Im Rahmen des Webinars „Musiker*innen aus der Krise helfen – den Verband als Lobby zukunftsorientiert gestalten“ war Prof. Dr. Franz-Alois Fischer im April als Referent geladen und sprach vor DTKV-Mitgliedern zum Thema Genossenschaftsgründung aus juristischer Sicht. Wir sprachen mit ihm nun darüber, inwieweit Genossenschaften in der Musikbranche Sinn machen.
neue musikzeitung: Können Sie kurz umreißen, was eine Genossenschaft ist?
Prof. Dr. Franz-Alois Fischer: Laut Duden ist eine Genossenschaft eine „Vereinigung mehrerer Personen mit dem Ziel, durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb den Einzelnen wirtschaftlich zu fördern“. Juristisch gesehen ist eine Genossenschaft eine der fünf möglichen Organisationsformen einer „juristischen Person“. Die Genossenschaft ist kurioserweise die am wenigsten bekannte, obwohl sie sehr weit verbreitet ist. Sie ist eine Mischung aus basisdemokratischen und mitgliedschaftlichen Elementen. Sie ähnelt einem Verein, hat aber einen Kapitalbezug und ist insofern vergleichbar mit einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft.
nmz: Wo entstand der Genossenschaftsgedanke?
Fischer: Historisch sind Genossenschaften aus ländlichen Zusammenschlüssen hervorgegangen, in denen Leute versucht haben, sich aus kleineren Einheiten heraus mit einem bestimmten Sach- oder Themenbezug, etwa Landwirtschaft, Weinbau oder Brauerei, selbstbestimmt zu organisieren und eine gemeinsame Stimme zu formen.
nmz: Halten Sie das Genossenschaftsmodell auch im Musikbereich für geeignet?
Fischer: Ja, man kann eine Genossenschaft sowohl auf regionaler Ebene, also mit Leuten, die sich vielleicht auch persönlich untereinander kennen, aufziehen, als auch auf Bundesebene. In beiden Fällen ließe sich für Musiker*innen eine Stimme schaffen, eine Lobby im positiven Sinn. Auf der höheren Ebene könnte die Genossenschaft zum Beispiel auch gegenüber der Bundespolitik die Interessen der Musiker*innen vertreten. Sinnvoller, als zum Beispiel ein Orchester oder etwa eine Musikschule isoliert als Genossenschaft zu gründen, ist es, verschiedene Akteure aus dem Musikbereich in einer Genossenschaft zusammenzuschließen. Ein Beispiel: Musiker*innen, Musiklehrer*innen, eine Musikschule und ein Orchester. Sie alle könnten Mitglieder einer übergreifenden Genossenschaft sein. Darüber hinaus könnten sich auch regionale Genossenschaften zu einer bundesweiten Gesamtgenossenschaft zusammenschließen.
nmz: An welche Vorgaben muss sich eine Genossenschaft halten?
Fischer: Man braucht mindestens drei Mitglieder. Das ist die Grundidee einer Genossenschaft, das ließe sich aber durch eine Satzung ändern, dass jedes Mitglied die gleichen Rechte und Stimmrechte hat – egal, ob ich 10 Euro einbringe oder 100.000 Euro. Das ist das demokratische Element, das eine Genossenschaft ausmacht. Im Bereich Musik ist die paritätische Ausgestaltung sicherlich von Vorteil, weil eben nicht das Kapital bestimmt, weil nicht die Finanzstärkeren auch die Mächtigeren sind. Eine Genossenschaft kann auch nicht einfach von Fremdkapital übernommen werden, wie das bei Kapitalgesellschaften ständig der Fall ist. Davor ist eine Genossenschaft gefeit.
nmz: Wer zahlt, hat Recht und bestimmt, gilt dann nicht?
Fischer: Nein, das gilt grundsätzlich nicht. Jedes Mitglied hat die gleichen Rechte. Die Mitglieder der Genossenschaft haben ja alle etwas miteinander zu tun, zum Beispiel mit der Musik. In der Genossenschaft stünde dann die Idee der Musik an erster Stelle und nicht, wie viel Geld jeder einzelne hat. Das ist das Ideal, das im Zentrum einer Genossenschaft steht.
nmz: Auf welcher Ebene könnte eine Genossenschaft besonders effektiv sein?
Fischer: Auf einer höheren Ebene läge aus meiner Sicht der Vorteil vor allem darin, dass dort im guten Sinne Lobbyarbeit für die Interessen der Mitglieder gemacht werden kann. Nehmen wir mal an, in der Aufarbeitung der Coronakrise gibt es Fördergelder für den Bereich Kunst und Kultur. Das muss eigentlich kommen, weil dieser Bereich sehr gelitten hat, und es wird hier auch viel Bedarf geben. Dann ist die Frage, wer sichert sich diese Fördergelder. Und da wäre dann eine solche Stimme gut. Da ginge es dann im weitesten Sinne um Marketing, PR, wie kann man als gemeinschaftliche Stimme auftreten.
nmz: Worauf müssen zukünftige Genossenschaftler achten?
Fischer: Man sollte sich grundlegende Gedanken machen. Wer soll in die Genossenschaft? Wenn man nicht beim Grundsatz bleiben möchte, dass alle gleiches Stimmrecht haben, müsste man sich auch Gedanken darüber machen, wie es anders geregelt sein soll. Außerdem braucht man eine Satzung. Darin muss der Zweck der Genossenschaft genannt sein. Wenn die Genossenschaft wohltätigen Zwecken dienen soll, sollte man dies ausdrücklich in die Satzung schreiben, um später zum Beispiel Spendenquittungen ausstellen zu können. Außerdem muss man sich mit so genannten Genossenschaftsverbänden absprechen. Die prüfen, ob die geplante Genossenschaft die notwendigen Anforderungen erfüllt. Nach der Prüfung kann die neue Genossenschaft eingetragen werden.
nmz: Das heißt, jede Genossenschaft hat eine Art externen Aufsichtsrat?
Fischer: Ja, so könnte man das sagen. Sie reden aber nicht inhaltlich mit, sondern prüfen lediglich die Wirtschaftlichkeit.
Der Genossenschaftsverband sorgt dafür, dass man eine Genossenschaft vernünftig führt und gut wirtschaftet. Dass dieses System nicht so schlecht ist, zeigt die Statistik: Im Gegensatz zu anderen juristischen Personen gehen Genossenschaften so gut wie nie in die Insolvenz.
Interview: Stephanie Schiller
Prof. Dr. Franz-Alois Fischer ist Rechtsanwalt und Professor für Öffentliches Recht an der FOM München sowie Lehrbeauftragter für Politische Philosophie an der LMU, München.