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Tradition und Zukunft

Untertitel
Der Deutsche Tonkünstlerverband e.V. – DTKV · Teil 1
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Die revolutionäre Stimmung des Vormärz regte zu zahlreichen Initiativen an, die die Lebenssituation gesellschaftlicher Schichten und Berufsgruppen verbessern sollten. 1844 gründete eine bereits informelle Interessensgemeinschaft um den Gymnasialmusiklehrer und Musikredakteur Dr. Otto Lange, deren Anliegen „die Reform auf allen Gebieten der Musikerziehung und Musikpflege“ war, den Berliner Tonkünstlerverein. Der Leiter der Musikabteilung der königlichen Bibliothek, Dr. Franz Commer, wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt, und bald schon schlossen sich die wichtigen Repräsentanten der Berliner Musikszene dem Verein an wie Otto Nicolai, Hans von Bülow, Friedrich Kiel und der bei Berlin geborene Giacomo Meyerbeer.

Der angesehene Pianist und Klavierpädagoge Theodor Kullak gehörte zur ersten Stunde des Vereins. Sein Interesse galt im Besondern der Pädagogik. Gemeinsam mit Adolf Bernhard Marx und Julius Stern initiierte er das „Stern’schen Konservatoriums“ (1850) und fünf Jahre danach gründete er die „Neue Akademie der Tonkunst“, die er bis zu seinem Tod 1882 leitete. Adolf Bernhard Marx, Komponist und Musikprofessor der Universität, stand bereits seit den Anfängen des Tonkünstlervereins im Vordergrund und übernahm das Vorstandsamt 1848. Er forderte sogleich in der „Neuen Berliner Musikzeitung“, die der Verleger Dr. Gustav Bock (Bote & Bock) ab 1847 als publizistisches Fachorgan des Vereins herausgab, in einer Denkschrift, „dass im Ministerium selbst ein wirklicher Sachverständiger, ein theoretisch und namentlich mit dem Lehrwesen vertrauter Musiker den Vortrag in Musikangelegenheiten“ habe. Es dauerte bis 1920, dass Leo Kestenberg mit wesentlichen musikalischen Bildungsreformen diese Position in Preußen einnehmen konnte. Auch eine staatliche Zulassung für freiberufliche Musikpädagogen („Privatmusiklehrer“) wurde hier bereits gefordert, um unqualifizierte Konkurrenz zu verhindern – vergeblich!

Solidarität und Selbsthilfe

Bereits in der Gründungsphase verstand sich der Berliner Tonkünstlerverein gleichsam als Selbsthilfegruppe von Musikern, um ihre schwierige Lage solidarisch zu verbessern. Von Beginn an war klar, dass die Medaille zwei Seiten hat: Auf der einen Seite galt es den Wert der Komponisten und ausübenden Musiker in der bürgerlichen Gesellschaft zu verdeutlichen und damit die Arbeitsbedingungen und sozialen Verhältnisse anzuheben. Hierzu gehört(e) die angemessene Bezahlung, die Sicherung im Krankheitsfall und im Alter wie auch der Hinterbliebenen. Zu diesem Zweck wurde eine Pensionskasse eingerichtet, zu der auch Meyerbeer mit 300 Talern aus seinem Nachlass beitrug. Auch ein vereinseigenes Erholungsheim stand den Mitgliedern zur Verfügung. Aber bis zur Gründung der Künstlersozialkasse (KSK) 1983 hat es gedauert, dass freiberufliche Künstler und Publizisten in das staatliche Sozialsystem integriert wurden. Seitens des Tonkünstlerverbands ist hier das Engagement von Prof. Dr. Alexander L. Suder hervorzuheben, der vor allem das Musikleben in Bayern maßgeblich und vorbildhaft mitgeprägt hat, aber auch auf Bundesebene in verschiedenen Funktionen aktiv war. Geradezu revolutionär war aus den Reihen der Tonkünstler die Forderung nach dem Schutz geistigen Eigentums. 1903 wurde in diesem Sinne auf besonderes Betreiben von Richard Strauss eine Urheberrechtsorganisation als Vorläuferin der GEMA gegründet.  

Tonkünstlerfeste

Neben den pädagogischen und sozialen Aspekten galt es von Anfang an, Musik – besonders der Zeitgenossen – aufzuführen, denn ohne Arbeit wären die besten Arbeitsbedingungen nutzlos. So gehörte zu den Gründungsinitiativen des „Berliner Tonkünstlerverein“ ein Orchester, das der Kapellmeister des preußischen Garde-Korps Friedrich Wilhelm Wieprecht aus Mitgliedern zusammenstellte und das als Keimzelle der Berliner Philharmoniker gelten kann. Hier gelangten auch Werke von Komponistinnen und Komponisten zur Aufführung, die heute aus dem Musikleben weitgehend verschwunden sind wie Emilie Mayer, deren Wiederentdeckung überfällig ist. „Tonkünstlerfeste“, Konzert-reihen mit neuer Musik und musikalische Veranstaltungen außerhalb des Mainstreams gehören bis heute zu den Aktivitäten der Tonkünstlerverbände. Der Musikfonds (www.musikfonds.de) des Bundes zur Förderung zeitgenössischer Musik, der 2017 erstmalig Fördergelder bereitstellte, entspricht einer langjährigen Forderung des DTKV, der zu den sieben Gründungsmitgliedern gehört und auch im Kuratorium vertreten ist.

Nach dem Berliner Vorbild etablierten sich in kurzer Folge ähnliche Zusammenschlüsse von Musikern in München, Köln, Leipzig, Dresden und Hamburg. 1847 rief in Leipzig der Schriftleiter der „Neuen Zeitschrift für Musik“ Franz Brendel zu einer ersten Deutschen Tonkünstlerversammlung auf. Zahlreiche TOPs, Konzertveranstaltungen und Beschlüsse standen auf dem Programm.  Ein „Allgemeiner Deutscher Musikverein“ (ADMV) wurde 1861 von Franz Liszt und Franz Brendel ins Leben gerufen, der bis zu seiner Überführung in die Reichsmusikkammer 1937 existierte. Parallel dazu schlossen sich 1874 die Organisationen aus Berlin, Hamburg, Leipzig und München zum „Verband Deutscher Tonkünstlervereine“ zusammen, der unter variierenden Namen seither – mit Ausnahme der Jahre 1933 bis 1945 – das deutsche Musikleben mitgestaltet. Auch wenn viele Musiker in beiden Vereinen gleichzeitig Mitglied waren - die Zielsetzungen unterschieden sich nur wenig und selbst Insider verwechselten diese Institutionen regelmäßig – wirkten beide Vereine nebeneinander. Der ADMV stellte die „Pflege der Tonkunst und die Förderung der Tonkünstler“ in den Vordergrund, d.h. er veranstaltete hauptsächlich Konzerte mit Werken von Franz Liszt, Richard Wagner, Hans von Bülow, Hector Berlioz u.a. In diesem Rahmen dirigierte Gustav Mahler die Uraufführung seiner 6. Sinfonie und Richard Strauss, der dem Verein ab 1901 für 8 Jahre vorstand, die Uraufführung seiner „Alpensinfonie“. Der „Verband Deutscher Tonkünstlervereine“ hingegen stand den „neudeutschen“ Strömungen skeptisch gegenüber und lehnte folgerichtig eine Ehrenmitgliedschaft Richard Wagners ab, gleichzeitig aber ernannte er aus Dankbarkeit für seine Verdienste um den Verband Franz Liszt zum Ehrenmitglied. In Konzerten führte der „Verband Deutscher Tonkünstlervereine“ fast ausschließlich Werke seiner Mitglieder auf und verfolgte insgesamt eine eher patriotische Linie. So wurde bereits auf der ersten Tonkünstlerversammlung 1847 auf Vorschlag von Robert Schumann beschlossen, dass deutsche Komponisten für ihre Werke deutsche Titel verwenden sollten. Zudem verstand sich der Verband auch als berufsständische Vertretung und kulturpolitischer Gestalter des Musiklebens mit einem Schwerpunkt auf Musikerziehung.

Kooperation und Fusion

Inzwischen gab es in den meisten großen deutschen Städten Tonkünstler- und Musiklehrervereine, die sich 1903 zum „Zentralverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“ mit insgesamt 1.100 Mitgliedern zusammenschlossen. Als Verbandsorgan diente die „Deutsche Tonkünstlerzeitung“, während weitere Musikzeitungen, die ebenfalls Tonkünstlervereinen nahestanden, weiter existierten. Zu den neuen Aktivitäten des Zentralverbands zählt die 1. große Musikfachausstellung 1906 in Berlin und Folgeveranstaltungen, die Vorläufer der Musikmessen in Düsseldorf bzw. Frankfurt.  Die schwierige Zeit während des 1. Weltkriegs und danach konnte der Verein mit reduzierter Tätigkeit und mit Hilfe von Mäzenen überbrücken. Ende 1918 fand auf Einladung des „Zentralverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“ und auf Drängen des „Allgemeinen Deutschen Musikverein“ eine Grundsatzdiskussion aufgrund der veränderten politischen Lage statt. Daran nahmen auch der „Verband der konzertierenden Künstler Deutschlands“, die „Genossenschaft Deutscher Tonsetzer“ und der „Musikpädagogische Verband“ teil.  Eine „Vereinigung der Berufsverbände der Deutschen Tonkünstler“ scheiterte allerdings an divergierenden Vorstellungen. Stattdessen wurden 1919 die „Vereinigten Musikpädagogischen Verbände“ ins Leben gerufen, zu dessen Vorsitzenden Prof. Adolf Göttmann, der bereits seit seiner Gründung dem „Zentralverband“ vorstand, gewählt wurde. Nach Göttmanns Tod 1920 übernahm Prof. Arnold Ebel, Meisterschüler von Max Bruch, die Geschicke des „Zentralverbands“. Ihm gelang, eine Vielzahl von Musikverbänden, darunter auch den 1903 gegründeten „Musikpädagogischen Verband“ zu integrieren. Seit 1922 firmierte man als „Reichsverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“, brachte es bis zu 10.000 Mitglieder in zehn Landesverbänden und zehn „Provinzialverbänden“ und erhöhte damit das gesellschaftspolitisches Gewicht erheblich. Spätestens seit dieser Zeit stellten Tonkünstlerverbände Musterverträge für privaten Instrumental- und Gesangsunterricht zur Verfügung, die im Wesentlichen bereits denen entsprachen, die bis 2015 Gültigkeit hatten und nach einer Abmahnung von der Verbraucherschutzzentrale Baden-Württemberg einer für freiberufliche Musikpädagogen nachteiligen Rechtssprechung angepasst werden mussten. Hier muss die Stoßrichtung des DTKV in Richtung Gesetzesinitiative gehen, die den langfristigen musikpädagogischen Bildungsauftrag würdigt und nicht Musikunterricht gleichsetzt mit einem Konsumartikel oder Arbeitsauftrag. 1934 wurde auf Mitgliederbeschluss zur Selbstgleichschaltung der Verband in die Reichsmusikkammer eingegliedert. Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgten sofort wieder Aktivitäten in verschiedenen Städten. Einzelne Regionalverbände wurden schon 1945 mit Genehmigung der „Alliierten“ wiedergegründet und bald auch schon Landesverbände. Obwohl sich bereits im Herbst 1945 Mitglieder des „Reichsverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“ trafen, fand die Neugründung des Verbands erst 1948 als „Verband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“ statt. In einer Delegiertenversammlung 1951 wurde der Name in „Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer VLDTM“ geändert. Die neue Satzung orientierte sich an der von 1903, Arnold Ebel wurde wieder zum Vorsitzenden gewählt und blieb es bis 1958. Dass bei den Neugründungen der Verbände auch Mitglieder in den Vordergrund gelangten, deren Wirken im Dritten Reich zumindest fragwürdig war, ist unbestritten, bedarf aber noch einer gründlichen Aufarbeitung. Dass dadurch auch renommierte Musiker, die das Dritte Reich im inneren oder äußeren Exil überbrückten, von einer Mitgliedschaft abgehalten wurden, scheint ebenfalls unbestritten.

Teil 2 folgt in der nmz 4-2018
 

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