Dr. Mario Frei erforschte im Rahmen seines Promotionsprojekts das Erklären von Inhalten aus dem Bereich Musiklehre. Für seine 2023 abgeschlossene Dissertation „Erklären im Musikunterricht. Eine Studie zu Qualitätsmerkmalen“ wurde er mit dem Kulturpreis Bayern der Bayernwerk AG ausgezeichnet. Er arbeitet an der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Educational Data Science.
Gutes Erklären im Musikunterricht
VBS: Im Musikunterricht wird, wie in vielen anderen Fächern auch, immer schon erklärt. Wurde dieser spezielle Aspekt des Unterrichtens im Fach Musik vor deiner Arbeit noch nie erforscht?
Mario Frei: Mir ist dazu tatsächlich nichts bekannt gewesen. Der Ausgangspunkt meiner Arbeit war ja auch die interdisziplinäre Herangehensweise des Forschungsprojekts FALKE-q an der Universität Regensburg. Da gab es eine Gruppe an Schulfächern, bei der es schon Forschung gab, und auch eine Gruppe an Fächern, die sich bis dahin noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hatte.
VBS: Konntet ihr bei eurer Arbeit über die Fächergrenzen hinweg grundsätzlich allgemeingültige Merkmale guten Erklärens im Unterricht entdecken?
Frei: Ja, das konnten wir. Wir haben uns einerseits natürlich auf die Literatur in den Fächern gestützt, in denen es schon Vorarbeiten gab. In Deutsch und Mathematik gab es zu dem Thema schon etwas, in den Fremdsprachendidaktiken zum Teil auch, ebenso in den Naturwissenschaften. Das heißt, dort gab es Merkmale guten Erklärens, die wir dann in großer Gruppe diskutiert haben. Dann haben wir anhand dieser Merkmale unsere eigene Fachdomäne angeschaut und überlegt: „Passt das hier rein?“, „Heißt es vielleicht bei uns nur anders?“, und so weiter.
Ein Beispiel dafür ist der Aspekt Adressatenorientierung. Dass ich mich an den Adressaten von Unterricht orientiere, ist wahrscheinlich nicht nur ein Prinzip für Erklären, sondern ein Prinzip für Unterricht an sich. Im Fach Musik spielt das eine ganz besondere Rolle, gerade bezüglich der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern. Das war ein Aspekt guten Erklärens, den wir für das Fach Musik übernehmen konnten. Daneben haben wir auch noch die Strukturiertheit und die sprachliche Verständlichkeit von Erklärungen in den Blick genommen. Glücklicherweise war in unserem Projekt nicht nur die Sprachwissenschaft involviert, sondern auch die Sprechwissenschaft und deswegen haben wir dann auch noch speziell diesen performativen Charakter von Erklären untersucht.
VBS: Hat sich bei eurer Arbeit in irgendeiner Form herausgestellt, dass gutes Erklären im Musikunterricht anders ist als in anderen Fächern?
Frei: Eine Sache, die wir alle in diesem Projekt festgestellt haben, ist, dass es kaum Aspekte gibt, von denen man einfach behaupten kann, dass sie vor allem für ein Fach wichtig sind und nicht mindestens in einem anderen Fach auch von Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür sind Repräsentationen – irgendetwas wird repräsentiert als eine Art Objekt, das für etwas anderes steht. Dabei geht es bei uns nicht nur um eine visuelle Darstellung, sondern natürlich auch um eine akustische Form der Darstellung. Das ist für das Fach Musik ganz entscheidend. Aber es hat sich herausgestellt, dass das beispielsweise auch auf das Fach Deutsch zutrifft, wenn es um die Vortragsweise eines Gedichts geht. Da ist dies auch eine Form der akustischen Repräsentation, die eine Lehrkraft vormachen kann. Das gilt genauso für den Fremdsprachenunterricht.
Man kann also sagen, alle von mir untersuchten Aspekte können musikspezifisch ausgeschärft werden, aber es ist nicht so, dass Erklären im Fach Musik grundsätzlich etwas komplett anderes ist als in den anderen Fächern.
VBS: Du hast speziell das Erklären im Bereich Musiktheorie untersucht. Kannst du für die Leser*innen, die deine Arbeit nicht kennen, kurz in einfachen Worten umreißen, wie dein Versuchsaufbau und deine Hauptfragestellung ausgesehen haben?
Frei: Ich wollte die Besonderheit dieser akustischen Repräsentationen für das Erklären herausarbeiten. Ist das, was für unser Fach so spezifisch ist, nämlich dass Musik erklingt, etwas, was die Qualität von Erklärungen stärker beeinflusst, als wenn ein Inhalt nur optisch repräsentiert wird? Diese beiden Darstellungsformen – optische und akustische Repräsentationen – wurden über verschiedene kurze Erklärsequenzen hinweg variiert. Das heißt, wir haben hier ein experimentelles Design durchgeführt. Eine Erklärung hatte eine optische Repräsentation, eine nicht, eine hatte eine akustische, die andere nicht, manche Erklärungen hatten beides.
Wenn eine Erklärung insgesamt als besser bewertet wurde, konnten wir sehen, welche dieser Merkmale einen Einfluss auf die empfundene Erklärqualität haben. Das waren die zwei Hauptfragestellungen: Welche Merkmale und insbesondere welche Rolle haben optische oder akustische Repräsentationen in diesem Kontext.
VBS: Dazu hast du Erklärvideos erstellt, und diese Videos dann unterschiedlichen Zielgruppen vorgestellt, Lehrkräften und auch Schüler*innen. Diese sollten die Erklärqualität der jeweiligen Videos anschließend bewerten. Konntest du dabei grundsätzliche Unterschiede bei den Bewertungen von Schüler*innen und Lehrkräften feststellen?
Frei: Man kann auf jeden Fall sagen, dass sich alle schon in der Tendenz darüber einig waren, was denn eine bessere Erklärung und eine schlechtere Erklärung war. Vor allem wurde von allen gleichermaßen schlecht beurteilt, wenn es keine optische Repräsentation in der Erklärung gab. Auch hat sich gezeigt, dass Lehrkräfte die Erklärungen mit einer viel stärkeren Differenziertheit bewertet haben. Alle Teilnehmer*innen mussten die gezeigten Videos mit Schulnoten bewerten und die Lehrkräfte haben – im Gegensatz zu den Schüler*innen – hier auch die volle Bandbreite der möglichen Noten genutzt.
VBS: Seit der Jahrtausendwende gilt in der Musikpädagogik das Paradigma „Sound before Sight“ als gesetzt. Darunter versteht man das Konzept, dass ein musiktheoretischer Sachverhalt dann von Schüler*innen besser verstanden wird, wenn er zuvor hörend oder – noch besser – praktisch musizierend erfahren wird. Konntest du in deiner Arbeit Indizien für die Richtigkeit dieser These finden?
Frei: Also ich glaube, in diesem Kontext müssten wir zwei Dinge diskutieren. Das Erste wäre, was bedeutet in dem Fall Verstehen? Das Zweite wäre: Ist das eine reine Einschätzung, dass wir glauben, dass es so ist, oder können wir es auch zeigen, haben wir dafür Evidenz? Die Evidenz dafür kenne ich persönlich nicht. Wenn ich jetzt auf die Ergebnisse meiner Arbeit schaue, dann kann ich auch nicht klar bestätigen, dass immer diese Reihenfolge von allen als besser bewertet wurde.
Ich habe ja nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Ergebnisse und gerade da kamen von den Lehrkräften öfter auch mal Hinweise zur Reihenfolge, zum Beispiel dass sie etwas umdrehen würden und eben erst ein Konzept visuell und danach klanglich darstellen. Und da kann man jetzt definitiv nicht sagen, dass es immer hieß, es muss zuerst klingen und dann muss ich etwas sehen. Ich glaube, es ist sehr inhaltsabhängig und ich fände es sehr spannend, das genauer zu untersuchen. An dieser Stelle wäre definitiv viel Forschung notwendig und dabei ist gerade auch spannend, was wir eigentlich mit einer Aussage wie „Schüler würden etwas besser verstehen“ genau meinen.
VBS: Welche Anregungen kannst du interessierten Lehrkräften geben, wie sie ihr unterrichtliches Erklären durch kleine, schnell umsetzbare Ideen optimieren könnten?
Frei: Ich würde kurze Erklärsequenzen aufnehmen und danach anhören und bei Bedarf transkribieren. Das haben wir auch in Seminaren gemacht und darauf geachtet, welche Begriffe oder Formulierungen dabei eigentlich verwendet werden.
Ein klassisches Beispiel war da zum Beispiel: „Die Begleitung liegt in der linken Hand.“ Da haben wir uns dann überlegt, was steckt in dieser Aussage drin und was können Schüler*innen, die keine Erfahrung mit Klavier haben, mit dieser Aussage anfangen, die für uns als Profis völlig klar ist. Aber wenn ich mir eine Hand anschaue und überlege, dass da eine Begleitung drin liegt – im wahrsten Sinne des Wortes – dann ist das schwierig. Auf solche sprachlichen Aspekte kann man sehr gut achten.
Genauso kann man darauf achten, was für die Erklärung wirklich wesentlich ist und was nicht. Manchmal ist es ja so, dass man spontan hier und dort noch einen Gedanken einbringt und nicht einfach direkt von A nach D geht, sondern den Umweg über B und C und dann nochmal C1 und C2 nimmt.
Und gerade im Hinblick auf die Repräsentationen war es das einheitliche Bild, dass es sich einfach lohnt, Zeit in gute Visualisierungsformen zu stecken. Und dass man gerade in Bezug auf Musiktheorie natürlich immer auch das Ganze zum Klingen bringen muss. Das ist vollkommen selbstverständlich. Aber man darf dabei jedoch nicht davon ausgehen, dass es für alle Schüler*innen gleichermaßen gewinnbringend ist. In diesem Zusammenhang haben wir kleine Indizien dafür gefunden, dass auch die Tatsache, über wieviel Vorwissen die Schülerinnen und Schüler verfügen, beeinflusst, welche Erklärungen sie als gut oder schlecht bewerten. Die Heterogenität spiegelt sich da auch wider und die muss berücksichtigt werden. Man muss einfach in besonderem Maß versuchen, die Schwachen mitzunehmen. Und für die ist eine klangliche Repräsentation manchmal eher abstrakt und bestenfalls ein nice-to-have, aber nicht etwas, was den Erklärwert an sich zwingend erhöht.
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