Aufbruchsstimmung in Wolfenbüttel – nach rund anderthalb Jahren steht der Landesmusikakademie Niedersachsen das Jugendgästehaus der Stadt wieder zur Verfügung. Im Herbst 2015 wurde das Gebäude, das sich unter dem gleichen Dach wie die Akademie befindet, buchstäblich von einem Tag auf den anderen in eine Notunterkunft für Flüchtlinge umgewandelt. Probenphasen, Kurse und Konzerte mussten kurzfristig abgesagt werden, weil es keine Unterbringungsmöglichkeit mehr gab. Niemand konnte damals abschätzen, wie lange dieser Ausnahmezustand anhalten würde.
Der große Trumpf der deutschen Musikakademien, die Möglichkeit des Wohnens und Musizierens unter einem Dach, erwies sich in Niedersachsen als Achillesferse: Schulklassen, große Ensembles, oder auch Tagungsteilnehmer stornierten ihre Belegungen mangels Unterkunft. Die Belegungszahlen brachen um bis zu 70 Prozent ein. Die bis dato erfolgsverwöhnte Akademie in Wolfenbüttel musste sich sehr anstrengen, um das musikalische Leben in ihrem Teil des Gebäudes zu erhalten.
Das gelang unter anderem durch vermehrte Tagesveranstaltungen, Workshops und eines besonders günstigen Angebots zur Nutzung des hauseigenen Tonstudios. Gemeinsame musikalische Projekte mit den geflüchteten Menschen, die in Wolfenbüttel gestrandet waren, erweiterten den Horizont aller Beteiligten und ebenso des Wolfenbütteler Publikums.
Zu den einprägsamsten Ereignissen dieser Art gehörte ein Konzert mit Mitgliedern des renommierten Ensemble Modern und syrischen Musikern, die in der provisorischen Erstaufnahmestelle in Wolfenbüttel lebten. Durch solche kreativen Begegnungen konnten Vorurteile und Stereotype überwunden werden. Transkulturelle Projekte, ohnehin eine Spezialität der Landesmusikakademie, wurden nicht nur durchgeführt – sie wurden gelebt.
Dennoch stand die Landesmusikakademie, die sich als das musikalische Herz Niedersachsens versteht, den Musikerinnen und Musikern des Landes nur noch eingeschränkt zur Verfügung und mit dem Einbruch der Belegungen schmälerte sich auch das Umsatzvolumen empfindlich. Ohne eine erhebliche Finanzspritze des zuständigen niedersächsischen Kulturministeriums hätte es schlecht gestanden um die gemeinnützige GmbH.
Nun also – eineinhalb Jahre später – stehen die Zeichen auf Neustart. Alle Geflüchteten haben mittlerweile das Jugendgästehaus verlassen; derzeit werden die letzten Sanierungsarbeiten vorgenommen. Ab kommenden Monat steht es der Landesmusikakademie wieder uneingeschränkt zur Verfügung.
„Es ist eine schwierige Zeit für uns und offenbar auch für die niedersächsische Musiklandschaft gewesen“, sagt Geschäftsführer Tom Ruhstorfer. Nahezu täglich gab es Anrufer, die immer wieder vertröstet werden mussten. Ende des vergangenen Jahres kam dann die Nachricht, dass das Jugendgästehaus ab April wieder zur Verfügung stehe. Seitdem werden auch wieder Buchungen angenommen. Und dabei zeigt sich, dass die Landesmusikakademie Niedersachsen offenbar nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt hat. Das laufende Jahr ist nahezu ausgebucht und für 2018 häufen sich bereits die Anfragen, die zunächst nur unverbindlich reserviert werden können.
Allen Mitarbeitern sei ein Stein vom Herzen gefallen, dass die Nachfrage ungebrochen ist, freut sich Ruhstorfer. Das zeige, welchen Ruf die Landesmusikakademie mittlerweile in der Musikkultur Niedersachsens genieße.
Und schon vor der erneuten Inbetriebnahme des Jugendgästehauses hat die Landesmusikakademie Niedersachsen wieder Großprojekte auf dem Programm. So richtete sie im Februar den 54. Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ aus und ist in diesem Monat Gastgeber des „1. Niedersächsischen Jazzmeetings“. Die Tagung führt Musiker, Veranstalter und Kulturpolitiker nach Wolfenbüttel, um sie enger zu vernetzen und die Jazz-Szene Niedersachsens zu stärken.
‚Business as usual’, wage er nicht zu sagen, lacht Ruhstorfer, dafür habe der Wegfall des Jugendgästehauses zu deutlich gezeigt, wie empfindlich die Struktur der Häuser sei und wie sehr sie von einander abhingen. Dennoch: Das musikalische Herz Niedersachsens schlägt wieder fast so kräftig wie zuvor.