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Drei sind guter Dinge

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JMD kooperiert mit dem Prix Géraldine Whittaker
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Vom Winter in der Schweiz ist nicht viel zu sehen auf der Zugfahrt nach Neuchâtel. Der Nebel zwingt regelrecht dazu, den Blick auf das Naheliegende zu richten. Nahe dem Bahnhof liegt das neu gebaute Konservatorium – ein funktionaler Bau mit einem Innenleben aus frühlingshaftem Apfelgrün und irgendwie leitfähigem Aluminiumgrau. Nahe dem Bahnhof ist gut für die Kammerensembles, die sich aus der ganzen Schweiz hier am 5. und 6. Februar eingefunden haben, um den Prix Géraldine Whittaker der Jeunesses Musicales de Suisse (JMS) zu spielen. Es winken insgesamt 22.000 Schweizerfranken. Gestiftet wurde der Wettbewerb vor 22 Jahren zu Ehren seiner Namensgeberin Géraldine Whittaker, einer Mäzenin, die in der Förderung der JMS eine schöne und sinnvolle Weise sieht, einen Teil ihres Geldes auszugeben. Schön ist Kammermusik allemal, und sinnvoll ist es zweifellos, das kammermusikalische Musizieren auch mit einem nationalen Wettbewerb herauszufordern und zu fördern.

Zehn Ensembles waren angereist. Sie einten vor allem drei Dinge: Alle Musiker waren Schweizer Staatsbürger, unter 30 Jahre jung, und alle Ensembles waren Trios. Und dann griffen sofort die Unterschiede: Denn das barocke Sonatentrio mit Cembalo, Traversflöte und Gambe war ebenso vertreten wie die „klassischen“ Varianten des Klaviertrios mit Geige oder Klarinette und Cello oder Fagott, aber auch klavierlose wie das Streichtrio bis hin zu dem seit Debussy beliebten Komplott von Flöte, Bratsche und Harfe. Und so hörte man eine große Bandbreite von verschiedenen Auffassungen von Triospiel, von künstlerischer Reife, instrumentaler Fertigkeiten und aufeinander eingehender Triopartner, das eine grundsätzliche Problematik dieses Wettbewerbs aufscheinen ließ: Hier messen sich gut und gerne auch ambitionierte Amateure mit aufstrebenden Talenten der Musikhochschulen und vergleichsweise ausgereiften Jungprofis, die mit sichtlich viel Podiumserfahrung und einer leider sich schon „abgeklärt“ gerierenden Routine aber dennoch zu Recht den Pokal davontrugen: Mit einer als extrem spannende und in allen Nuancen, Kontrasten und Verästelungen plastisch durchgezeichnete Klangbühne vorgestellten „Fremden Szene III“ von Wolfgang Rihm und einem die narrativen, sentimentalen, kontrapunktischen und orchestralen Dimensionen des d-Moll-Trios von Schumann souverän ausspielenden Leistung überzeugte das „Trio Rafale“ mit Daniel Meller (Violine), Flurin Cuonz (Cello) und Maki Wiederkehr (Klavier) die Jury als die Entdeckung des Wettbewerbs.

Was für eine Entfernung zu verspielt-verhalten vorgetragenen Triosonaten von Rameau, Leclair und Telemann, zumal wenn dabei nicht im mindesten das dramatische, affektreiche und empfindsame Ausdruckspotential solcher Stücke mobilisert wurde. So sorgt – auch dies ein prinzipielles Problem solch offener Ausschreibungen – in aller Regel schon das mehr oder weniger gehaltreiche Repertoire, mit dem die Komponisten verschiedene Besetzungen bedacht haben, für einen Auftritt von Welter- gegen Schwergewichtler: Keines der mit Blasinstrumenten besetzten Ensembles konnte diesmal einen der Preise erringen. Und die hoch kompetente Jury, der neben Schweizer Orchestermusikern, Professoren und Komponisten auch Lady Valerie Solti angehörte, dürfte es sich nicht leicht gemacht haben, denn während die Aspiranten sich auf dem apfelgrünen Flur nervös die Beine in den Bauch standen, überzog man die Beratungszeit deutlich.

Nun war der Beobachter der Jeunesses Musicales Deutschland nicht mit dem Blick eines Konzertagenten anwesend, sondern um mit dem Spürsinn eines Talentscouts extrem entwicklungsfähige high potentials zu entdecken. Wofür? Für den Internationalen Kammermusikkurs der JMD auf Schloss Weikersheim, der für viele nationale und internationale Wettbewerbe ein interessanter Partner geworden ist. Denn die JMD lobt als Sonderpreis Stipendien für die Teilnahme an ihrem Campus-Projekt aus, dem mit internationalen Künstlern wie aktuell dem Cuarteto Casals hochrangige Dozenten ihre Kompetenz widmen. Hier wird kein Meisterkurs abgehalten, sondern ein dem jeweiligen Ensemble angemessenes Profil herausgearbeitet. Und so sind es nicht immer die „schon fertigen“ Künstler, an denen die JMD interessiert ist, ihr Sonderpreis ist nicht ein add-on für die strahlenden Sieger, sondern ein „incentive“ für junge Ensembles, die einen authentischen Ausdruck, eine individuell stimmige Interpretation suchen und die durch eine solche Förderung womöglich die Sieger von morgen sein und sich als hoffnungsvolle Garanten einer wirklich lebendigen Musikszene erweisen könnten. Deshalb hatte Uli Wüster als Generalsekretär der JMD mit seinen schweizer Kolleginnen Laura Ponti und Julia Raillard eine entsprechende Vereinbarung getroffen und durch seinen Besuch in Neuchâtel persönlich besiegelt.

Das von der Jury ausgewählte „Trio Mont Blanc“ hatte er sich schon in seinen Notizen als „sehr interessant“ markiert: Linda Bärlund (Violine), Nathan Selman (Bratsche) und Zéphyrin Rey-Bellet (Cello) erhielten für Beethovens opus 9/3 Randbemerkungen wie „transparent“, „differenziert ausgestaltet“ oder „mit Sinn und Verstand“, aber auch „persönliche Aussagekraft“. Ein Wunsch des Kritikers, der sich auf die Chance freut, hoch begabten jungen Musikern ein Stück weiter auf ihren Weg zu helfen, wird den jungen Künstlern in Weikersheim sicher erfüllt: „mehr Ruhe“, „mehr Zeit“, „viel mehr ausspielen“.

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