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Positionen der Parteien unter dem Mikroskop

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Die Wahlprüfsteine des Deutschen Kulturrates in musikalischer Hinsicht · Von Reinhard Schulz
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Es war ein stattlicher Fragenkatalog, den der Deutsche Kulturrat den im Bundestag vertretenen Parteien in Bezug auf ihre Vorstellungen von Kulturpolitik vorlegte: 83 auf 8 übergeordnete Komplexe verteilte Fragen (die Sonderausgabe zur Bundestagswahl der Zeitung „politik und kultur“ war der letzten Ausgabe der nmz beigelegt). Und die Parteien haben alle brav und mit Fleiß geantwortet, fast so, als seien sie jetzt selbst das Objekt einer PISA-Studie.

Es war ein stattlicher Fragenkatalog, den der Deutsche Kulturrat den im Bundestag vertretenen Parteien in Bezug auf ihre Vorstellungen von Kulturpolitik vorlegte: 83 auf 8 übergeordnete Komplexe verteilte Fragen (die Sonderausgabe zur Bundestagswahl der Zeitung „politik und kultur“ war der letzten Ausgabe der nmz beigelegt). Und die Parteien haben alle brav und mit Fleiß geantwortet, fast so, als seien sie jetzt selbst das Objekt einer PISA-Studie. Ein paar Vorbemerkungen seien erlaubt. Zum einen gehört das Ressort Kultur immer schon zur knetbarsten Masse, wenn es um Versprechungen und ihre Einhaltung geht. „Soll für eine Theateraufführung ein Kindergarten oder ein Altersheim geschlossen werden?“ fragte vor kurzem Münchens OB Christian Ude, als er kulturelle Sparmaßnahmen begründen sollte (nein, soll es nicht, möchte man antworten; wichtig aber wäre, dass den Kindern und den Alten das Vergnügen am Theater nicht noch zusätzlich ausgetrieben wird). Fast alles ist in den Augen der jeweils regierenden Parteien wichtiger als die Kultur: innere und äußere Sicherheit, Verkehr, Handel, Wirtschaft, soziale Netze (sowohl auffangende als auch knebelnde), Wissenschaft et cetera. Deswegen kann man Antworten, die von der Bedeutung der Kultur im Sinne eines ganzheitlichen Menschen nebulös herumfabeln, getrost zum Altpapier legen. Kultur als eng vernetztes System im Ganzen, als Bestandteil in den kreativen Bereichen der Wirtschaft, als Gegenstand der Identitätsstiftung und von geistiger Heimat (was rückwirkt auf innere wie äußere Sicherheit), all dies wird viel zu schwach pointiert. Klarheit der Stoßrichtung aber vermittelten die meisten Antworten auf die vielleicht zu detaillierten Fragen kaum.

Ein zweiter Punkt wäre dem Fragenkatalog selbst anzulasten. Nirgendwo wurde den Parteien ein Bündel von Fragen gestellt, das geeignet wäre, den Kulturbegriff der einzelnen Partei selbst zu umreißen (immer wurde man vorschnell konkret, etwa in Richtung sozialer Absicherung, Urheberrecht, europäische Integration, soziales Jahr et cetera). Das aber wäre ein ganz wesentlicher Aspekt. Man kann heute zum Beispiel (jetzt in Bezug auf die Musik) nicht davon sprechen, dass die Jugend immer weniger mit musikalischen Phänomenen konfrontiert und von einer visuellen Welt absorbiert würde, wenn man an jeder Straßenecke und auf jedem zweiten U-Bahnsitz einem verstöpselten Jugendlichen begegnet, der sich seine 200 Beats per Minute reinzieht. Da hat er seine Musik und stört sich auch nicht an der großen Anfrage der CDU/CSU zur Rock- und Popmusik, die letztlich darauf abzielte, deutsche Versionen dieser Beats per Minute entschiedener und wirtschaftlicher auf dem Weltmarkt zu verankern. Was dem solche Kultur Absorbierenden letztlich egal ist.

Die Parteien hätten ihren Kulturbegriff zu erläutern. Denn mit Kultur kann man vieles machen: Man kann die Menschen im Amüsement, jetzt besser im „Easy Feeling“ ertränken (etwas, was sowohl Propagandaminister Goebbels argumentativ als auch die vom US-Markt dominierte Kulturindustrie, hier ohne viele Argumente, vertraten und vertreten), man kann ihnen „hehre“ Gefühle (auch unter dem Deckmantel von „Werten“) vermitteln, die die Bereitschaft für was auch immer befördern (auch hier bieten der Nationalsozialismus, aber auch die Stalinistische Kulturpolitik, reichlich Beispiele), man kann aber Kultur auch so verstehen, dass der Mensch neugierig gemacht wird, dass sein kritischer Verstand im kreativen Vergnügen geweckt wird – es ist ein Mensch, der der kruden Politik nicht selten unangenehm im Wege stehen wird. Der Einsatz einer Partei für die Kultur kann nicht von solchen Basisfragen abgetrennt werden. Wer hier nur nach abhakbaren Zahlen und nach Vermittlungskanälen fragt, muss letztlich in die Irre gehen. Man mag es als Symptom heutiger Kulturauffassung ansehen, dass diese inhaltliche Seite eine relativ untergeordnete Rolle spielt – ganz im Gegensatz zu früheren Geschichtsperioden. Wenn man sich heute mit Blick auf die PISA-Studie fast so etwas wie eine Finnlandisierung Mitteleuropas wünscht, dann sollte man auch einmal einen Blick darauf tun, wie viel Finnland in den letzten Jahren in Richtung auf einen kritischen Kulturbegriff in Gang setzte.

So hätte der Fragenkatalog seitens der Parteien durchaus eine kritische Vorbemerkung verdient, eine die auf das eigene Kulturverständnis fokussiert. Dafür aber sahen nur die CDU/CSU und die PDS eine Notwendigkeit, während die übrigen Parteien sich wie in einer Schulprüfung sofort beflissen an die Arbeit machten. Die Vorbehalte von CDU/CSU verdienen einer Erwähnung: „Der vorgelegte Fragenkatalog des Deutschen Kulturrates an die im Bundestag vertretenen Parteien mit seinen über 80 Fragen plus ungezählten Unterfragen entspricht in seinem Anspruch auf Vollständigkeit ziemlich genau den Erwartungen einer deutschen Behörde. Das ist ebenso beeindruckend wie deprimierend. Dem Versuch einer möglichst vollständigen Erfassung aller relevanten Sachverhalte der Kulturpolitik sowie einiger angrenzender Bereiche kann aus grundsätzlichen wie praktischen Gründen nicht entsprochen werden.“ Man verweist darauf, dass finanzielle Absichtserklärungen häufig nur Augenwischerei betreiben, die einzig populistischen Tendenzen Vorschub leisten. Das ist zumindest ehrlich.
Die PDS betonte in ihrer Vorbemerkung, dass sie den Anspruch, „Kulturpolitik als gestaltende und nicht als nachvollziehende Politik zu begreifen“ besonders unterstützt und verweist im Übrigen darauf, dass sie in der Entwicklung eines eigenen Kulturverständnisses (getragen von ihrer Losung der „sozialen Gerechtigkeit“) noch eine Reihe von Defiziten (in Bezug auf westliche Kulturformen) und die Erfahrungen der DDR-Kulturpolitik aufzuarbeiten hätte. Und sie schickt unter Frage 1.1 (zu gesamtstaatlichen Aufgaben von Kulturpolitik) nach: „Nach unserem Verständnis ist Kultur nicht allein ein Ressort politischen Handelns, sondern sinnstiftender Hintergrund politischer Programmatik und Moment aller Aktivitäten, mit denen die Partei auf Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels reagiert. Auf dieser Grundlage wird die PDS sich auch in den nächsten Jahren für kulturelle Selbstbestimmung und die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen engagieren. Kultureller Selbstausdruck und Teilhabe an der Kultur dürfen nicht Vorrecht Einzelner, sondern müssen für alle möglich sein.“ In solchen Äußerungen der CDU/CSU oder der PDS bekundet sich einiges Unbehagen gegenüber dem Fragenkatalog, der in seiner Detailfixiertheit den Blick auf ein gesamtes Kulturverständnis eher verstellen als erhellen könnte.

Blicken wir auf konkrete Fragen in Bezug auf die Musik. Hier ist besonders die Frage 1.10 von besonderem Interesse, die auf die Förderung des kompositorischen Schaffens beziehungsweise von Aufführungen zeitgenössischer Musik gerichtet war. Gerne wird man hier eine Zusicherung der SPD zur Kenntnis nehmen: „Allgemein formuliert: Für die Förderung zeitgenössischer Musik, für Erstaufführungen und ihre Vermittlung gegenüber dem Publikum kann gar nicht genug getan werden. So werden wir dafür sorgen, dass erprobte Veranstaltungen – wie die Donaueschinger Musiktage oder das ,Konzert des Deutschen Musikrates’ (das ist allerdings angesichts der Vielzahl der Aktivitäten eine Formulierungsschwäche! R.S.) – auch in Zukunft ausreichend finanziert bleiben.“ Gerne wird man die Partei nach ihrer eventuellen Wiederwahl in dieser Sache beim Wort nehmen.
Die CDU/CSU äußerte sich auf diese Frage etwas pauschaler und hielt sich auch im Hinblick auf ihre Pop- und Rock-Musik-Aktivitäten ein zusätzliches Türchen offen: „Komposition, Aufführung zeitgenössischer Musik sind in der Musikgeschichte des Landes wichtige Bestandteile des lebendigen kulturellen Schaffens. Die musikalische Nachwuchsförderung und Wettbewerbe sollten neben der Pflege der Musiktradition bis einschließlich des 20. Jahrhunderts sowohl der Komposition als auch der Interpretation zeitgenössischer Werke angemessenen Raum geben. Dies gilt für das Musiktheater, die Orchester-, Ensemble- und Vokalmusik und zunehmend auch für den Bereich der so genannten ,U-Musik’ (Rock, Pop, Jazz, Folk, HipHop und andere neue Musikstile), da die Grenzen zwischen den Genres immer weniger plausibel sind.“ Ob hiervon entscheidende Initiativen zu erwarten sind, oder ob dadurch alles mehr oder weniger beim Alten bleibt, sei dahingestellt.

Eine launige Idee wurde bei dieser Frage von den Grünen entwickelt: die Ankoppelung des Zeitgenössischen an historische Erfolgsträger: „Durch die Verbesserung beim Urhebervertragsrecht hat die jetzige Bundesregierung die Situation von Komponisten wesentlich verbessert (mancher Komponist würde hier wohl ein Fragezeichen setzen, R.S.). Was die Förderung von Aufführungen zeitgenössischer Musik betrifft: Hier regen wir an, über ,Voropern’ nachzudenken. Vor klassischen Opern bekämen so zeitgenössische Musikopern (wohl ein Neologismus, R.S.) die Möglichkeit, ihre Arbeiten einem größeren Publikum zu präsentieren. Dieses Konzept ließe sich womöglich generell auf Aufführungen zeitgenössischer Musik übertragen.“ Freilich darf man nachfragen, was wohl die Hebel wären, um solche Konzepte bei zuständigen Intendanten oder Orchesterleitern durchzusetzen.

Die FDP verharrte im Wesentlichen bei Absichtserklärungen: „Neben eher traditionellen Kunstformen wie Malerei und Plastik, ebenso Installationen (die zuständigen Künstler werden sich für ihre Einordnung als traditionell bedanken, R.S.), sollen auch innovative und experimentelle Kunstformen im musikalischen und darstellerischen Bereich bessere staatliche Rahmenbedingungen erhalten. Diese Kunstformen reflektieren eine aktuelle gesellschaftliche Entwicklung und können Wegweiser für eine Problem- und Zukunftsbewältigung sein. Mit der staatlichen Förderung dieser Kunstformen sollen besonders Nachwuchskünstler und -künstlerinnen die Möglichkeit erhalten, ihre künstlerische Tätigkeit frei zu entfalten. Auch die wettbewerbsrechtliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für Künstler, Kulturvermittler und Kunstmarkt, so etwa die Modernisierung des urheberrechtlichen Folgerechts, gehören zu einer zukunftweisenden liberalen Kulturpolitik.“ Auch hier mag jeder selbst entscheiden, wie bindend solche Aussagen für effektive Maßnahmen sein werden.

Die PDS schließt sich in Bezug auf diese Frage an das Positionspapier des Deutschen Komponistenverbandes aus dem Jahr 2000 an und verspricht, sich für die dort formulierten Forderungen nachdrücklich einzusetzen. Ergänzt wird: „Auch wir sind der Auffassung, dass das Musikschaffen nicht ausschließlich von Marktmechanismen bestimmt werden darf und dass insbesondere das zeitgenössische Schaffen besonderer öffentlicher Förderung bedarf. Dabei sollte aus unserer Sicht das gesamte musikalische Spektrum im Blick sein und nicht nur die so genannte ernste Musik. Traditionelle Unterteilungen in ernste und unterhaltende Musik sind angesichts der gegenwärtigen vielfältigen, sich gegenseitig beeinflussenden und überlappenden Musikszenen ohnehin wenig sinnvoll. Uns würde es um das jeweils Neue, Ungewohnte, Experimentelle gehen, das unabhängig vom Genre zu fördern wäre. Damit dieses Neue immer wieder entsteht, bedarf es der Anreize – muss diese Musik auch gesendet, aufgeführt und verkauft werden. Und die Erlöse für die Komponisten sollten in einem angemessenen Verhältnis zur kommerziellen Auswertung (besser wohl: Verwertung, R.S.) ihrer Werke stehen.“

Kursorisch sei noch auf ein paar verstreute Äußerungen zu anderen Themen im Bereich der Musik eingegangen. Zur Frage etwa von Quoten in Rundfunksendungen zugunsten deutscher Popmusik äußern sich die Parteien vorsichtig. Es geht von vorsichtiger Prüfung des französischen Modells (mit Quoten) seitens SPD und den Grünen über die Mahnung zu großer Vorsicht (PDS, da sie mit solchen Reglementierungen in der DDR schlechte Erfahrungen machte) bis hin zur klaren Ablehnung (CDU/CSU und wohl auch die FDP). Zur Erhaltung von Theater und Orchesterlandschaft fallen die Antworten selbstverständlich quer durch die Parteien positiv aus, man verweist darauf, dass dies jedoch in erster Linie Aufgabe der Kommunen sei, die SPD nimmt dabei die Gemeinden in die Pflicht, CDU/CSU ergänzen mit dem Hinweis auf notwendige Änderungen im Steuerrecht, um die Mittel zu sichern, die Liberalen denken auch an eine Erleichterung der Stiftungsarbeit. Die PDS führt des weiteren an, dass Theater und Orchester selbst beharrlich am vitalen Interesse der Bürger an solchen Institutionen arbeiten müssen, lenkt den Blick also auf die Inhalte. Zugleich fordert sie, dass die stark anwachsenden Privatvermögen von Unternehmen wieder verstärkt in solche Kanäle zu lenken wären.

Ein Punkt verdient noch der Erwähnung, der die schulische Ausbildung betrifft. Hier hebt die CDU/CSU den Wert der musischen Fächer für die gesamte Persönlichkeits- und Wissensbildung explizit hervor, die Grünen lenken den Blick hin auf die vorschulischen Bildungsangebote und ebenso fordert die PDS, „dass künstlerische Schulfächer gegenüber den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern gleichrangig“ zu behandeln seien. In Bezug auf diese Frage herrscht freilich weitgehend Konsens bei allen Parteien, es fragt sich nur, warum diese Meinungen immer weniger in Lehrplänen ersichtlich werden.

Insgesamt kann gesagt werden, dass die Beflissenheit der Beantwortung durch alle Parteien eines kaschiert: in Fragen von kultureller Arbeit innerhalb jeder Partei herrscht eine mehr oder weniger große Unsicherheit. Man vertraut auf Initiativen vor Ort, die Künstler werden sich auch in Zukunft immer wieder vehement selbst rühren müssen, um ihre Interessen oder Initiativen durchzusetzen. Das weitere dürfte immer wieder von wirtschaftlichen Wetterlagen abhängig sein.

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