Drei Tage am Rand der fränkischen Schweiz, das klingt nach Vollpension mit Blick über im Morgennebel aufgehender Landschaft. Die ehrenamtlichen Funktionsträger des DTKV, die für den Verband in unterschiedlichen Bundesgremien und Funktionen tätig sind, hatten in Kloster Banz aber weniger einen Ausblick in Kategorien von Naturbetrachtung im Sinn als den Ausblick auf die Möglichkeiten der eigenen Verbandsarbeit. In einem von der Hanns Seidel Stiftung geförderten Seminar trafen sich die DTKV-Verbandsvertreter*innen zum aktuellen Thema „Neustart Kultur. Verbandsarbeit nach Corona“.
Zu den Referent*innen des Treffens, die Einblicke in ihre jeweiligen Arbeitsbereiche gewährten, gehörten DTKV-Präsident Prof. Christian Höppner („Probleme der Verbandsarbeit in und nach der Coronakrise“), Uwe Müller aus Berlin („Digitalisierung von musikalischen Fortbildungsangeboten“), Bundes-Schriftführer Christian Seibert aus Frankfurt/Oder (Workshop zu Forderungen der Mitglieder an moderne Verbandsarbeit) sowie Bundes-Schatzmeister Wilhelm Mixa, Passau („Ebenen der Interessenvertretung für Musikberufe“). Ralf Püpcke, DTKV-Geschäftsführer aus Baden-Württemberg stellte darüber hinaus beispielhaft die Pläne für das „Konzerthaus 4.0“ in Stuttgart vor. Um Öffentlichkeitsarbeit ging es in dem Vortrag von Stephanie Schiller, der hier auszugsweise nachzulesen ist.
Öffentlichkeitsarbeit – mehr als Marketing
Öffentlichkeit ist für Künstler*innen ein Zustand, in den einzutauchen sie nicht nur gewohnt sind, sondern der ihnen auch eine gewisse Lust bereiten sollte. Der Soziologe Richard Sennett weist darauf hin, dass die Künstler*in spätestens seit dem 19. Jahrhundert zu einer öffentlichen Person geworden ist. In seinem Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ (Fischer, 1998) erklärt Sennett dies etwa damit, dass Künstler*innen – im Gegensatz zur normalen Bevölkerung – die „Ausstülpung persönlicher Ansichten und Gefühle“ nicht zurückhalten könnten. Wer Kunst macht, kann nicht anders, als Kunst zu machen. Von dieser Idee des Genialen sind wir seit Beuys in einem Teilbereich der Künste abgerückt, in der Musik hält sie sich hartnäckig. Als Personen der Öffentlichkeit sind Tonkünstler*innen – und mit ihnen darstellende Künstler*innen – also auch in besonderem Maß in öffentliche Wahrnehmung eingebunden. In Theatern und Konzertsälen spielt hier eine gewisse Gleichzeitigkeit eine Rolle. Was das Live-Geschäft angeht, sind Künstler*innen und Publikum praktischerweise gern zur selben Zeit am selben Ort, um das, was die einen mit den anderen teilen wollen, auch teilen zu können. Es gibt aber auch ungleichzeitige Möglichkeiten, öffentlich in Erscheinung zu treten, die Angebote zeitversetzter medialer Inszenierungen sind vielfältig und variabel. Es lässt sich Tonkünstler*innen also eine notwendige wie intensive Beziehung zur Öffentlichkeit unterstellen, mit der auch ein besonderes Maß an „Verflechtet-Sein“ einhergeht. Das Sprechen über Öffentlichkeitsarbeit ist vor diesem Hintergrund mehr als eine bloße Frage von Marketing.
„Mit Seelenleben und Meinung auf dem Platz“
Von einer „eigenen Sache“ zu sprechen scheint also adäquat, weil ein Verband wie der Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV) für so etwas wie eine eigene Sache von Musiker*innen steht. Um sie zu vertreten, wurde er gegründet, erst 1844 in Berlin, dann als Zusammenschluss von Vereinen in Berlin, Hamburg, Leipzig und München. 1903 schließlich als Zentralverband deutscher Tonkünstler und Musiklehrer (damals präsentierte sich der Verband noch national und männlich). Doch für einen Verband, in dem sich öffentlich agierende Personen zusammengeschlossen haben, hat Öffentlichkeitsarbeit, wie ich denke, immer auch die Option, über die eigene Sache hinauszugehen. Das hieße auch, die Öffentlichkeit als ein sich veränderndes Gefüge in den Blick zu nehmen. Die weltweite Pandemie – verstanden als ein Ereignis von höchster Öffentlichkeitswirksamkeit, mündet längst in einen auf allen Kontinenten um sich greifenden Aufruhr. Zurecht geraten (fast) überall bestehende Ordnungen ins Wanken. Im Iran demonstrieren nicht nur die Frauen gegen das Mullah-Regime, der Krieg in der Ukraine trifft Wohlstandgesellschaften wie die deutsche ins wirtschaftliche Mark, Atombombendrohungen eines despotischen Endzeitpolitikers stehen neben einer Veto-Politik, die völkerrechtliche Zusammenarbeit aufkündigt – um nur einige Beispiele zu nennen. All die Gewalt, die wir eurozentriert nur am Rande wahrnehmen, ist hier noch gar nicht aufgezählt. Erwähnung finden sollen aber zwei Fluchtpläne, die derzeit geschmiedet werden: Die bereits projektierte Errichtung eines Forschungslabors auf dem Mond sowie die Pläne eines Elon Musk zur Besiedelung des Mars. Öffentlichkeit(en) sind, so viel ist zu erkennen, also stets konstruiert, was auch für einen Tonkünstler*innen-Verband eine Herausforderung darstellt.
Ein wichtiger Aspekt von Öffentlichkeit ist, dass sich an öffentlichen Orten Fremde begegnen. In Opernhäusern, Theatern, Kaffeehäusern, Clubs, im Internet... Öffentlichkeit ist also immer auch ein Ort der Unsicherheit. „Ich arbeite in der Gefahr“, sagt Helge Schneider in der ZDF-Doku „Mühlheim–Texas“ aus dem Jahr 2020. Er gehe stets „mit Seelenleben und Meinung auf den Platz“. Trotz der Gefahr, die Helge Schneider mit dem öffentlichen Auftreten verbindet, entspricht er als Performer aber ebenso der Kosmopolit*in, wie Richard Sennett sie in der Geschichte ausgemacht hat – Gefahr hin oder her. Demnach ist kosmopolitisch „ein Mensch, der sich mit Behagen in der Vielfalt bewegt; er fühlt sich in Situationen wohl, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem Vertrauten haben.« Wenn es darum geht, in die Öffentlichkeit hinauszutreten, scheint diese Kosmopolit*in der „perfekte Öffentlichkeitsmensch (...) – ob mit oder ohne Behagen“. Manchen ist von der antiken Agora, dem öffentlichen Platz, auf den Tonkünstler*in wie Kosmopolit hinaustreten, allerdings nur die Phobie geblieben: Das Unbehagen, sich in öffentliche Zusammenhänge zu begeben, der Rückzug ins Private, der mit dem Wunsch einhergeht, sich den Blicken der anderen zu entziehen. Für Tonkünstler*innen ist das Versagen der eingangs bereits erwähnten „Ausstülpung persönlicher Ansichten und Gefühle“ im öffentlichen Raum indes keine aussichtsreiche Alternative, sondern extrem kontraproduktiv. Es ist diese Aufnahme von Beziehungen zum Fremden, in der Sennett sowohl die Erfahrungen, die Menschen im Theater oder im Konzertsaal machen, als auch die Erfahrungen auf der Straße verbunden sieht: „In einer Gesellschaft“, so der Soziologe, „mit einem ausgeprägten öffentlichen Leben müsste es also eine Verwandtschaft zwischen Bühne und Straße geben.“
Diese Verbindung von Bühne und Straße findet in der Öffentlichkeitsarbeit statt. Im englischen Terminus Public Relation, der zeitgeschichtlich schon etwas vor der deutschen Begrifflichkeit erdacht worden war, findet sich die von Sennett angesprochene Beziehungsaufnahme mit dem Fremden noch.
Wie im Deutschen daraus explizit „Arbeit“ wurde? Vielleicht ist dies ein Ausdruck dafür, dass Arbeit hierzulande eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Miteinander spielt, vielleicht auch dafür, dass man hierzulande davon ausgeht, dass es Arbeit macht, Beziehungen zu knüpfen. Beide Begriffe laufen indes auf dasselbe hinaus: Beziehungs/Öffentlichkeits-Arbeit will Sichtbarkeit schaffen. Wie das Rampenlicht auf der Bühne ebenso jenes beleuchtet, was wesentlich zur Geltung kommen soll, wie es jenes im Dunkeln lässt, was nicht gesehen werden soll, ist auch die Öffentlichkeitsarbeit dazu geeignet, den Fokus auf das zu richten, was dazu auserkoren wurde, wichtig zu sein.
Die Frage, die sich allen stellt, die Öffentlichkeitsarbeit für Verbände machen, ist die Frage nach den Ressourcen. Welche Ressourcen braucht Öffentlichkeitsarbeit? Eine erste ist: Zeit. Öffentlichkeit zu sensibilisieren für die Inhalte und Bedürfnisse eines Verbandes, ist Arbeit. Und Arbeit realisiert sich nun mal in der Zeit. Dass diese Zeit in Verbänden oft von Freiwilligen eingebracht wird, macht die Sache nicht einfacher. Die unterschiedlichen Zielgruppen kontinuierlich zu informieren, mediale Inhalte zu produzieren, Veranstaltungen flächendeckend anzukündigen und für Vor- und Nachberichterstattung zu sorgen, in Krisenzeiten schnell und kompetent zu reagieren, Forderungen zu formulieren und Mitstreiter*innen zu finden – das sind Tätigkeiten, die die zeitlichen Kapazitäten von freiwilligen Mitarbeitenden oft überschreiten. Die zweite Ressource einer guten Öffentlichkeitsarbeit ist: Geld. Wer über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, kann mediale Inhalte professionell und schnell produzieren oder produzieren lassen. Reiche Verbände können auf professionelle Mitarbeiter*innen zurückgreifen und sie für ihre Arbeit bezahlen, ärmere nicht.
Überlegungen einer (Teil-)Professionalisierung
Eng damit verbunden ist die dritte Ressource: Kompetenz. Nicht immer muss, um kompetente Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, auf Profis zurückgegriffen werden. Ungezählte Instagram-Auftritte von konzertierenden Musiker*innen sind ein gutes Beispiel dafür, dass man für die eigene Sache auch dann selbst verantwortlich zeichnen kann, wenn man nicht PR sondern Musik studiert hat. Für einen Verband stellt sich diese Frage allerdings umfänglicher. Einen Verband von fast 10.000 Mitgliedern in 16 Bundesländern in der Öffentlichkeit zu positionieren, braucht neben Zeit, Geld und Kompetenz auch Kontinuität, also Ausdauer. Und die ist nebenbei schwer leistbar. Es liegt nahe, hier gegebenenfalls über eine (Teil-)Professionalisierung nachzudenken. Öffentlichkeit herzustellen ist schließlich ein wichtiger Teil von Verbandsarbeit, vielleicht sogar eine der wichtigsten Aufgaben eines Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern.