärken. Auf diese Weise werden wir viele der ehemaligen und aktuellen Mitglieder dieser Ensembles auch wieder näher an das BJO heranführen.
JM: Wie kommt man denn ins BJO, wenn man bei Jugend musiziert mit einem Bundespreis ausgezeichnet wurde?
Lentz: Für Streicherinnen und Streichern gibt es die Regelung, dass ein Erster oder Zweiter Bundespreis Jugend musiziert den Weg öffnet ohne Probespiel ins Bundesjugendorchester aufgenommen zu werden. Allerdings ist über die Jahre das Interesse am BJO immer weiter gestiegen, sodass wir nicht umhinkommen, auch diesen Bundespreisträger*innen Probespiele zu empfehlen. Die Musiker*innen, die unser Probespiel bestanden haben, haben immer Vorrang vor denen, die wir nicht kennen und die sozusagen direkt über die Jugend musiziert-Liste zu uns kommen.
JM: Das bedeutet, dass jemand, der trotz Bundespreis zum Probespiel kommt, bessere Chancen hat?
Lentz: Genau. Wir können einfach diejenige oder denjenigen, die wir gehört und ein wenig kennengelernt haben, noch besser einschätzen. Und es kommt über das Jugend musiziert-Ergebnis hinaus ja im Orchester noch auf weitere Fähigkeiten an.
JM: Aber alle Mitglieder müssen dann noch eine Probearbeitsphase absolvieren?
Lentz: Ja, alle haben diese erste Probearbeitsphase und das Ergebnis von Jugend musiziert spielt dann im Orchester keine Rolle mehr. Wer erstmal den Eintritt ins Orchester geschafft hat, der gehört dem Orchester an. Man muss in Deutschland leben oder man kann eine deutsche Nationalität haben und im Ausland leben, das sind die Voraussetzungen. Hin und wieder spielen zum Beispiel auch Musiker*innen von den Deutschen Schulen im Ausland beim BJO mit.
JM: Wir sprachen eben von den Streicherinnen und Streichern. Wie sieht es bei den anderen Orchesterinstrumenten aus?
Lentz: Die Plätze im Orchester für Bläser, Schlagzeug und Harfe sind so begrenzt, dass wir gar nicht so viele Musiker:innen aufnehmen könnten oder auch gar nicht wüssten, wen wir aufnehmen sollten, wenn etwa mehrere Bundespreisträger:innen Flöte mitspielen wollen würden, wir aber nur drei Plätze haben. Deshalb ist bei diesen Instrumenten das Probespiel weiterhin Pflicht.
JM: Während der Arbeitsphasen und Tourneen werden immer mal wieder Kammermusikkonzerte von den BJOlern gegeben. Wie finden sich diese Ensembles zusammen oder haben die schon vorher existiert?
Lentz: Es gibt beides. Da hat auch Jugend musiziert einen großen Einfluss. Erstens dadurch, dass bei Jugend musiziert so viel Kammermusik stattfindet. Wenn dann jemand aus so einem Kammermusikensemble ins BJO eintritt, gibt er oder sie die Motivation weiter an seine Mitspieler*innen, auch ins Orchester zu kommen. Und zweitens, wenn wir Kammermusikkonzerte veranstalten, wie etwa im Januar in Dänemark oder im vergangenen Jahr in Slowenien, Schulkonzerte oder auch Konzerte im Rahmen unserer Förderpartnerschaften, etwa bei der DekaBank, dann sind das oftmals auch Jugend musiziert-Ensembles, die sich gegründet haben, bevor alle im BJO waren. Schönerweise haben es dann alle ins BJO geschafft und können bei uns auch ihre Kammermusikformation weiter pflegen. Es gibt aber auch Ensembleneugründungen aus Mitgliedern des BJO. Oftmals halten diese Formationen übrigens auch ein Leben lang.
Die Frühjahrstournee des BJO
Das alljährliche Konzert mit den Berliner Philharmonikern, seit 2013 Patenorchester des Bundesjugendorchesters, bei den Osterfestspielen in Baden-Baden hat längst Kultcharakter. Musiker*innen beider Spitzenensembles sitzen Pult an Pult und jede*r im Publikum hört die besondere Energie, die zwischen den bewunderten Profis und dem vielversprechenden Nachwuchs fließt. Antonín Dvoráks Serenade für Streicher E-Dur op. 22 wird ohne Dirigent aufgeführt. Der Konzertmeister beziehungsweise die weiteren Mitglieder der Berliner Philharmoniker leiten von den Stimmführerplätzen aus das Orchester bei diesem Werk.
Gemeinsam mit der unter anderem an der Mailänder Scala gefeierten Opernsängerin Wiebke Lehmkuhl stehen noch Werke von Richard Wagner, Alma Mahler und Richard Strauss auf dem Programm, dirigiert von Elias Grandy.
Auf der sich anschließenden Frühjahrstournee gastiert das BJO in Köln (5.4.), Wiesloch (6.4.), Villingen-Schwenninge (7.4.), Hamm (9.4.) und Osnabrück (10.4.).
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