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Inklusion ist Schwerpunktthema an den Musikakademien

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Interview mit dem Inklusionsexperten Kai von Lünenschloß
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Kai von Lünenschloß ist Gitarrenlehrer und Musiktherapeut und wirkt zudem als Inklusionsberater an der Bergischen Musikschule Wuppertal. Im Interview äußert er sich über sein Verständnis von Inklusion und deren Umsetzung.

Antje Valentin: Was ist für Sie Inklusion?

Kai von Lünenschloß: Es geht bei der Inklusion um die Identität der Menschen und das Anderssein. Das Anderssein in einer Gruppe isoliert innerhalb dieser Gruppe – eine Person ist dann aus der Gesamtheit herausmanövriert. Das stellt ein Problem dar. Bei aller Gleichheit, mit der wir Menschen behandeln wollen, ist es schwierig, die Diversität mit hineinzunehmen. Wenn Inklusion passiert, wird Vielfalt so gelebt, dass Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung miteinander leben und lernen können.

Valentin: Wie lösen Sie das Problem unterschiedlicher Erwartungen und Niveaus in einer Gruppe?

Lünenschloß: Das Problem ist nicht die Heterogenität der Schüler, sondern die Homogenität der Anforderungen und Leistungsprofile sowie der pädagogische Ansatz. Oft kommt er aus erlernten Vorgaben oder dem Bildungsideal der Lehrkraft und passt nicht. Das ergibt einen Rollenkonflikt. Eine Lösung ist die Beziehungsgestaltung, die die Ebene der Verbindung von Schüler und Lehrer stärkt, dadurch vorhandene Potenziale besser wahrnehmbar macht und somit hilft, diese zu entwickeln und zu kultivieren. Es entsteht Wertschätzung und die entsprechende Offenheit kann stattfinden. Das verlangt improvisatorische Fähigkeiten, Variabilität, Wendigkeit und Begegnungsoffenheit.

Valentin: Kann man das lernen und wenn ja, wie?

Lünenschloß: Empathietraining ist eine Möglichkeit, wahrnehmen zu lernen, welches Potenzial ein Mensch hat und welche Begegnungsqualität er braucht. Eine große Hilfe ist das von der Berliner Musiktherapie-Professorin Karin Schumacher entwickelte EBQ-Instrument. Aus diesem musiktherapeutischen Forschungs- und Beobachtungsinstrument leite ich Aspekte ab, die die Beziehungsqualität in Bezug auf den emotionalen und den körperlichen Bereich sowie das Instrument  einzuschätzen helfen. Wie nehmen wir den Raum, uns selbst und das Beziehungsgeschehen wahr? Ich nutze EBQ, um den Unterricht nachträglich zu reflektieren, das hilft sehr. Wenn ich Fortbildungen für Lehrkräfte gebe, arbeiten wir von dem Status der Kontaktlosigkeit bis zum Sich-in-andere-Hineinversetzen alle Schritte durch. Was passiert im Kontakt von mir selbst zu anderen? Das ist der spannende Moment im Beziehungsgeschehen und der Punkt, an dem man arbeiten kann.

Valentin: Ein Lehrer ist aber doch kein Therapeut?

Lünenschloß: Nein, sicherlich ist das eine Frage der Zumutbarkeit. Die wichtigste Kompetenz für einen Lehrer ist, neben dem Vermittlungstalent und dem fachlichen Wissen, ein Fachmann für Beziehungsgeschehen und Bindung zu sein. Wir wissen ja, dass Lernen primär über Beziehung erfolgt.

Valentin: Und wenn nun aber objektiv ein Ziel erreicht werden muss, zum Beispiel ein Auftritt gemeistert werden soll?

Lünenschloß: Ein Beispiel ist mein Ensemble Trommelwirbel. Wir sollten im Mai anlässlich des Musikschuljubiläums in der Historischen Stadthalle Wuppertal auftreten, hatten aber im Frühjahr etliche Weggänge und Zugänge. Es war etwas die Luft raus. Wir haben weiterhin jeden Dienstag zwei Stunden geprobt und immer das gleiche Lied genommen, das wir in verschiedenen Versionen gespielt und improvisiert haben. Es gab also ganz viel Erfahrung mit dem Lied, aber keine Festlegung. Ich wusste bei der Generalprobe noch nicht, was die Gruppe beim Auftritt spielen würde. Wir haben quasi eine offene Probe abgeliefert. Es wurde ein Prozess in Gang gebracht und der Stand des Prozesses dargeboten, was ganz neue Umsetzungsmöglichkeiten ergab, die sonst nie entstanden wären. Der Saal war begeistert.

Valentin: Vielen Dank für das schöne Beispiel, es zeigt ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Schüler.

Lünenschloß: Ja, das muss man haben. Wir erleben oft starke emotionale Reaktionen von Menschen auf unsere Auftritte. Ich glaube, wir spiegeln den Menschen ihre eigenen Hinderlichkeiten, die ihnen oft nicht bewusst sind. Und dass man damit kreativ umgehen kann.

Interview: Antje Valentin

Fortbildungen mit Kai von Lünenschloß finden ab 2016 für die Landesmusikakademie NRW statt. Weitere Informationen über ihn: www.der-kai.com

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