Eine Veröffentlichung der Open Music Academy (OMA) ermöglicht es in ganz neuer Weise, eine historische Schallplattenaufnahme nicht nur als Endprodukt eines komplizierten Entstehungsprozesses zu hören, sondern auch die Zwischenschritte im Aufnahmeprozess nachzuvollziehen.

Aufnahme mit einem Trünbach Tonographen. Foto: CC BY2 Claus Peter Gallenmiller, Kilian Sprau, Milena Bischoff 2024
Historische Aufnahmen im Entstehungsprozess
Im Sinne der künstlerischen Forschung hat ein interdisziplinäres Team aus Toningenieur, Sängerin und Pianist in experimenteller Herangehensweise vier Aufnahmen auf Decelith-Platten angefertigt, unter Verwendung eines Trümbach Tonographen der 1930er-Jahre. Anhand von Claude Debussys Lied „C’est l’extase langoureuse“ (L. 60 Nr. 1) näherten sich Claus Peter Gallenmiller (Aufnahmeleitung), Milena Bischoff (Sopran) und Kilian Sprau (Klavier) dem Reenactment einer professionellen Aufnahme auf Schallplatte unter den technischen Bedingungen der 1930er-Jahre an. Besonders herausfordernd waren dabei die dynamischen Gesangspassagen: Einmal zu hoch oder zu laut in das Mikrofon gesungen, schon kann die Rille im weichen Decelith verschnitten sein.
Multimediale Dokumentation
Welche Schritte die Gruppe unternommen hat, kann nun auf der Lernplattform Open Music Academy1 nachvollzogen werden. Es ist eine multimediale Veröffentlichung, wie es sie im Bereich der Aufnahmeforschung bislang noch nicht gegeben hat: Videos und Tonspuren erlauben, den Arbeitsprozess zu verfolgen und mehrere Aufnahmetakes in verschiedenen Bearbeitungsstufen miteinander zu vergleichen. Zudem bietet die OMA die Möglichkeit, Vorträge rund um das Thema Künstlerische Forschung und Aufnahmetechnik (von der Schallplatte bis zur Künstlichen Intelligenz) als Videos anzuschauen oder in Form wissenschaftlicher Texte nachzulesen. Ein in der Nachbereitung verschriftlichtes Gespräch zwischen den Beteiligten zeigt die Bedeutung des gemeinsamen Experiments und die daraus resultierten Erkenntnisse auf.
„Jede Sängerin sollte diese Erfahrung einmal machen“, findet Milena Bischoff. Die Veranstaltung bot einzelnen Gesangstudierenden der HMTM die seltene Möglichkeit, die eigene Stimme mit historischer Technik aufgenommen zu erfahren. Auch diese Aufnahmen sind auf der OMA zu finden, mit Jacques Offenbachs „Belle nuit, ô nuit d’amour“ sowie dem eigens von Prof. Dr. Ulrich Kaiser verfassten „OMA-Song“, einem mit vielen Zitaten gewürzten Quintett im Stil der Comedian Harmonists.
Die Aufnahmen und Vorträge entstanden im Rahmen eines Symposiums, das unter dem Titel „Zwischen künstlerischer Praxis und Wissenschaft – Forschungen zur historischen Technik der Tonaufnahme“ an der Hochschule für Musik und Theater München am 11. November 2024 stattgefunden hat. Das Gelingen der experimentellen Veranstaltung war dank einer Kooperation zwischen Claus Peter Gallenmiller (Gesellschaft für Historische Tonträger Wien), Prof. Dr. Kilian Sprau (Universität der Künste Berlin) sowie dem Team der Open Music Academy (einem Projekt der HMTM, gefördert durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre) möglich.
Weitere Angebote der OMA
Darüber hinaus hat die Open Music Academy seit ihrer Gründung im Februar 2022 ein breit gefächertes und qualitativ hochwertiges Fortbildungsangebot geschaffen, das sich mittlerweile fest in der musikalischen Bildungslandschaft etabliert hat.
So sucht beispielsweise das Projekt Operation Beethoven2 Antworten auf die folgenden Fragen: „Wie können Schüler*innen im Musikunterricht hören lernen, welches Instrument in einem Orchester welche Aufgabe übernimmt?“ „Wie nähern sich Studierende dem Fach Instrumentation?“
Der Kopfsatz von Beethovens 4. Sinfonie steht im Rahmen des Projekts als Open Educational Resource unter Creative-Commons-Lizenz3 weltweit zur Verfügung – professionell eingespielt auf historischen Instrumenten von der Hofkapelle München, aufgenommen und nachbearbeitet von Maximilian Kremser und Julia Chen, Studierende der HMTM im Fach Filmkomposition.
Im Mehrspurplayer der Open Music Academy können Nutzer:innen gezielt einzelne Instrumente oder Gruppen anhören. Ergänzt wird das Projekt durch ein musikpädagogisches Tutorial, das die Instrumente vorstellt und ihre Rolle im Orchesterkontext erfahrbar macht.
Entstanden ist Operation Beethoven in mehreren aufwendigen Recording-Sessions: Nach einer ersten Gesamtaufnahme spielten die Musiker*innen der Hofkapelle ihre Stimmen einzeln nach – stets mit Blick auf präzise Mikrofonierung, Kamerabegleitung und räumliche Positionierung.
In der Postproduktion entstand daraus – unter Mitwirkung von Klaus Strazicky (Tonstudio der HMTM) – ein multimediales Gesamtwerk, das Musikvermittlung und professionelle Audioqualität auf neue Weise verbindet.
Weitere OMA-Projekte bieten spannende Impulse für Musizieren, Komponieren und Produzieren von Musik mit Schüler:innen: Die Kollektion Chorsingen? Easy Peasy!4 stellt einfache Chorsätze für drei gleiche Stimmen bereit, etwa für das Klassenmusizieren (aktuell sind es 12 Lieder). Dazu gibt es umfangreiche didaktische Handreichungen, Informationen zu jedem der Stücke und Einspielungen, die von den Augsburger Domknaben gesungen wurden. Bei diesen ist es wieder möglich, die vollständige Aufnahme anzuhören oder mittels eines Mehrspurplayers auf einzelne ausgewählte Spuren zuzugreifen.
Die Kollektion Musik digital produzieren & bearbeiten5 wächst aktuell von verschiedenen Seiten und sammelt Tutorials zur Produktion von Songs in einer DAW, zum Mixing, Sampling und DJing. Zielgruppen sind hier teils Schüler*innen, teils Studierende, teils ist es offen.
Die Lernplattform OMA
Die Open Music Academy (OMA) ist eine offene, digitale Lernplattform der Hochschule für Musik und Theater München, gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Sie richtet sich weltweit an Musikinteressierte und stellt hochwertige Lerninhalte im Sinne von Open Educational Resources (OER) kostenlos zur Verfügung. Das Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Kaiser verbindet innovative Hochschullehre mit zeitgemäßer Musikausbildung. Es eröffnet neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden und fördert Austausch, Kreativität und Diskurs in der Musikwelt. Die OMA unterstützt damit nicht nur neue Formen des Lernens und Lehrens, sondern macht musikalisches Wissen und künstlerische Bildung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Anmerkungen
- https://openmusic.academy/docs/5QrASikiSPq3xUaMdkmwSG/historische-techniken-der-tonaufnahme
- https://openmusic.academy/docs/4HAB9wcKyiXNGNsmkEFRXD/operation-beethoven-kooperation-der-open-music-academy-mit-der-hofkapelle-muenchen
- https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de
- https://openmusic.academy/docs/Px7epURXWsBLoE4fKzFBsW/chorsingen-easy-peasy
- https://openmusic.academy/docs/hHU1uDPGGVkvxuYdwVK3hH/musik-digital-produzieren
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