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Beim Modewort „Berliner Republik“ fällt einem der Föderalismus nicht als erstes ein. Daß von der „Berliner Republik“ gesprochen wird und nicht von der Bundesrepublik zeigt, daß der Föderalismus in Deutschland in einer Identitätskrise steckt. Die föderalen Strukturen reagieren nur unzureichend auf die geänderte Lage nach der Wiedervereinigung und sie positionieren ihr Verhältnis zum Bund nicht neu. Die Länder verlieren Einfluß in der „Berliner Republik“ und antworten darauf, fast trotzig, mit einem dem obrigkeitsstaatlichen Denken entlehnten „Hoheitsbegriff“. So wird die „Kulturhoheit“ der Länder teilweise als ein universeller Alleinvertretungsanspruch der Länder in allen kulturpolitischen Fragen gedeutet.
Hauptgrund für die Bewegungslosigkeit der föderalen Strukturen ist ein selbstverordnetes Denkverbot. Wer über die Entwicklung des Föderalismus nachdenkt, will ihn in letzter Konsequenz nur abschaffen, ist die Devise. Doch die Aufregung ist überflüssig, Der Föderalismus fußt auf der jahrhundertealten Tradition der „kleinen Einheiten“. Waren es in den vergangenen Jahrhunderten die Kleinstaaten, sind es heute die Länder. Der Föderalismus ist eines der im Grundgesetz verankerten Staatsstrukturprinzipien der Bundesrepublik Deutschland, das auch durch eine Änderung des Grundgesetzes nicht aufgehoben werden kann. Eine Diskussion über den Föderalismus kann die föderalen Strukturen deshalb nur verbessern, nicht aber gefährden!
Die gerade im letzten Bundestagswahlkampf geführte lebhafte Debatte zwischen den Ländern und dem Bund, wer denn eigentlich für was im kulturellen Bereich zuständig sei, wurde nie konsequent zu Ende gedacht. Es ist unstrittig, daß die Länder die Richtlinien der Kulturpolitik in Deutschland bestimmen. Die Kommunen, und auch das ist unstrittig, finanzieren zum größten Teil die Kultur und der Bund schafft in erster Linie die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Kulturwirtschaft und für die soziale Absicherung der Künstlerinnen und Künstler über seine Gesetzgebungskompetenz. Die Europäische Union wird, und das ist dringend notwendig, in der Zukunft schon aufgrund des Paragraphen 128 des Maastrichter Vertrages mehr Gestaltungsmöglichkeiten für eine europäische Kulturpolitik fordern. Vergessen wurden in der kulturpolitischen Diskussion des letzten Bundestagswahlkampfes der Umstand, daß es für die Gestaltung der Kultur nicht nur die staatlichen Körperschaften gibt.
Die föderale Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut. Höher gelagerte Institutionen sind zur Hilfe von kleineren Einheiten verpflichtet, sofern diese ihre Aufgaben nicht allein wahrnehmen können. Im Vertrag von Amsterdam wurde das Subsidiaritätsprinzip auch für die Europäische Union erneut festgeschrieben. Die Europäische Union wird nur dann tätig, wenn die kleineren Einheiten, also die Mitgliedsstaaten, die Länder oder Regionen, die Kommunen und die freiwilligen Zusammenschlüsse, Aufgaben aus eigenen Kräften nicht erfüllen können.
Nichtstaatlichen Einrichtungen, also freiwilligen Zusammenschlüssen wie Arbeitsgemeinschaften, Vereinen und Verbänden, kommt nach dem Subsidiaritätsprinzip eine herausragende Bedeutung zu. Sie sind nach der Familie die kleinste Organisationseinheit in der Gesellschaft.
Bürgerschaftliches Engagement, das heißt die freiwillige Tätigkeit von Bürgerinnen und Bürgern in Organisationen des Dritten Sektors, hat in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen. Zu Recht wird immer häufiger die Frage gestellt, warum der Staat Aufgaben wahrnehmen muß, die eigentlich von Organisationen des Dritten Sektors ebenso erfüllt werden können. Eine Belebung der Demokratie, die Selbstverantwortung der Bürger und Bürgerinnen für das Gemeinwesen kann nur über die Organisationen des Dritten Sektors erfolgen, die sich im Bereich zwischen Markt und Staat befinden. Sie sind in direkter Nähe zu den Bürgern und Bürgerinnen und können damit unmittelbar handeln.
Bei konsequenter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips setzt staatliches Handeln erst ein, wenn die Organisationen des Dritten Sektors ihre Aufgaben nicht mehr allein bewältigen können. Erst dann können zunächst die Kommunen, dann die Länder, danach der Bund und schließlich die Europäische Union eintreten. Der Staat hat neben hoheitlichen Aufgaben damit vornehmlich die Aufgabe, mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen die Optionen für privates und bürgerschaftliches Handeln zu optimieren. Zur Optimierung dieser Rahmenbedingungen ist ein konstruktiver Dialog zwischen Staat, und hier besonders der Verwaltung, und den Dritte Sektor-Organisationen unerläßlich.
Der Deutsche Kulturrat gehört als Nichtregierungsorganisation zum Dritten Sektor. Gemeinsam mit der Kulturpolitischen Gesellschaft, ebenfalls einer Dritte-Sektor-Organisationen, wur-de in Bonn der Cultural Contact Point Germany eingerichtet. Bei dem Aufbau des Cultural Contact Point Germany, dem nationalen Beratungsbüro für die europäischen Kulturprogramme, konnte in den letzten Monaten exemplarisch die Wirklichkeit eines wenig subsidiär verstandenen Kulturföderalismus erlebt werden. Hauptaufgabe des Cultural Contact Point ist die Information über europäische Kulturförderungsprogramme sowie die fachliche und sachliche Prüfung von Förderungsanträgen in Hinblick auf die Förderungschancen bei der Europäischen Union. Die EU-Kommission hat mit der Vergabe des Cultural Contact Point an eine Nichtregierungsorganisation das im Amsterdamer Vertrag festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt. Der Cultural Contact Point stößt bei Kulturorganisationen, -vereinen und -initiativen sowie Künstlerinnen und Künstlern auf eine sehr positive Resonanz.
Gerade die Verankerung des Deutschen Kulturrates und seines Kooperationspartners, der Kulturpolitischen Gesellschaft, in der Kulturszene, die unmittelbaren Kenntnisse der finanziellen und personellen Ausstattung der potentiellen Antragsteller für Europäische Kulturförderungsmittel sind bei der Beratung unverzichtbar. Die Nähe des Deutschen Kulturrates zu den Kulturverbänden, -initiativen und -vereinen sowie den Künstlerinnen und Künstlern hat sich bewährt. Trotzdem wurde in den letzten Monaten die Ansiedlung des Cultural Contact Point bei einer Organisation des Dritten Sektors in Frage gestellt. Ist die Beratung von potentiellen Antragstellern bei den Kulturprogrammen der Europäischen Union nicht eigentlich Ländersache? Müßte nicht eigentlich der Deutsche Städtetag oder die Kultusministerkonferenz Träger einer solchen Einrichtung sein? Fachlich könnten selbstverständlich alle Kulturministerien in den Bundesländern, die kommunalen Spitzenverbände und auch die Geschäftsstelle der Kultusministerkonferenz Träger des Cultural Contact Point Germany sein, dem subsidären Föderalismus würde eine solche Angliederung aber widersprechen.
Die Erfahrungen bei der Ansiedlung des Cultural Contact Points, der nun offensichtlich dauerhaft beim Deutschen Kulturrat in Bonn verbleiben soll, hat deutlich gemacht, daß dringender Diskussionsbedarf besteht. Was wir brauchen, ist eine Diskussion über die föderalen Strukturen im subsidiären Staat.