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Ganzheitlicher Bildungsansatz gefordert

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Bildungsgipfel beleuchtet Stellenwert musischer Fächer in Schule und Gesellschaft
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Musische Bildung steht in der Schule am Rande – das ist die weitgehend übereinstimmende Einschätzung der bildungspolitischen Fachwelt, die zugleich große Besorgnis äußert. Weder findet ausreichend musischer Unterricht in den Schulen statt, noch nehmen die musischen Fächer einen angemessenen Stellenwert in der Lehrerausbildung ein.

Auch die Wertschätzung der Eltern für die Unterrichtsfächer Musik, Kunst und Sport ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dabei ist unbestritten, dass die musische Bildung ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinbildung ist und bei der Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen eine Schlüsselrolle spielen könnte.

„Wir wünschen uns fitte Kinder nicht nur in ihrer körperlichen, sondern auch in ihrer psycho-sozialen Entwicklung, wozu musische Erziehung wesentlich beiträgt“, forderte Dr. Peter Kapustin, Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes beim Bildungsgipfel vergangenen Herbst in Erding. Zum Bildungsgipfel hatte die Fachhochschule für angewandtes Management Erding in Kooperation mit dem Bayerischen Turnverband und dem Bayerischen Musikrat eingeladen.

Schulpädagogen aus den Fachbereichen Sport und Musik, Elternvertreter und Vertreter des Kultusministeriums diskutierten die Situation der musischen Fächer in Schule und Gesellschaft. Bildung bedeute die „grundsätzliche Orientierung des ganzheitlichen Menschen in der Welt“, so der Erziehungswissenschaftler Professor Helmut Zöpfl von der Universität München. Bildung dürfe nicht allein auf PISA und den damit verbundenen „Messbarkeitswahn“ festgelegt werden. Die aktuelle Tendenz im Bildungsbereich, nur Inhalte zu vermitteln, die verwertbar und unmittelbar umsetzbar sind, weisen nach Zöpfls Einschätzung auf eine grundlegende Veränderung des Bildungsbegriffs hin. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, würden in der Lehrerausbildung zukünftig wieder Basisqualifikationen gefordert, die jede Grundschullehrkraft befähigen, den ganzheitlichen Bildungsansatz umzusetzen, erläuterte Josef Erhard, Ministerialdirektor im Kultusministerium. Gleichzeitig benötige man aber auch ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Notwendigkeit der musischen Fächer, forderte Professor Helmut Altenberger, Ordinarius für Sportpädagogik an der Universität Augsburg. Einen Weg aus der musischen Bildungsmisere beschrieb Dr. Thomas Goppel, Präsident des Bayerischen Musikrats und ehemaliger Staatsminister, in einem 12-Punkte-Katalog, der sich als Anforderungskatalog an alle beteiligten Bildungsvertreter der staatlichen und kommunalen Ebene richtet:

1. Die Lehrpläne müssen mit Blick auf die jeweilige Zielgruppe an den unterschiedlichen Schularten und unter Berücksichtigung des musischen Gesamtansatzes überprüft werden.

2. Jeder Grundschullehrer muss eines der drei musischen Fächer, entweder Musik oder Sport oder Kunst im Rahmen seiner Ausbildung mehr als nur belegen.

3. Das Kultusministerium muss darauf achten, dass an jeder Schule für jedes dieser Fächer je Schulhaus und Standort je ein so genannter Fachlehrer für seine Themen verantwortlich zeichnet.

4. Die Wahlpflichtfächer Musik, Kunst, Sport müssen im Sinne von Ausgleichsfächern – gute Leistungen in einem der Fächer sind geeignet, andere Leistungsschwächen auszugleichen – gestärkt werden. Denn so bekommen die musischen Fächer auch für Eltern einen Wert, der Vorrückungs- bzw. Qualifizierungsrelevanz hat.

5. Die Ganztagsschule muss gleichzeitig mit ihrer Einführung vorhandene Chancen nutzen, mit der Schule benachbarten Einrichtungen (Musikschule, Blaskapelle, Turnverein) Kooperationsmodelle zu installieren, die gegenseitige Ergänzung im Angebot an die Schülerschaft ermöglichen.

6. Musikunterricht muss an der Hauptschule künftig wieder auch ab der 7. Jahrgangsstufe durch gut ausgebildetes Personal gewährleistet sein. Die neu geschaffene Ausbildung von Fachlehrer aus Berufsfachschulen kann hier das Lehrerpotential beisteuern, das womöglich sonst auf die Schnelle fehlt.

7. Bläserklassen, Streicherklassen, Chorklassen müssen über den jetzigen Modellversuch hinaus Bestand haben und weiter ausgebaut werden. In solchen Begegnungsräumen erleben unsere Kinder heute, wie schön es ist, sich gemeinsam zu präsentieren und mit anderen qualitativ zu „glänzen“.

8. Bildung darf – Forderung an ein neues Verständnis von derselben –nicht nur an den Bedürfnissen und Erwartungen der Wirtschaft ausgerichtet werden.

9. Familie, Bildung und Innovation –diese drei Bereiche sind im Spar-Programm der Bayerischen Staatsregierung unantastbar. Daran sind Parlament und Staatsregierung im Ernstfall zu erinnern.

10. Sing- und Musikschulen sind als adäquates außerschulisches Einzel- und Gruppenfördermodell noch nicht weit genug in der Fläche etabliert. Die kommunalen Anstrengungen verdienen jede Unterstützung.

11. Das „Ehrenamt“ bedarf einer neuen begrifflichen Verortung, damit sich auch die Jugend inhaltlich damit identifizieren mag. Nachwuchs muss, um sich zu engagieren, eigenen Drive und Schwung bekommen.

12. Der Einsatz von Kennern und Könnern aus dem musischen Bereich, Künstlern und anderen Profis braucht einen organisatorischen Hintergrund und Systematik im Einsatz, weil die Begegnung mit der Realität auch da Interessen weckt wie wenig sonst.

Die Musikschulen in Bayern sorgen durch ihre professionelle Arbeit für  diese Begegnung von individuellem Bildungsprozess und Lebenswirklichkeit in der kommunalen Gemeinschaft. Bildung wird erst auf dem Feld der Kultur stimmig und lebendig – aus dieser Erfahrung und in dieser Überzeugung entwickeln die bayerischen Musikschulen ihr Programm.

Der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen unterstützt den 12-Punkte-Katalog des Bayerischen Musikrats und fordert die verstärkte Zusammenarbeit aller Institutionen, die sich für die kulturelle Bildung engagieren. „Die Zukunftssicherung der musikalischen Bildung schaffen wir nur durch ein entschlossenes Zusammenwirken aller beteiligten Personen“, erklärt der Vorsitzende des Musikschulverbandes, Wolfgang Greth, und betont die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns: „Der musische Gesamtansatz in Schule und Gesellschaft kann nur gelingen, wenn wir das Konglomerat aus Bildung und Kultur so präzise wie möglich zusammenführen.“ In weit über 700 allgemein bildenden Schulen sind die bayerischen Musikschulen bereits kooperativ tätig und setzen vielerorts Unterrichtskonzepte zum Klassenmusizieren in die Praxis um. Landesweit arbeiten die Musikschulen mit Kindergärten zusammen und ergänzen sich, um die pädagogische  Gemeinschaftsaufgabe „Musik – Sprache – Bewegung“ ins Zentrum der frühkindlichen Bildung zu rücken.

Der Weg zur Praxis

Eine Fachtagung zum Thema „Von Anfang an Musik“ veranstaltet der Bayerische Musikrat am 14. und 15. Mai 2010 in Reimlingen. Aus den grundsätzlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsycholgie und Frühpädagogik sollen dort für die Praxis in den Familien, Kindergärten, Musikschulen und Grundschulen realistische Perspektiven abgeleitet werden. Der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen beteiligt sich maßgeblich an dieser Tagung, um den neuen VdM-Bildungsplan für die Grund-/Elementarstufe, der in diesem Frühjahr dem Fachpublikum vorgestellt werden soll, aufzugreifen und auf die Flächenstruktur des eigenen Bundeslandes übertragen zu können. Dann könnte es in nicht all zu ferner Zukunft heißen: „Von Anfang an Musik – für jedes Kind in bayerischen Städten und Gemeinden“.

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