Im Foyer der Musikhochschule Freiburg bläst Christian Glogau eine Fanfare auf einem Gartenschlauch mit Mundstück, vorn musizieren ein Duo und eine Band und auf der Galerie wandeln sich Nudelrolle, Mülleimer und Verkehrsschilder in Rhythmusinstrumente. Gestalten schleichen durchs Publikum und flüstern: „Wussten Sie, dass an der Musikschule Freiburg 3.165 Schüler von 82 Lehrkräften in 62 Räumen unterrichtet werden und die Schule kein eigenes Haus hat?“

200 Schülerinnen und Schüler musizierten bei der Uraufführung von „rooms“. Foto: Corinna Raupach
Geburtstagsfest mit Uraufführung
Die Musikschule Freiburg feierte ihren 75. Geburtstag mit der Uraufführung von Christian Billians „rooms“. Den Performances der Lehrkräfte im Foyer folgt die zweite Einleitung im Konzertsaal. Im dunklen Saal glimmen nur die Leuchten auf den Notenständern, als der musikalische Leiter Jürgen Burmeister den ersten Einsatz gibt. Finster grollt das Donnerblech, wuchtige Klavierakkorde schlagen in Töne, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. Eine Klarinette erwacht, tiefe Streicher regen sich und zur flirrenden Sologeige erinnern Stimmen an die Verbindung von Menschen mit Wasser, Zeit und miteinander. Wie kleine Wellen lassen Früherziehungskinder transparente Tücher in blauem Licht fließen.
Zu den ersten Takten von „rooms“ flammt das Licht auf und beleuchtet eine wohl einmalige Szenerie: Über 200 Schülerinnen und Schüler der Musikschule musizieren zu einem fünffachen Dirigat. Streich- und Blasorchester, Blockflöten-, Harfen- und Percussionensemble, der Chor der Mädchenkantorei und der Erwachsenenchor Pro Vocal teilen sich die Bühne, am Rand spielen Gitarrenensemble und Band, Kammermusikcombo und Bläserquintett sitzen im Saal.
Der Beginn wogt drohend, Pauken und große Trommel treiben zu einem Crescendo, das wie erschrocken in einer Generalpause endet. Der Chor meldet sich mit Zitaten Virginia Woolfs zu Wort, immer wieder verstummt er. Wie Balsam legt sich eine sanfte Melodie der Sologeige über die Klagen und ermutigt den Kinderchor. Das helle „Wide wide witt“ der Mädchen erlischt in Ernüchterung: Fahle Stimmen, rhythmisch versetzt, erinnern an die Hexenverfolgung. Allmählich lehnt sich das Orchester auf, schwillt an und begibt sich auf die Reise durch „rooms“.
Christian Billian hat das Werk den Ensembles der Musikschule Freiburg in die Tasten, Klappen und Saiten komponiert. „Es ist eine Ehre, mit meinen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten. „rooms“ entstand aus dem Impuls, mich zu bedanken und etwas gemeinsam zu machen“, sagt er. Bei der Beschäftigung mit der Situation der Musikschule – die Lehrkräfte unterrichten in verschiedenen Schulen der Stadt – stieß er auf Virginia Woolfs Essay „A room of one’s own“: „Was könnten wir Menschen alles leisten, wenn wir den Raum dafür hätten?“ Der Idee der Selbstermächtigung stellt er die Hexenverfolgung als Verweigerung jeglichen Raums auf einer und die Welt der Kinder voll Offenheit auf der anderen Seite gegenüber. Neue Musik, Pop und Jazz begegnen der Arie „Lascia ch’io pianga“ von Händel und Vivaldis Konzert für zwei Geigen und Cello.
Seit Monaten haben Schülerinnen und Schüler geprobt, im Unterricht und zu Hause geübt, wöchentlich ihre Ensembles besucht und der Musik zwei Probenwochenenden gewidmet. Der 14-jährige Janis Oelkrug spielt seit dem vierten Lebensjahr Geige. „Es ist eine große Ehre, dass ich die Sologeige spielen darf. Das ist ein Riesenprojekt, es macht sehr viel Spaß“, sagt er. Die 16-jährige Antonia Lammel geigt im Streichorchester. „Rooms ist ein kompliziertes Stück. Ich finde es total schön, auch weil so viele Orchester mitspielen“, sagt sie. Der 14-jährige Fagottist Sebastian Jung ergänzt: „Es ist toll, Teil von einem so großen Orchester zu sein. Ich hatte Lust, etwas Neues zu entdecken.“
Die Aufführung zeigt, was junge Menschen leisten können, wenn sie sich für ein Ziel zusammentun, und welche unbändige Energie dabei frei wird. Hochkonzentriert sitzen die Jugendlichen auf der Bühne, die Augen bei den Dirigenten, die ihrerseits Spannung bis in die Fingerspitzen ausstrahlen. In intensivem Austausch entsteht auf der Bühne ein atmendes Ganzes, das sich gegenseitig Raum lässt, von flüsterleisen Passagen zu gewaltigen Crescendi ausholt und respektvoll anhält, als der Chor langsam intoniert: „one – must – have – a – room – of – one’s – own“.
Jedes Instrument hat Momente für sich, wie ein freundliches Blockflötenlied, perlende Kommentare der Harfen und geheimnisvolle Echos des Bläserquintetts. Solistin Chiara Kilchling singt gelassen, klar und in mühelosen Höhen: „Standing here alone…“. Voll Zärtlichkeit schenken ihr die Gitarren filigrane Verzierungen, sachte stimmen Streicher und Bläser zu. In erleichtertem Aufseufzen heben alle gemeinsam die Melodie noch einmal in den Saal. Ein Summen aus vielen Kehlen bleibt übrig und verliert sich allmählich. Einen Moment bleibt es ruhig, ehe Jubel ausbricht. Wie bei einem Popkonzert wird gejauchzt, getobt und getrampelt, immer wieder bedanken sich die Aufführenden. Die Mitwirkenden sind glücklich. „Es war ein gutes Konzert, es hat gut geklappt“, freut sich der 13-jährige Gitarrist Jonathan Lutz. Schlagzeuger Magnus Horn stimmt zu: „Ich bin erleichtert, dass alles so gut über die Bühne gegangen ist.“ Selina Wöhrle war Solistin am Klavier. „Bei einer Uraufführung mitzumachen, ist schon etwas ganz Besonderes!“, sagt sie begeistert.
Beim anschließenden Empfang würdigten der Landesvorsitzende des Landesverbands der Musikschulen Baden-Württembergs Ingo Sadewasser, Verbandspräsidentin und Justizministerin Marion Gentges, Freiburgs Bildungsbürgermeisterin Christine Buchheit, der Rektor der Musikhochschule Ludwig Holtmeier und Eckhard Hollweg, Direktor der Musikschule und einer der Dirigenten, die Leistung und das Engagement von Lehrenden und Lernenden.
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