Sowohl die Folgen der Coronapandemie als auch die aktuelle Energiekrise bringen viele Soloselbstständige in finanzielle Bedrängnis. Der Deutsche Tonkünstlerverband drängt daher auf die schnelle Umsetzung der von den Kulturministern der Länder empfohlenen Honorarstandards für Künstlerinnen und Künstler. Die Lage freischaffender Musikerinnen und Musiker könnte momentan wahrlich besser sein: Erst belasteten die Coronapandemie und damit einhergehende Einschränkungen die Liveszene – nun sehen sich Musikschaffende finanziellen Belastungen durch die Energiekrise ausgesetzt. Stephanie Schiller sprach mit Prof. Hans-Peter Stenzl, 1. Vize-Präsident des DTKV, über die Bemühungen des Verbands, sich stark zu machen für faire Vergütung.
nmz: „Faire Honorare“ – das klingt erstmal wie ein annehmbarer Slogan. Aber was heißt „fair“ eigentlich? Mindestlohn, so viel wie andere Akademiker oder doch das Lehrerinnengehalt als Marke? Woran orientieren sich „faire“ Honorare eigentlich? Beziehungsweise woran sollten sie sich orientieren?
Prof. Hans-Peter Stenzl: In der Tat: Der Begriff „Faire Honorare“ findet ausnahmslos Zustimmung – bei den empfangenden Künstlerinnen und Künstlern, bei den zahlenden Veranstaltern, bei Politikern, Pädagogen und bei der Frau/dem Mann auf der Straße. Alle sind sich einig: Natürlich sollen Musiker*innen faire Honorare erhalten! „Fair“ hat schließlich mit Ehrlichkeit, Anstand, Gewissen und Gerechtigkeit zu tun, „fair“ heißt ritterlich, sauber, kameradschaftlich, untadelig, ehrenhaft – wer wollte das nicht sein!? „Fair play“ bedeutet im Sport, die Würde des Gegners zu achten, selbst im härtesten Kampf. Da kommen wir dem angestrebten „Fair pay“ doch schon recht nahe, nicht nur im sprachlichen Wortspiel: Der DTKV setzt sich – als ältester und größter Verband für Musikberufe – mit allen Kräften dafür ein, dass die soziale Lage von Musikern verbessert wird, dass die Rechte von Musikern gewahrt werden und dass Musiker von ihrer Arbeit leben können. „Auskömmlich“ muss das Einkommen von Musiker*innen sein, auf jeden Fall gesichert außerhalb einer prekären Lage. Wir brauchen flächendeckend die gesellschaftliche Anerkennung unserer vielfältigen Musikberufe, damit eine „anständige Bezahlung“ zur Selbstverständlichkeit wird.
nmz: Sind Honorare tatsächlich auch Ländersache? Was bedeutet das für Bestrebungen von Musiker*innen, gemeinsam für faire Honorare zu kämpfen?
Stenzl: Kultur ist Ländersache. Der Kulturföderalismus ermöglicht die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und zugleich einen Wettbewerb zwischen Bundesländern mit unterschiedlichen bildungspolitischen Strukturen. Dabei dürfen jedoch bundeseinheitliche Maßstäbe zum Beispiel in puncto Mindeststandards bei Musikerhonoraren nicht außer Acht gelassen werden. Deshalb hat der Deutsche Musikrat eine verbände- und spartenübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit „fairer Vergütung“ in allen denkbaren Aspekten beschäftigt. Und die Kulturministerkonferenz hat eine Honorarmatrix entwickelt, die als Grundlage für länderspezifische Richtlinien dient.
nmz: DTKV-Präsident Christian Höppner in einer Pressemitteilung des DTKV: „Für die in der Sparte Musik bei der Künstlersozialkasse Versicherten ist 2022 ein Bruttojahreseinkommen von 14.191 Euro zu erwarten.“ Wie bitte? Entschuldigung, können Sie das kurz erklären? Vielleicht für alle, die damit liebäugeln, Musik zum Beruf zu machen...
Stenzl: Natürlich ist diese Zahl erschreckend und auch abschreckend! Und da geht es beileibe nicht um Einzelschicksale. Die Künstlersozialkasse (KSK) meldete bereits zum 13. März 2021 einen Versichertenbestand von 55.455 in der Sparte Musik. Die Zahl der in der KSK versicherten freiberuflichen Musiker*innen, Musikpädagog*innen und weiteren Selbständigen mit künstlerischen oder künstlerisch-technischen Tätigkeiten im Bereich Musik erreichte damit einen Höchststand. Aber genau deshalb ist es höchste Zeit, lautstark Lobbyarbeit für unsere Mitglieder zu leisten! Und, ganz klar, auch für den DTKV gilt: Je höher unsere Mitgliederzahl (aktuell: 9.300), desto stärker unsere politische Stoßkraft. Wir sollten in den nächsten zwei Jahren die Schallmauer von 10.000 Mitgliedern durchbrechen...
nmz: Weiter im Text: „Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, dem dringend abgeholfen werden muss.“ Ja! Welche Ideen liegen dazu auf dem Tisch?
Stenzl: Die Arbeitsgruppe „Faire Vergütung“ des Deutschen Musikrates unter der Leitung von Lena Krause, in der ich den DTKV vertrete, hat als Bezugsgröße ein Jahresgehalt von 45.000 Euro angesetzt. Jetzt geht es noch um Einzelheiten bei den Faktoren Betriebskosten, Rücklagen, Arbeitstage und um Vergleiche mit dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD), bevor dem Präsidium des Deutschen Musikrates im März eine Beschlussempfehlung vorgelegt wird. Einmal mehr wird uns da zugutekommen, dass unser Präsident, Prof. Christian Höppner, zugleich der Generalsekretär des Deutschen Musikrates ist. Bei den rasanten Veränderungen in unserer Gesellschaft bin ich im Übrigen froh, dass Lena Krause auch „eine regelmäßige Evaluation der sozialen Lage des Kulturbereichs“ fordert.
nmz: Die Kultusminister-Konferenz hat eine Honorarmatrix entwickelt, um die Honorare für Künstler*innen besser abzusichern. Können Sie diese Matrix so umreißen, dass unsere Leser*innen sie verstehen können? Und: was halten Sie davon? Wird eine solche Matrix wirklich etwas ändern?
Stenzl: Bei dieser Honorarmatrix geht es um die Vergütung selbständiger Künstler*innen bei öffentlich geförderten Projekten. Die Matrix soll den einzelnen Ländern als Grundlage dienen, ihre Honorarempfehlungen konkret auszugestalten, unter Berücksichtigung regionaler Verhältnisse und gewachsener Traditionen. Die Honorarmatrix-Struktur sieht eine Festlegung von Untergrenzen für Basishonorare durch die Länder vor, die so bemessen sein sollen, dass eine Künstlerin oder ein Künstler davon Lebenshaltungs- und Betriebskosten bestreiten und sich auch für Wechselfälle des Lebens absichern kann. Bundesweite Beachtung und Achtung, auch bei anderen Verbänden, finden etwa die von Anja Schlenker-Rapke entwickelten, bereits in sechster aktualisierter Auflage erschienenen Honorarstandards des baden-württembergischen Tonkünstlerverbandes, die auch die pädagogischen Tätigkeiten einschließen.
Die Honorarmatrix dient als Empfehlung, als Richtlinie für Veranstalter und Künstler gleichermaßen. Sie schafft ein Bewusstsein für Mindestgrenzen, für Anständigkeit und für die gesellschaftliche Anerkennung unserer Musikberufe. Sie ändert nichts daran, dass auch in Zukunft jeder einzelne Künstler mit Fingerspitzengefühl und im vergleichenden Ausloten seines „Marktwertes“ seine Honorare durchsetzen muss.
nmz: Es ist ein eklatanter Gap auszumachen – Spitzenhonorare auf der einen Seite, Armutsgrenze auf der anderen Seite. Musik ist im gesellschaftlichen Alltag omnipräsent und wird täglich und flächendeckend konsumiert, sie dient als Unterscheidungsmerkmal für (sozusagen bürgerliche) Karrieren ebenso wie als wichtiger Aspekt entwicklungspsychologischer Bemühungen im gesamten pädagogischen Bereich – und doch findet permanent eine Entwertung der Berufsgruppe statt. Was tun? Doch, analogen Ideen während der Pandemie folgend, in einen Streik treten und einen „Tag ohne Musik“ initiieren?
Stenzl: Jeder Tag ohne Musik wäre ein Irrtum.
nmz: Das Problem der fairen Honorare betrifft vor allem den freien Markt – also freischaffende Musiker*innen, konzertierende ebenso wie unterrichtende. Was die konzertierenden Musiker*innen angeht, wird oft an so etwas wie Solidarität appelliert; heißt: niemand sollte sich unter Wert verkaufen, damit andere nicht unter Wert angefragt werden können. Funktioniert das? Auf der anderen Seite lebt musikalische Bildung zum großen Teil auch von freischaffenden Pädagog*innen – sind sie – honorartechnisch – Freiwild?
Stenzl: Sie waren es eben viel zu lange, was auch mit der „friedlichen Mentalität“ unseres Berufsstandes zusammenhängt. Die Honorarstandards unserer Landesverbände beinhalten selbstverständlich auch Richtlinien für pädagogische Tätigkeiten. Ich engagiere mich vor allem deshalb musik- und verbandspolitisch, um Freiraum und Sicherheit für junge Musikerinnen und Musiker zu schaffen und eine gesellschaftliche Anerkennung eines ganzen Berufsstandes zu erreichen, der gerade, weil er anders tickt, so besonders systemrelevant ist. Ein Zusammenschluss in einem Verband wie dem DTKV fördert natürlich auch die Solidarität untereinander, was wiederum der Stärke des gesamten Berufsstandes zugutekommt. Ein Kreislauf.
nmz: Was raten Sie Ihren Studierenden? Haben Sie die Möglichkeit, sie auf eine selbstbewusste Einforderung „fairer Honorare“ einzustimmen?
Stenzl: Als Professor vertrete ich, durchaus im Clinch mit geschätzten Kolleginnen und Kollegen, unerschütterlich die Meinung, dass sich ein Student im Bachelor idealerweise frei von unternehmerischen Gedanken ganz mit sich selbst und der Musik sollte beschäftigen dürfen. Wenn danach eine berufliche Umorientierung angezeigt erscheint, sind das keine vier verlorenen, sondern vier gewonnene Jahre. Denn keine Ausbildung formt, vor allem dank des Einzelunterrichtes und der glücklichen Verbindung von Emotionen, Handwerk und Geist, die Persönlichkeit so stark und nachhaltig wie ein Musikstudium – ein Gewinn fürs Leben, der auch für die selbstbewusste Einforderung fairer Honorare rüstet. Ich halte es da ganz mit Novalis, der schon um 1800 schrieb: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen, wenn die, so singen oder küssen, mehr als die Tiefgelehrten wissen, ..., dann fliegt vor einem geheimen Wort das ganze verkehrte Wesen fort.“
Interview: Stephanie Schiller
Hans-Peter Stenzl und Volker Stenzl zählen seit über 30 Jahren zu den weltweit führenden Klavierduos. Ihre neue CD „Laudate Dominum“ (u.a. mit Strawinskys Psalmensinfonie in der vierhändigen Klavierfassung von Dmitri Schostakowitsch) erscheint im April 2023. Hans-Peter Stenzl unterrichtet an den Musikhochschulen Rostock und Stuttgart, ist gefragter Juror nationaler und internationaler Musikwettbewerbe und seit September 2021 1. Vizepräsident des Deutschen Tonkünstlerverbandes.