Dr. Dorothee Eberhardt ist eine Komponistin der mittleren Generation, die sich nicht nur im Raum München mit ihrem Schaffen einen bedeutenden Namen gemacht hat. Ihr rund 35 Werke umfassendes Opus, überwiegend Klavier-, Klarinetten- und Kammermusik, aber auch vier Orchesterwerke und ein Melodram, gelangt häufig zur Aufführung. Insbesondere das 2001 erschienene „Salamanca“ für Klarinette solo verbreitet sich rasch: Sieben Klarinettisten aus vier verschiedenen Ländern haben es in ihrem Repertoire, im Sommer wird es bereits zum zweiten Mal auf CD eingespielt werden.
Dabei schien Dorothee Eberhardts beruflicher Werdegang zunächst gar nicht auf ein Musikstudium hinzudeuten. Gebürtig im schwäbischen Memmingen, studierte sie zunächst an den Universitäten Würzburg und Tübingen Orientalistik, Philosophie und Griechisch. 1979 wurde sie mit nur 27 Jahren mit einer Arbeit über „Frühislamische Philosophie“ promoviert. Erst danach besann sie sich auf ihr jugendliches Engagement in den Instrumenten Klavier, Akkordeon, Saxophon und Klarinette samt Big Band-Erfahrungen und ging, inspiriert von der englischen Saxophonistin Barbara Thompsons, nach London. Sie studierte Klarinette am Trinity College und Komposition und Musikwissenschaft am nicht minder angesehenen Goldsmith College. Mit Georg Friedrich Händel teilt sie sich seither die Ehre, von Angelsachsen als englische Komponistin betrachtet zu werden auf diese Weise gelangte auch ihr „Pas de Deux“ für Klarinette und Klavier als einzige nicht-insulare Komposition in das „Spectrum for Clarinet“, ein international vertriebenenes Kompendium von zeitgenössischen Stücken für die zentral angelegten britischen Musikprüfungen, das demnächst erscheinen wird.
Während ihre Zeit in England so in das Schaffen einfließt, ist ein Bezug zum Hauptfach im Studium nicht zu erkennen. Dies, so die Komponistin, liege auch an der letztlich geringen Bedeutung, die Musik in der islamischen Philosophie einnehme. Allerdings habe sie sich durch ihr Beifach Griechisch beeinflussen lassen. Insbesondere die Klarheit des griechischen Denkens sowie der griechische Rhythmus, der von der Grundvorstellung der unteilbaren kleinsten Einheit ausgeht und diese Einheiten dann zu Kürzen und Längen gruppiert, habe ihr imponiert. Ein Werk, das allein diese Art von Rhythmus verwendet sind ihre Time Changes I-III für Klavier solo. Aber auch rhythmische Permutationen wie Diminutionen oder Augmentationen wie im jüngst fertig gestellten Orchesterwerk „Kinemata“ (für das Münchener Kammerorchester) finden Verwendung. Einen Bezug zu Carl Orff, den die melodische Rhythmik der griechischen Sprache fasziniert hatte, sieht sie dennoch nicht, dafür einen Bezug zur additiven, von Indien beeinflussten Rhythmik Messiaens.
Bei der Organisation der Tonhöhen fühlt sich Dorothee Eberhardt nicht zwangsweise an eine Technik oder ein System gebunden. Sie legt Tonzentren fest und lässt von dort aus im Sinne einer von ihr „kontrollierten Aleatorik“ Skalen, aber auch Arpeggien oder Akkorde entwickeln. Dabei können die Tonzentren durchaus einem Tonika-Dominant-Schema untergeordnet sein. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei der horizontalen Entwicklung von Linien, weniger der vertikalen. Dies schafft einerseits Präferenzen für Melodieschönheit, andererseits eine sorgfältige Herausarbeitung polyphoner Strukturen. Diese seien für sie ein sehr wichtiges Element der Musik, so die Komponistin. Programmatische Inhalte lehne sie ab, sie wolle Musik um ihrer selbst Willen leben lassen.
Der deduktive Ansatz einer Entwicklung der Detailstruktur aus dem „Gebilde“ sei bei ihr neu. Früher habe sie induktiv gearbeitet, sich aber dann gefragt, ob die Begründung der Wichtigkeit einer Einzelnote gegenüber einem größeren Ganzen tatsächlich von Wichtigkeit sei. Sie wolle sich damit auch „vom Klein-Klein der Strukturalisten absetzen.“ Die von Hegel bis Adorno entwickelte Linie, Kunst müsse zur Wahrheit hinführen, wertet sie als ihre Kompositionen überfordernd. Musik müsse etwas „Überirdisches, Magisches atmen und über die Welt hinausweisen“ und weniger erdverbunden sein, allerdings könne dieses im Zusammenhang mit der griechischen Sphärenharmonik vor Jahrtausenden entwickelte Postulat immer nur für kurze Momente aufblitzen und nichts Dauerhaftes sein, vergleichbar etwa physikalischen Experimenten im Bereich der Antimaterie oder der Transurane. Bezüge zur griechischen Philosophie öffnen sich dennoch, wenn die Komponistin ein „Staunen“ im Sinne der antiken Philosophie fordert. Dieses müsse sich immer wieder beim Betrachten oder Hören der Werke einstellen.
Trotz des transzendenten Moments sieht sie sich weder in der Tradition Bruckners, der in jeder Note quasi ein Glaubensbekenntnis sah, oder Messiaens, dessen streng katholische Mystik alle Bereiche der Natur wie Berge oder Vögel umfasste.
Ihre nächsten Pläne sind ein intensiverer Umgang mit dem Schlagzeug. Sie schätze an dieser Instrumentengruppe die faszinierende Kombination aus rhythmischer Stringenz und der Faszination von Klangelementen. Gerne würde sie nochmal ein Orchesterwerk wie jüngst für das Münchener Kammerorchester oder ein Melodram wie die „Bremer Stadtmusikanten“ schreiben.
Unzufrieden ist sie mit ihrem Frühwerk. Nach 20 Jahren fange sie nun langsam an, „was Gutes zu komponieren.“ Fehler von Frühwerken seien da wolle sie bei sich keine Ausnahme machen eine zu „offensichtliche, plum-pe Formgestaltung“, der die notwendige Subtilität fehle. Den Unterschied dokumentiere das Schaffens Mozarts und Carl Maria von Webers: Während ersterer oft überraschend, aber stets stimmig geschrieben habe, kündigten sich überraschende Wendungen bei zweiterem quasi per Lautsprecher an, Ideen würden zerstückelt, und es mangele an Eleganz.
Dorothee Eberhardt ist mit einem Wissenschaftler verheiratet, der sich mit Satellitenkommunikation befasst. Eine direkte Beeinflussung ihres Schaffens durch Synergieeffekte verneint sie. Allerdings führe die naturwissenschaftliche, in Formeln orientierte Vorgehensweise mit ihrer Klarheit des abstrakten Denkens wieder zurück zur Philosophie der griechischen Antike, in der ebenfalls eine Abwendung vom rein Stofflichen prägend war. Es mag beinahe frivol erscheinen, eine Komponistin nach ihren Vorstellungen für einen idealen Nachruf zu fragen. Und es erweist sich als fruchtlos. Darüber, so Dorothee Eberhardt, habe sie noch nie nachgedacht. Und, so ergänzt sie bescheiden, niemand wisse, ob „meine Musik dann noch gespielt wird.“