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Vier Bilder in einem: Von Sängern, Schlussapplausen, einer moderierenden Frau und noch einem Schlussapplaus

Vielseitiges Festival. Oben vlnr: Tobias Berndt, Thomas Quasthoff, Alexander Fleischer, Christoph Prégardien. Unten vlnr: Jan Philip Schulze, Olivia Vermeulen, Jonathan Ware, Siobhan Stagg. Foto: K. Gebauer

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Als flögen wir nach Haus

Untertitel
Zum vierten Mal „Festival Lied in Würzburg“
Vorspann / Teaser

Mozart hat in Würzburg nur einen Kaffee getrunken, aber das Lied war hier immer zuhause. Und dennoch reibt man sich verwundert die Ohren, was Lieder alles sind, was Lieder alles können und wie gut das mit den Liedern gerade gemacht wird. Bei der vierten Auflage von Festival Lied im März 2023 in Würzburg war alles schöner, mehr und besser als wir es je in Erinnerung hatten. Was Festival-Leiter Alexander Fleischer an Vielfalt und Qualität vorführte, lässt sogar von einem neuen, lebendigen Publikum träumen: Auch wenn noch nicht alle Konzerte ausverkauft waren, so klang die Aufmerksamkeit der Hörenden, ihre atemlose Stille und ihre begeisterte Resonanz noch lange mit den Liedern nach.

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Und was war das für eine Lieder-Welt, die hier präsentiert wurde! Es begann an einem Vorabend mit den Preisträgern des diesjährigen Würzburger Seraphin-Wettbewerbs; die Mitte bildete das Abschlusskonzert derer, die sich an dem inspirierenden Meisterkurs von Thomas Quasthoff beteiligt haben: Junge Sänger und Sängerinnen mit vielversprechenden Stimmen und einem erstaunlichen Ausdruckspotential samt ihren Kongenialen, dass einem um die Zukunft des Liedes nicht bange sein muss.

Im ersten Teil des Festivals ließ der Mann am Klavier eine prachtvolle Parade junger Baritone aufmarschieren: Manuel Walser komponierte mit seiner wohlig einpackenden Stimme eine reif-gesättigte und tief-gespannte Cuvée der romantischen Liebe mit Liedern von Brahms, Strauss und Rachmaninov, deren Schwere im zweiten Teil durch wohldosierten Einsatz des schelmischen Registers aufgelockert wurde. Tobias Berndt entfaltete die Liebes-Romanze der „Schönen Magelone“ von Brahms, sonor gelesen von Thomas Quasthoff, aus einem lyrischen Ansatz, der in der bestrickenden Poesie des „Ruhe, Süßliebchen“ auf seinen geradezu traumatischen Punkt kam, die ganze lied-dramatische Palette, mit der der Komponist den Stoff übermalt hat. Alexander Grassauer bewies mit dem feinen und differenzierten Einsatz seiner expansiv-expressiven Stimme, warum Schuberts Lieder doch die Königsdisziplin des Liedgesangs und eine Welt für sich bleiben. Auf ganz eigene Weise führte Christoph Prégardien das Hören in den Traum(a)wald der tödlichen Romantik, indem er eine Gruppe von Schulze-Liedern Schuberts mit Wolfgang Rihms „Ende der Handschrift“ auf Gedichte von Heiner Müller verschränkte, bevor er es in den magischen Eichendorff-Liederkreis von Schumann hineinzog. Am Klavier jeweils der Intendant selbst, der jenseits der fleißigen Hausfrau und des eilfertigen Managers jedem Sänger einen ganz eigenen begleitenden Partner zur Seite stellt. Wie er etwa in der Zugabe zum Traumwald die magische Harfe von Nacht und Träume ertönen und nachbeben ließ, gab den lauschenden Ohren einen mystischen Augenblick von Heimat.

Der zweite Teil des Festivals gehörte den Sängerinnen und damit merkwürdigerweise auch einer anderen Art, einen Liederabend zu programmieren. Zum einen gab es zwei atmosphärisch dichte Arrangements: Aleksandra Ny­gaard Djordjevic und Dmitrii Zhovkoskii präsentierten mit ihrem Programm Nordlicht nordische Imaginationen von Grieg und Gösta Nystroem, getaucht in Licht und Projektion, das sie mit Poes (Alp-)Traumgesicht vom Sleeper in der Vertonung von George Crumb abschlossen. Carolina Ullrich und Marcelo Amaral verkörperten unter dem Motto Emoción in Wort und Ton spanisch temperierte Charakterbilder und maskiert-stilisierte Emotionen der Shakespeare-Zeit, die Dominick Argento bis in die Frühlingsrufe der Vögel musikalisiert hatte, bevor sie mit deutschen Liedern von Grieg in der vermeintlichen Muttersprache des Kunstlieds sangen.

Mit ihrem Programm Origins gehen Siobhan Stagg und Jonathan Ware im Sinne einer durchkomponierten Kantate über einen Liederabend hinaus zu einem überwältigenden Exerzitium in Ekstase vom „O“ bei Hildegard von Bingen bis zum „A“ bei Nikolai Medtner; so aktuell das Nachdenken über den Menschen in der Schöpfung ist, so einleuchtend beweisen die beiden, wie das gegenseitige Resonieren sich in Stimme und Singen entfaltet. Olivia Vermeulen und Jan Philip Schulze verschmelzen in Dirty Minds unterschiedlichste Gesichter, Gesten, Töne und Stimmen zu etwas, das als CD ein Konzeptalbum hieße, auf der Bühne aber wirkt wie eine in sich drehende musiktheatrale Skulptur; atemberaubend gestaltet sich die Kunst des Übergangs über den Abgründen. Im ausverkauften Nachtkonzert zogen Alexander Fleischer, Mirella Hagen und Peter Schöne als Bariton an der Violine alle Register der musikalischen Nacht, schlichen sich verführerisch aus dem Off und im traumverlorenen Duett in die hörenden Ohren und Herzen und ließen in nächtlichen Psychogrammen vergessen, dass die Nacht auch zum Schlafen da sein könnte. Mit einem Lieder­abend entwerfen die Ausführenden nicht nur ihr eigenes Doppelselbstporträt, sondern gestalten auch die nicht selbstverständlichen Musik-Räume der Stadt zu gemeinsamen Hör-Bühnen mit ihrem Publikum. Diesen Raum so weit geöffnet zu haben, verdankt sich der besonderen Initiative von Steffen Zeller vom TKV Würzburg und dem neu gegründeten Förderverein, dem Mirella Hagen ihr Gesicht gegeben hat. Stadt und Leute sind aufgerufen, diese kulturelle Biosphäre zu bewahren, damit das Lied in Würzburg auch weiter ein Heimspiel hat.

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