Vor acht Jahren wurde in Bietigheim-Bissingen ein lange gehegter Wunsch Wirklichkeit. Die Porsche AG und die Stadt Bietigheim-Bissingen hatten sich zusammengetan, um gemeinsam ein zukunftsweisendes Bildungsprojekt auf die Beine zu stellen: Rhythmikunterricht für alle Kindergartenkinder der Stadt.
Ein ganzes Jahr Vorlauf war nötig, um alle Voraussetzungen zu schaffen: Räumlichkeiten zu finden, Schränke und Material anzuschaffen und vor allem, um genügend qualifizierte Lehrkräfte für das Projekt zu gewinnen. Im Jahr 2008 startete das neue Rhythmikangebot dann gleich in 22 Kindergärten parallel. Auf diese Weise kommen so gut wie alle Bietigheim-Bissinger Kinder in ihren beiden letzten Jahren vor dem Schulbeginn in den Genuss von Musikunterricht, der von insgesamt elf Lehrerinnen der städtischen Musikschule erteilt wird. Seit im Jahr 2012 das landesweite Programm „Singen Bewegen Sprechen“ (SBS) eingeführt wurde, kamen mehrere Kommunen im Umkreis dazu – eine räumliche Herausforderung für die Lehrkräfte! Die Kolleginnen sind in allen Kindergärten in und um Bietigheim-Bissingen unterwegs. Mal sind die Wegezeiten großzügig, mal knapp bemessen, abhängig vom logistischen Management der Kindergärten, die ja noch weitere Programme in ihren Alltag integrieren müssen.
Alle Anfangsschwierigkeiten und die Skepsis vor allem der Erzieherinnen und Erzieher gehören längst der Vergangenheit an. Begeistert profitieren inzwischen alle Seiten im gemeinsamen Miteinander vom Musikschulunterricht im Kindergarten, der in den Folgejahren durch die Wiedeking Stiftung Bietigheim-Bissingen und die Dürr AG finanziell unterstützt wurde. Nach acht Jahren ist das Projekt endgültig aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Die Zeiten, in denen bei Elternabenden heiße Diskussionen über den Nutzen des Rhythmikunterrichts geführt wurden, sind vorbei. Einen entscheidenden Anteil daran hatte sicherlich die eigene Erfahrung der Erwachsenen: In einem rhythmisch-musikalischen Spiel erleben die Eltern gleich zu Beginn der Informationsveranstaltung am eigenen Leib, welche Lockerheit, Gelöstheit und Entspannung die Musik mit sich bringen kann. Nicht selten sorgen die rhythmischen Experimente für Heiterkeit, wenn auch so manchem Elternteil die Koordination nicht gleich gelingen will. Der Wert des Rhythmikprojekts liegt damit direkt auf der Hand. Einmal im Jahr werden die Eltern außerdem zu einer „Mitmachstunde“ eingeladen. Hier lernen sie oft nicht nur ihr Kind von einer neuen Seite kennen, sondern viele von ihnen auch sich selbst. Mütter und Väter, ja sogar Großeltern, lassen sich begeistert auf das Erleben des musikalischen Geschehens ein. Die Rhythmik ist im Alltag der Bietigheim-Bissinger Kindergärten angekommen.
Zahlreiche Studien belegen, dass die Verbindung von Bewegung, Singen und Musizieren in der Gruppe Rhythmusgefühl, Phantasie und Kreativität, Sprachkompetenz, mathematisches und kombiniertes Denken und nicht zuletzt Konzentration und Sozialverhalten fördert. Damit leistet die Rhythmik einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung auf die Schule. Auch der Umgang mit Hausaufgaben wird bereits spielerisch trainiert. Die Vorschulkinder Bietigheim-Bissingens üben im Unterricht und zu Hause musikalische Geschichten auf ihrem Metallophon. Später sind es je nach Gruppenfortschritt kleine Lieder mit bis zu fünf Tönen.
Neben all den kognitiven Effekten zielt der Rhythmikunterricht natürlich vor allem darauf, einen intensiven Zugang zu Musik zu ermöglichen. Die meisten Kinder reagieren schon früh emotional auf Musik. Dabei fördert besonders die Kombination von Klang und Bewegung ein sinnlich-musikalisches Erleben, denn sie wirkt auf vielen Ebenen gleichzeitig: Gehörtes wird in Bewegung verwandelt, sei es in Körperbewegungen in tänzerischer Form oder beim Spiel auf Klanghölzern, Trommeln, Triangeln, Fingerzymbeln und Metallophonen. Der Einsatz von Reifen, Seilen, Bällen oder Tüchern zur Musik spricht nicht nur den Seh-, sondern auch den kinästhetischen Sinn, das heißt die Bewegungsempfindung an und verstärkt die emotionale Komponente – in der Bewegung zur Musik lassen sich die unterschiedlichsten Emotionen ausdrücken.
Alle Rhythmiklehrer der Musikschule Bietigheim-Bissingen haben eine spezielle Ausbildung im Bereich der Rhythmik absolviert, die meisten im Rahmen eines Musikstudiums. Jeder von ihnen spielt verschiedene Musikinstrumente. Für die Mehrzahl der Unterrichtsräume in allen Kindergärten wurde ein Klavier oder E-Piano angeschafft. Die Gruppengrößen variieren je nach den räumlichen Möglichkeiten zwischen acht und sechzehn Kindern, bei SBS sind es oft zwanzig. Dort ist allerdings immer eine Erzieherin mit in das Projekt eingebunden. Wo die entsprechenden Räumlichkeiten fehlen, weichen einzelne Gruppen in nahe gelegene Gemeindehäuser oder direkt in das Musikschulgebäude aus. Diese Kinder erleben die Musikschule schon früh hautnah. Auch der Austausch zwischen Rhythmiklehrkräften und Erziehern ist längst zur Normalität geworden. Die Musikschule ist im Kindergartenjahr fest verankert und gestaltet Sommerfeste, Muttertag und Weihnachtsfeiern aktiv mit.
Nach acht Jahren kostenlosem Rhythmikunterricht für alle Kinder Bietigheim-Bissingens, der von Stadt und Stiftung getragen wird, steht fest: Kinder, Eltern, Kindergärten, Schulen und natürlich auch die Musikschule profitieren immens von dem Projekt. Noch immer entstehen neue Netzwerke der Zusammenarbeit auf vielen Ebenen. So wird das Projekt in der Zwischenzeit in mehreren Schulen in der ersten Klasse weitergeführt. Die Finanzierungswege sind von Schule zu Schule verschieden. Meist beteiligen sich die Eltern mit einem monatlichen Beitrag. Auch die Ganztagsschulen gehen neue Wege. Ab Klasse 2 bietet die Musikschule Cajon-, Djembe- und Blockflöten-AGs an. Ab Klasse 3 gibt es Bläser-, Blockflöten- und Streicherklassen. Oft sind es die Schulen, die direkt auf die Musikschule zukommen, um eine Kooperation ins Leben zu rufen.
Allen anfänglichen Schwierigkeiten zum Trotz – es lohnt sich, solche Projekte zu initiieren! Was können wir unseren Kindern Besseres mitgeben, als ihre Herzen für und mit Musik zu öffnen und ihnen eine stabile emotionale Basis fürs Leben zu schenken?