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Ende 2. Akt: Das Beziehungschaos spitzt sich zu – und hört sich wunderbar an. Foto: Susanne van Loon
Ende 2. Akt: Das Beziehungschaos spitzt sich zu – und hört sich wunderbar an. Foto: Susanne van Loon
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Tolle Liebesspiele und tödlicher Ernst

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Fünfzig Jahre Oper im Schlosshof in Weikersheim – die Jeunesses Musicales feiert mit Mozarts „Figaro“
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Die Anzeige eines Sponsors im Programmheft brachte es amüsant auf den Punkt: „1965 – ein Jahr, das Musikgeschichte schrieb: Die Scorpions, Jefferson Airplane, The Doors und Pink Floyd formieren sich zu Rockbands, ‚Help‘, das fünfte Album der Beatles, wird veröffentlicht.“ Und dann am Schluss: „Beethovens ‚Fidelio‘ eröffnet die Oper im Schlosshof in Weikersheim.“

Exakt hier beging Ende Juli die Jeunesses Musicales Deutschland das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Oper im Schlosshof mit Mozarts „Le nozze di figaro“. Gleichzeitig fand damit die Mozart-Trilogie der vergangenen drei Opernsommer (2011: „Cosi fan tutte“; 2013: „Don Giovanni“) ihren Abschluss. Neun Aufführungen mit jeweils bis zu 1.000 Besuchern ließen keinen Zweifel daran, dass die Junge Oper Schloss Weikersheim nicht nur nach wie vor ein Magnet für junge Spitzenkünstler darstellt, sondern auch „populär“ ist und ein breites Publikum aus jung und alt anspricht, das sich alle zwei Jahre ins entlegene Liebliche Taubertal aufmacht, um dort Musiktheater zu erleben.

Überfliegt man die Liste der Produktionen seit 1965, fällt es nicht leicht, programmatisch einen roten Faden auszumachen. Doch einige Konstanten bleiben über die Jahre: herausragende Dirigenten, junge Solisten, die ihr Versprechen auf eine erfolgreiche Karriere nach dem Sommer in Weikersheim einlösten – stellvertretend sei hier der Tenor Matthias Klink genannt, der 2009 sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York gab –, und nicht zuletzt Inszenierungen, über die man spricht. Das Wichtigste aber: Immer wieder war es gelungen, berührende Oper zu machen. Dies gilt insbesondere auch für den fulminanten Verwechslungsreigen des diesjährigen Figaro.

Dominik Wilgenbus inszenierte das Spiel um erotische Sehnsüchte und hierarchisierten Sex nicht türenschlagend wie in der Comedia dell’arte, sondern als ein feines Spiel der Protagonisten mit den Dingen. Gerade erst hatte der aufgeklärte Graf Almaviva das ius primae noctis abgeschafft, als ihm die Begegnung mit der schönen Susanna das feudale Vorrecht in Erinnerung ruft. Doch die Untertanen werden ihre neu gewonnene sexuelle Freiheit nicht wieder aufgeben. Wenige Accessoires wie ein Bett, ein Stuhl, ein Wäschekorb, ein Band der Gräfin, genügten den Sängern, die Handlung glaubhaft voranzutreiben. Sie agierten in einem abstrakten Bühnenbild von Udo Vollmer, das von drei monumentalen Tafelbildern dominiert wurde, die je nach Bedarf von den Mitgliedern des Opernchores gedreht wurden und so immer neue Ansichten und Kulissen bildeten. Ein Bühnenbild im Sinne einer Arte Povera, das alles im Offensichtlichen beließ, aber dabei authentischer wirkte als ein platter Realismus.

Wer allerdings darauf gewartet hatte, dass die Leitern und Podeste der drei Stockwerke hohen Türme von den Sängern auch bespielt würden, tat dies vergebens. Die Solisten, die Wilgenbus wie ein Versprechen schon während der Ouvertüre stumm an die Rampe gestellt hatte, agierten permanent im Parterre.

Künstlerisch dagegen bewegten sie sich erfreulicherweise in den oberen Etagen. Wenn Emma Moore als Gräfin Almaviva ihre Arie „Porgi, amor, qualche ristoro“ seufzt, dann wird aus dem Trubel des 1. Aktes schlagartig tödlicher Ernst. Beinahe so, als ob die Oper mit der Larghetto-Kavatine der Gräfin zu Beginn des 2. Aktes die Oper erst begonnen hätte. Moore gestaltete diesen hochromantischen Vorhalt Mozarts auf die Oper des 19. Jahrhunderts bravourös als ein echtes Bekenntnis. Die originellen, semi-historischen Kostüme von Uschi Haug zeigten nicht nur den gesellschaftlichen Stand ihrer Träger, sondern auch deren seelischen Ausdruck.

Das hinreißende Ensemble, das Wilgenbus zur Verfügung stand – alle sind nicht nur kompetente Sänger, sondern auch überzeugende Darsteller –, erlaubte es dem Regisseur, die bekanntermaßen wirre Handlung des „tollen Tages“ in ein stringentes Drama zu verwandeln, das sein – in der Musik bereits angekündigtes – Happy End erst nach dem Durchleben einer Art Sommernachtsalptraum erreicht. Wilgenbus und sein Choreograf Erich Payer inszenierten den Projektchor als modernes Tanztheater: Die Choristen schlugen sich dabei tapfer, konnten aber nicht verbergen, dass sie zwar Profis im Vokalen, aber nur ambitionierte Amateure im Bereich des modernen Ausdruckstanzes sind.

Joanne D’Mello war als Susanna auf eine wunderbar natürliche Art komödiantisch. Mit ihrem soubrettig-leichten Sopran gestaltete sie ihre Partie detailreich zwischen zart und zornig. Justus Seeger als ihr Gegenüber traf den Buffo-Charakter des Figaro mit voll tönendem und kernigem Bariton. Wie beinahe alle Solisten, sang er seine Partie nicht nur textverständlich, sondern war auch ein überzeugender Solist. Der Bariton des Grafen Alamaviva war etwas schlanker, eleganter als der des Figaro – Changhui Tan in seiner Rolle als liebestoller Potentat überzeugte ebenfalls.

Szenenbeifall für Kimberley Boettger-Soller und ihren strahlend klaren Mezzosopran: Ihr Cherubino bewegte sich tapsig-teenagerhaft in der Welt des Eros zwischen den wohlwollenden Blicken der erfahrenen Gräfin und der unschuldigen Liebe Barbarinas. Dorothee Bienert als Barbarina, Florence Minon als Marcellina, Mooyeol Yang und Julian Freibott als Bartolo und Basilio konnten ebenfalls überzeugen und trugen ihren Teil dazu bei, aus den Ensembles Überwältigungsnummern zu machen.

Dirigent Bruno Weil und Konzertmeisterin Elizabeth Wallfisch hatten die sehr jungen Musiker des European Youth Orchestra im Schnellverfahren mit historisch-informierter Auf-führungspraxis bekannt gemacht und erhielten somit den gewünschten geschmeidigen Mozartklang. Weil dirigierte zügig voraus und schuf so den orchestralen Puls, der drei Stunden lang die Sänger, aber auch das faszinierte und in jeder Szene mitatmende Publikum durch die Handlung trug.

Fünfzig Jahre Junge Oper Weikersheim war das Programmheft zum Figaro überschrieben. Das wirft die Frage nach der Zukunft auf. Heute stellt sich die Ausbildungssituation für junge Sänger völlig anders dar als noch vor 50 Jahren: Die meisten Musikhochschulen bieten eine praxisnahe Ausbildung in Opernstudios an, deshalb hat die Junge Oper Weikersheim ihre Alleinstellung inzwischen eingebüßt. Dennoch ist das Interesse der jungen Profis an den biennal stattfindenden Opernkursen nach wie vor ungebrochen, denn Weikersheim gilt als einer der Königswege ins erste Festengagement. Damit dies so bleibt, muss sich die Oper im Schlosshof weiterhin wandeln. Die sich über drei Ausgaben erstreckende Mozarttrilogie könnte der Anfang einer zukunftsweisenden Konzeption sein. Aber: Sticht Mozart wirklich stets die Moderne?

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