Die Pianistin Ana-Marija Markovina hat nachgelegt: War ihr im STACCATO-Verlag erschienenes Buch „GLÜCKS-Spiel“ eine Hommage ans Erlernen eines Musikinstruments, untersucht das neue Buch „KLAVIER-Spiel“ künstlerische Identität, Karriere und Lebensglück von Pianisten: Was sie antreibt, in einen gesättigten Markt hinein zu wollen – und welche Rolle dabei das Konzertexamen spielt.
Üben ohne Business-Plan
Ein Konzertexamen beziehungsweise -diplom hatten alle in der untersuchten und interviewten Gruppe, 25 Berufs-Pianistinnen (20) und -Pianisten (5) aus dem In- und Ausland. Man erfährt viel vom harten Arbeitsalltag und viel Persönliches, wenn man den (anonymisierten) Karriereplänen folgt, denen sich Ana-Marija Markovina fragend genähert hat. Sie kennt die Mühen einer Karriere, spielt sie doch selber auf den Konzertpodien der Welt und hat etwa mit den Gesamteinspielungen der Klavierwerke von Carl Philipp Emanuel Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy interpretatorische Maßstäbe gesetzt. Dass sie dabei etwas anders „tickt“ als die meisten ihrer Zunft, erkennt man an dem von ihr etablierten „Kölner Klavierzimmer“, einem regelmäßig ausgetragenen Klavierwettbewerb ausschließlich für Amateure. Die dort ausgezeichneten Pianisten verdienen ihr Geld anderweitig, glänzen aber mit großartigen Interpretationen auch von sehr schwer zu spielenden Klavierstücken.
Dissertation als Grundlage
Dem KLAVIER-Spiel-Buch liegt ihre Dissertationsschrift an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zugrunde. Schon der erste Satz in der Einleitung zeigt, dass Ana-Marija Markovina präzise und knapp formuliert: „Mein Forschungsprojekt umfasst die Lebenssituation von Pianistinnen und Pianisten in der heutigen Gesellschaft.“ Bereits am Beginn des theoretischen Teils ist das Dilemma formuliert: „Die isolierte Betonung des Übeverhaltens verhindert die Auseinandersetzung mit den lebensweltlichen Problematiken, die spätestens nach dem Konzertexamen und mit dem Wegfall der Schutzatmosphäre der Hochschule auftreten.“ Natürlich geht es nicht ohne Üben, sechs bis acht Stunden am Tag sind nach der bestandenen Aufnahmeprüfung normal. Problematisch findet Ana-Marija Markovina jedoch die Summe, die da zusammenkommt. Es sind viele Jahre des Investierens in den ergriffenen Beruf. Gleichzeitig beschreibt sie einen Jugendwahn in der Branche, in der viele ihr Lebensalter lieber geheim halten. Da wird das Dilemma angedeutet im Umgang mit den vielen Jahren, die Profis an der Klaviertastatur verbringen müssen: Dass man nicht dazu steht, wie man dazu geworden ist, was man ist.
Hofmusik und Virtuosentum
Im historischen Teil finden sich kurze Lebenswege von Musikern. Aus dem protestantischen Kulturraum würdigt sie Schütz, Telemann, Bach, Händel und C.P.E. Bach – sowie dessen Arbeitgeber Friedrich II. Im katholischen Kulturraum hebt sie Scarlatti und Haydn hervor – auch sie Musiker an einem Hofe. Als erste wichtige Vertreter des freien Künstlertums stellt sie Mozart und Beethoven vor. Man lernt: Mäzenatentum statt Festanstellung – auch das ist eine Option für Musik-Profis. Wobei: Beide mussten auch als Lehrer und Klavier-Virtuosen ihr Geld verdienen. Hier besteht eine leichte Verklärungs-Gefahr des freien Künstlertums: Es entstand bei Beethoven aus einer Not heraus. Er wollte immer – so wie in Bonn – auch in Wien in eine Festanstellung beim Adel, was ihm aber zeitlebens nicht mehr gelang. Weitere historische Kapitel wie „Hugo Wolf: Arm und einsam“ oder „Ravel: Ein schweres Leben“ bereiten auf die Interviewauswertung und die Beschreibung des Ist-Zustands vor: Wer heute Klavierprofi wird, der wird es entbehrungsreich.
Krisen und Reifungsprozesse
Es ist eine große Leistung von Ana-Marija Markovina, psychische und körperliche Probleme der Interviewpartner beziehungsweise Probanden angesprochen zu haben auf ihrem langen Weg zu einer erhofften Pianistenkarriere. Sie stammen aus den Staaten Deutschland, Russland, Belarus, Ukraine, Süd-Korea, VR China, Taiwan, Rumänien, Griechenland, Georgien, Israel, Ungarn und der Slowakei. Was sie typischerweise im Rückblick beschreiben über ihr Studium zumeist an einer deutschen Musikhochschule: Einsamkeit, Schmerzen in Arm oder an der Halswirbelsäule, Taubheitsgefühle in den Fingern – das gehörte für sie an der Hochschule phasenweise dazu. Der Umgang damit? Nicht immer souverän. Heilung dauert – während schnell das Gefühl aufkommt, dass für einen „der Zug jetzt abgefahren“ ist. Das sagen manche Probanden mit einem Abstand von 20 Jahren auf ihr Konzertexamen. Auch der Verdienst danach ist Thema: Reich wird man meistens nicht damit.
Leistungsorientiert von Jugend an
Es gibt typische Erfahrungen und Muster auf dem Weg zum Profi-Klavierspiel: Geübt wurde früh viel und gerne. Dazu kommen prima Schulnoten und eine oft beschriebene Lese-Lust in einem bildungsbürgerlichen Umfeld. Geschwister und Eltern prägen enorm – so war bei der Hälfte der Probanden bereits mindestens ein Elternteil Berufsmusiker. Man verlässt das Elternhaus oft früh – für den Besuch einer Spezialschule oder die Aufnahmeprüfung im Ausland. Was alle sagen: Das Klavier stand immer im Zentrum. Geübt wurde viel und gerne. Soziales Leben fand praktisch bei keinem statt. Umso wichtiger war bei allen die Lehrerpersönlichkeit – als Bezugsperson und Identifikationsfigur. Und die intrinsische Motivation: Alle Probanden wollten am liebsten nur Klavier üben. Als dann das Konzertexamen abgelegt war, hatte keiner der Befragten das Gefühl, dass sich nun etwas an der Lebenssituation verändern würde. Es wurde zur Finanzierung des Lebens weiter selber Klavierunterrichtet gegeben – wie schon vor der Prüfung. Sie war meist keine Wegmarkierung. Bei den meisten ging es weiter, wie bisher.
Schlüsse
Ana-Marija Markovina hat eigene Erfahrung und historisches Wissen genug, um daraus Schlüsse zu ziehen. Das Zeitalter der reinen Klaviervirtuosen, der gefragten Tastenlöwen, die von Podium zu Podium reisten, war nur kurz und ist schon wieder vorbei. Deshalb kritisiert die Autorin das Hochschulsystem: „Ich wage zu sagen, dass der Pianistenberuf in seiner Tradition nicht mehr existent ist. Trotzdem ist die Ausbildung oft auf dieses Ziel hin ausgerichtet.“ (S. 451) Weil sich keiner der Probandinnen und Probanden als einen „Horowitz“ sah, plädiert sie für den selbstverständlichen Einbau von anderen Elementen ins Klavierstudium jenseits der Erarbeitung eines großen Repertoires: Selbstvermarktungs-Seminare oder eine Beratung bei der Erstellung eines Business-Plans gehören dazu. Und in allen Phasen der Ausbildung eine größere Wertschätzung der Klavierpädagogik, des Klavierunterrichts an Musikschulen. Dass dieser Beruf Zukunft hat, merkt man gerade an der Festanstellungswelle im ganzen Land.
Buch-Tipp
Ana-Marija Markovina:
KLAVIER-Spiel. Künstlerische
Identität, Karriere und Lebensglück, STACCATO-Verlag, Düsseldorf 2023, 476 Seiten / brosch., ISBN 978-3-932976-87-2
https://staccato-verlag.de/index.php/programm/91-das-besondere-buch/131-ana-marija-markovina-klavier-spiel
- Share by mail
Share on