Mit „Lebensstürme“ entdeckte das Label Sonus Eterna, geleitet durch Masha Dimitrieva, ein bedeutendes Werk der bayerischen Moderne und bringt es nach den ersten Aufführungen 2011 und 2012 erstmals einem größeren Publikum zu Gehör.
Ein Dialog zwischen Tradition und Moderne
Heinz Winbeck: Lebensstürme
Basel Symphony Orchestra. Dennis Russell Davies (Dirigent), Martin Achrainer (Bariton), Maki Namekawa (Klavier), Sonus Eterna 37423
Heinz Winbeck steht zentral im bayerischen Kulturleben der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts und ist doch ganz unbekannt geblieben. Lediglich 27 Kompositionen umfasst das Oeuvre des 1946 in Pifas bei Landsburg geborenen Musikers, denn seine Musik beschreibt Bekenntnismusik und nur eine durchlebte und durchlittene Note schafft es aufs Papier – dafür dann direkt auf die Folien für die Druckvorlagen. Zunächst studierte Winbeck Klavier und Dirigat, wechselte 1969 in die Kompositionsklasse von Harald Genzmer, dessen Unterrichtsweise ihm jedoch zu beschneidend erschien. So wechselte er in die sich mehr mit der Neuen Musik auseinandersetzende Klasse von Günter Bialas. Die Nachkriegsavantgarde interessierte Winbeck, ohne dass er sich mit ihr hätte identifizieren können und so kam der entscheidende Impuls von Wilhelm Killmayer, dass Tonalität und Moderne sich nicht auszuschließen haben, sondern einen Dialog führen können.
Dabei sei das Wort Dialog wörtlich gemeint, denn Winbeck verwies in nahezu jedem seiner größeren Werke auf ihm wichtige Komponisten und Werke, zitierte oder integrierte die Einflüsse, schuf dabei trotzdem keine epigonalen Klischees, sondern schrieb ganz und gar vorwärtsgewandt. Die Musik erscheint wie im Gespräch mit den Kollegen vergangener Epochen. Vor der Öffentlichkeit blieb Winbeck zeitlebens recht zurückgezogen, er komponierte in Abgeschiedenheit und mied auch sonst größere Ansammlungen. Ab 1980 wirkte er als Kompositionslehrer. Als Heinz Winbeck 2019 in Regensburg verstarb, blickte er zurück auf fünf Symphonien, mehrere große Orchesterwerke, einen Liedzyklus und mehrere Kammermusikwerke, vor allem Streichquartette.
Die Lebensstürme entstanden gegen Ende der 2000er-Jahre aufgrund verschiedener Einflüsse: Choreograph Jochen Ulrich wünschte sich ein Tanztheaterprojekt auf Basis von Schuberts Winterreise, Dirigent Dennis Russell Davies wollte den Streicherstücken originale Schubert-Lieder beigemischt wissen – und Ulrich fügte hinzu, dass eine lebenszugewandte Musik als Hinführung zur dramatisch-düsteren Winterreise dienen solle. Da ihm in der Auswahl und Konzeption sonst freie Hand gelassen wurde, sagte Winbeck gerne zu und schrieb einen Zyklus für Streicher, Horn und Baritonstimme mit Aufgriff originaler Schubert-Lieder in eigener Orchestration sowie mit Anlehnungen an die Lebensstürme und das Rondeau brillant sowie Der Tod und das Mädchen. Doch statt eines Potpourris entstand ein in sich funktionierendes und eigenständig modernes Werk, das die Handschrift Winbecks trägt. Die Melodien Schuberts dienen lediglich als Fundament, als Knochen, über denen sich das Fleisch der Komposition entfaltet. Winbeck lässt die Lieder in ganz neuem Glanz erstrahlen durch gekonnte, subtile Instrumentierungen, kommentiert und erweitert sie durch die reinen Orchesterstücke und treibt sie immer wieder ans Limit zwischen absoluter Lebenslust, Resignation und Verzweiflung. Die Musik erscheint luzide durchgehört wie auch klar in der Aussage ohne jegliche überflüssige Note, dabei doch stellenweise geballt verdichtet für besondere Momente, wo auch die tonale Bindung an Grenzen getrieben wird, ohne willkürlich zu zerfasern.
Die Aufnahme entstammt einem neu gemasterten Konzertmitschnitt von 2012 mit dem Basel Symphony Orchestra und Dirigent wie Solisten der Uraufführung: Dennis Russell Davies, dem Bariton Martin Achrainer und Maki Namekawa am Klavier. Dank dem ausführlichen Booklet von Norbert Florian Schuck erfahren wir fundiert über Leben und detailliert auch Schaffen von Heinz Winbeck. Eine vollkommen gelungene Aufführung, die genauso individuell auf die Musik eingeht, wie Winbeck selbst und nicht zwischen „alt“ und „neu“ aufspalten will, sondern die Musik so betrachtet und umsetzt, wie sie ist.
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