Nachfolgend finden Sie ein Gespräch über Zahlen, Entwicklungen, neue Studien und die Zukunft des Amateurmusizierens in Deutschland, das Luca Mathäser für den Deutschen Tonkünstlerverband führte.

Im Austausch mit Kolleg:innen aus über 30 Ländern: Stephan Schulmeistrat. Foto: Stephan Pick/DMR
„Musikmachen boomt“
DTKV: Herr Schulmeistrat, bevor wir über die neuesten Ergebnisse Ihrer aktuellen Studie sprechen: Würden Sie uns bitte zu Beginn kurz das Arbeitsfeld des Deutschen Musikinformationszentrums und Ihre Rolle als Präsident der International Association of Music Centres (IAMIC) vorstellen?
Stephan Schulmeistrat: Sehr gern. Das Deutsche Musikinformationszentrum, kurz miz, ist die zentrale Anlaufstelle für Informationen über das Musikleben in Deutschland. Unser Auftrag ist es, belastbare Daten und Fakten aufzubereiten und öffentlich zugänglich zu machen – kostenfrei, zuverlässig, aktuell und für alle Interessierten, ob in der Forschung, Politik, in Verbänden oder in der breiten Musikszene.
Dafür bündeln wir Informationen aus den unterschiedlichsten Bereichen des Musiklebens: von der musikalischen Bildung und Ausbildung über das professionelle Musizieren bis hin zur Musikwirtschaft.
Die Webseite miz.org ist unser zentrales Portal – dort finden sich Porträts von mehr als 11.000 Institutionen des Musiklebens, über 120 Statistiken, Studien, zahlreiche Fachbeiträge zu ganz unterschiedlichen Aspekten des Musiklebens und vieles mehr. Seit dem Relaunch vor einigen Jahren hat sich unser Nutzungsaufkommen mehr als verdreifacht.
Austausch und Inspiration
Aktuell zählen wir rund 60.000 individuelle Besucher pro Monat. Und international? In meiner Rolle als Präsident der IAMIC vertrete ich aktuell die weltweiten Musikinformationszentren. Das ist für mich eine große Ehre und zugleich ein Zeichen, wie sehr unsere Arbeit auch jenseits der Landesgrenzen geschätzt wird. Der Austausch mit Kolleg:innen aus über 30 Ländern inspiriert unsere Arbeit sehr und zeigt uns, wie unterschiedlich – aber auch wie ähnlich – musikalische Infrastrukturen weltweit funktionieren, und worin die aktuellen Herausforderungen liegen. Das Musikleben ist ja per se auch sehr international.
DTKV: Anfang April haben Sie die neue Studie zum Amateurmusizieren veröffentlicht. Darin heißt es, dass inzwischen rund 16,3 Millionen Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit musizieren – etwa zwei Millionen mehr als noch vor vier Jahren. Was war der Anlass für diese erneute Untersuchung?
Schulmeistrat: Wir wollten wissen: Wie hat sich das Amateurmusizieren nach der Coronapandemie entwickelt? Die Pandemie hat das Freizeitverhalten vieler Menschen tiefgreifend verändert – auch das Musizieren blieb davon nicht unberührt. Vor vier Jahren, 2020, haben wir erstmals eine umfassende Untersuchung zum Amateurmusizieren in Deutschland vorgelegt. Diese aktuelle Folgestudie ermöglicht es uns nun, erstmals Entwicklungen nachzuzeichnen.
Kulturpolitische Themen
Darüber hinaus haben wir gezielt Themen einbezogen, die heute kulturpolitisch nochmal an Bedeutung gewonnen haben: etwa das ehrenamtliche Engagement, finanzielle Aufwendungen rund ums Musizieren, die Häufigkeit öffentlicher Auftritte – aber auch die ganz persönliche Motivation der Menschen, warum sie überhaupt Musik machen. Befragt wurden über 1.100 Personen repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ab 16 Jahren, darunter auch Eltern, die über das Musizierverhalten ihrer Kinder Auskunft gegeben haben.
DTKV: Was ist für Sie persönlich das überraschendste oder wichtigste Ergebnis dieser Studie?
Schulmeistrat: Die zentrale Botschaft lautet: Musikmachen boomt. 21 Prozent der Bevölkerung ab sechs Jahren musizieren in ihrer Freizeit – das sind rund 16,3 Millionen Menschen, also zwei Millionen mehr als noch 2020. Das ist nach Abwägung aller statistischer Faktoren ein klarer Aufwärtstrend. Viele Menschen haben in beziehungsweise nach der Pandemie entweder ein altes musikalisches Hobby wiederentdeckt oder ganz neu mit dem Musizieren begonnen.
Kein Nischenhobby
Damit zeigt sich auch: Musizieren ist kein Nischenhobby, sondern gelebte Alltagskultur. Jede:r Fünfte in Deutschland macht aktiv Musik – das ist beeindruckend und kulturpolitisch von großer Relevanz.
DTKV: Und wie sieht das bei Kindern und Jugendlichen aus?
Schulmeistrat: Besonders erfreulich ist, dass fast die Hälfte der 6- bis 15-Jährigen musiziert, das wussten wir allerdings auch schon durch unsere Untersuchung von vor vier Jahren. Aber auch bei den Erwachsenen sehen wir durchweg hohe Aktivitätsraten – etwa jede:r Sechste ab 30 Jahren ist musikalisch aktiv. Und: Wer früh mit Musik beginnt, fühlt sich umso stärker mit seinem Hobby verbunden. Bei besonders aktiven Musiker:innen lag das Einstiegsalter bei durchschnittlich zehn Jahren.
Zugangswege wie die Schule, Musikvereine, Kirchen, Musikschulen oder auch das familiäre Umfeld spielen eine entscheidende Rolle. Genau hier müssen wir ansetzen, wenn wir wollen, dass dieser positive Trend anhält.
Das Rückgrad musikalischer Bildung
DTKV: Welche Rolle spielen dabei Musikschulen und der private Unterricht?
Schulmeistrat: Unsere Ergebnisse zeigen eindrucksvoll: Die sogenannte Trias aus öffentlicher Musikschule, privater Musikschule und Privatmusiklehrkräften ist ein zentrales Rückgrat musikalischer Bildung in Deutschland. Für viele Kinder – aber auch für Erwachsene – findet hier der primäre Zugang zur Musik statt.
Jeweils knapp ein Viertel der Befragten hat über öffentliche Musikschulen oder Privatlehrkräfte zum Musizieren gefunden, hinzu kommen die privaten Musikschulen. Das zeigt nicht nur die enorme Bedeutung dieser Bildungsangebote, sondern auch, wie essenziell es ist, ihre strukturelle Absicherung zu gewährleisten – gerade, wenn es um kulturelle Teilhabe und Chancengleichheit geht.
Zugang zur Musik
DTKV: Stichwort Zugang: Die Studie zeigt auch soziale Unterschiede beim Zugang zur Musik. Wie ist das zu bewerten?
Schulmeistrat: Erwachsene aus höheren sozialen Schichten musizieren etwa doppelt so häufig wie jene aus unteren. Das ist ein strukturelles Problem. Aber: Bei Kindern und Jugendlichen ist dieser Abstand erfreulicherweise weniger ausgeprägt. Anders als noch 2020 liegen die Werte der unteren sozialen Schichten heute sogar leicht über denen der Mittelschicht. Das zeigt: Musikalisierungsprogramme und niedrigschwellige Angebote wirken – sie ermöglichen vielen einen Zugang zur Musik, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
DTKV: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Maßnahmen, um diese Entwicklung weiter zu fördern?
Schulmeistrat: Wir als miz liefern mit unseren Studien die Datengrundlage – die Gestaltung der Rahmenbedingungen ist Aufgabe der Kulturpolitik und der Verbände. Aber klar ist: Der Zugang zur Musik muss weiter ausgebaut werden. Der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen ist dabei ein Schlüssel – und er muss dringend gestärkt werden. Zu viel Unterricht fällt aus, es fehlen qualifizierte Fachkräfte. Und dafür setzt sich der Deutsche Musikrat ja gerade sehr intensiv ein.
Gleichzeitig sollten aber auch Projekte an der Basis, in Chören, Orchestern, Bands und Vereinen, verstärkt gefördert werden. Hier leisten viele Menschen ehrenamtlich Großartiges, aber Vereinsbeiträge und Spenden reichen oft nicht aus. Der Amateurmusikfonds des Bundesmusikverbands Chor & Orchester hat hier viel bewirkt, Projekte der Beteiligten zu verwirklichen und öffentlichkeitswirksam ausstrahlen zu lassen – und wir hoffen sehr, dass es unter der neuen Bundesregierung weitergeht. Der Koalitionsvertrag gibt da Anlass zur Hoffnung.
DTKV: Ich nehme an, nach einer Studie ist für Sie wieder vor einer Studie. Woran arbeiten Sie aktuell mit Ihrem Team?
Schulmeistrat: (Lacht.) Das ist richtig. Besonders intensiv arbeiten wir derzeit an einer großen Festivalstudie, die wir gemeinsam mit der Initiative Musik und der Bundesstiftung LiveKultur durchführen. Dabei nehmen wir die Musikfestivallandschaft erstmals ganzheitlich in den Blick – von Programmatik und Ökonomie bis zu sozialen und ökologischen Aspekten. Die Resonanz aus der Szene war riesig, die Beteiligung hoch. Wir sehen in dieser Studie ein echtes Schlüsselprojekt – auch mit Blick auf Förderpolitik und nachhaltige Strukturen.
Studienatlas Musik
Ein weiteres Großprojekt, an dem wir zurzeit arbeiten, ist unser Studienatlas Musik: eine neue digitale Plattform, die Studiengänge und Ausbildungsorte im Musikbereich systematisch auffindbar macht. Wir arbeiten dabei eng mit der Hochschulrektorenkonferenz zusammen. Das Angebot richtet sich an Studieninteressierte, Musikpädagog:innen und auch Berufsberatende – ein echter Meilenstein in Sachen Transparenz im Bildungsbereich.
Vor allem aber schafft der Studienatlas eine Verbindungslinie zurück zum Thema Amateurmusik. Denn ohne die vielen Menschen, die in ihrer Freizeit musizieren, gäbe es auch kein reiches professionelles Musikleben. Viele spätere Berufsmusiker:innen haben genau dort begonnen – in der Musikschule, im Schulchor, im Verein.
Mit dem Studienatlas geben wir bald ein Werkzeug an die Hand, mit dem sich junge Menschen, Eltern und Lehrkräfte leicht und gezielt orientieren können: Was kann ich wo studieren? Welche Fachrichtungen gibt es überhaupt? Welche Schwerpunkte setzen die einzelnen Hochschulen?
Ein solches Angebot hat bislang gefehlt – und das miz wird damit einen echten Meilenstein setzen.
DTKV: Herr Schulmeistrat, vielen Dank für das Gespräch – und viel Erfolg für Ihre kommenden Projekte!
Schulmeistrat: Herzlichen Dank!
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