Banner Full-Size

Aufschlussreicher Besuch bei einem Erfinder

Untertitel
Frankfurter Musikmesse: Wie eine neue Idee die Klaviertechnik revolutionieren könnte
Publikationsdatum
Body

Nein, nicht erst in die Halle 3, wo ver.di seinen Stand hat. Die Sensation hält ein anderer der 1.452 Aussteller bereit, in Halle 1. Da ist es laut. Zum Brüllen laut auf der Musikmesse. Müsste längst verboten sein. Nach dieser unglaublichen, aber wahren EU-Richtlinie, wonach neuerdings sowieso die Hälfte des sinfonischen Repertoires wie krumme Gurken auf dem Brüsseler Kompost landen könnte. Nicht etwa weil es sich um Kompositionen für Krummhorn handelt, was eine andere Biegung hat wie die genormt-zulässigen Bananen, sondern weil den Kommissaren das meiste Forte-Fortissimo der Konzertliteratur auf die Nerven geht.

Nein, nicht erst in die Halle 3, wo ver.di seinen Stand hat. Die Sensation hält ein anderer der 1.452 Aussteller bereit, in Halle 1. Da ist es laut. Zum Brüllen laut auf der Musikmesse. Müsste längst verboten sein. Nach dieser unglaublichen, aber wahren EU-Richtlinie, wonach neuerdings sowieso die Hälfte des sinfonischen Repertoires wie krumme Gurken auf dem Brüsseler Kompost landen könnte. Nicht etwa weil es sich um Kompositionen für Krummhorn handelt, was eine andere Biegung hat wie die genormt-zulässigen Bananen, sondern weil den Kommissaren das meiste Forte-Fortissimo der Konzertliteratur auf die Nerven geht.In der Frankfurter Halle 1 würden die Kommissare glatt Sanktionen und einen Einfuhrstopp gegen Russland verhängen. Da donnern – was sag ich: dreschen! – Zeitgenossen an allen Ecken, am liebsten – aber am liebsten nicht unisono – die Anfangstakte von Tschaikowskys b-Moll Klavierkonzertpart in die Tasten geschundener Ausstellungsstücke. So als müssten sie ohne Elektronik das Wembley-Stadion erobern. Das Tastengerammel schreit geradezu nach dem Brüssler Kommissariat: Fouls an unsichtbaren Dirigenten. Brüssel, die rote Karte! Hier werfen sich ganze Pianistenkörper in die Klaviatur, mehr als die 250 Gramm, die derzeit mindestens nötig sind, um am Flügel Druck zu machen und einen Ton zu erzeugen. Deshalb brüllt Herr Josef Meingast am Stand von Steingraeber & Söhne ganz nahe an meinem Ohr was von „...issimokultur! Völlig neu!“ –„Was?“ – „...olle ...reibung!“

Sehnsüchtig gucken wir hinüber zum Stand von Hanns Neupert, wo Cembali, Spinette, Klavichorde und Hammerklaviere von verklärt guckenden Messeflaneuren befingert werden. Ohne Chance, hier je gehört zu werden. Stummfilmerotik dort. Dort, von Neupert, hat man mich herübergeschickt zu Steingraeber. Bei Neupert baute Josef Meingast 40 Jahre lang feine, wunderschön anzuschauende Instrumente und erforschte nicht nur deren Töne, sondern er wurde auch unterstützt bei seiner Entwicklung, von der er schließlich berichten kann, als ein Schwergewicht endlich die effektvolle erste Tschaikowsky-Passage mit Radau und Applaus hinter sich gebracht hat.

Zeit für leise Töne. Laut kann jeder. Das weiß man. Josef Meingast, ein weißhaariger freundlicher Herr, hat in den vergangenen zwei Jahren sein Lebensforschungsprojekt abgeschlossen: Die drehbare Hammerrolle! Und so ist nun dreierlei möglich: eine völlig neue Pianissimo-Kultur des Klavierspiels, eine enorm verbesserte Repetierfähigkeit der einzelnen Töne und ein um etwa ein Viertel verminderter Kraftaufwand bei der Tonerzeugung mit der modernen Flügelmechanik. Nix mehr also mit 250 Gramm Anschlaggewicht. 200 Gramm sind es künftig, sollte sich Meingasts Entwicklung durchsetzen.

Meingast ist nicht irgendein Erfinder. Der Österreicher sitzt von Bamberg aus der Instrumentenbauerzunft vor, und er pflegt seit 30 Jahren Mozarts Instrument, ein Heiligtum. Ein Experte also, der den gordischen Knoten zerschlagen hat, an dem sich Generationen von Pianisten bis zu physischen Defekten abquälten. Der Kinder die Tränen in die Augen trieb. Der Virtuosen wie Glenn Gould in die Tasten von technisch ausgelutschten Instrumenten greifen ließ, was etwa bedeutet, Michael Schumacher säße auf einem Ferrari mit klappenden Ventilen. Und nun diese Erfindung. Sie ist gleichermaßen einfach wie physikalisch.

Um sie zu begreifen, ist kein Gang mit Fuchsschwanz und Schraubenzieher zum Flügel nötig, Meingast zeigt Fotos: Das durch einen Kreis hervorgehobene Teil der Mechanik nennt man die Hammerrolle. Sollten Sie einen Flügel besitzen, so sind die Hammerrollen darin zwar mit feinstem Leder bespannt, verdienen aber überhaupt nicht den Namen „Rolle“. Sie sind starr und rutschen beim Anschlag auf dem metallbelegten Repetierschenkel vor und zurück.

„Gleitreibung“ nennt man dies, was bei japanischen Fabrikaten leider all zu oft quietscht.
Meingast ist zu bescheiden, um seine Erfindung eine „Revolution“ zu nennen, aber seine Erklärung kommt einer gleich: Er hat die Nichtrolle zur Rolle gemacht. „Durch die leichte Drehbarkeit der Hammerrolle entfällt die Gleitreibung zwischen der Hammerrolle und dem Repetierschenkel. Dadurch bewegt sich der Hammer beim Niederdrücken gleichmäßig, das heißt für den Spieler absolut kontrollierbar zur Saite.“ So weit, so verblüffend. Genial die Wirkung: „Unmittelbar bevor der Hammer die Saite berührt, erfolgt die ,Auslösung‘, das ist die Aufhebung des Kraftschlusses zwischen Stoßzunge und Hammerrolle. Dabei dreht sich die Hammerrolle um die eigene Achse, und der Kraftaufwand dieses Vorgangs ist etwa ein Viertel weniger als bei der bisherigen nicht drehbaren Hammerrolle.“ Und weil nun beim Lösen des Hammers nicht mehr (quietschend) geglitten, sondern gerollt wird, geht’s schneller, so dass man den Ton in kürzerer Zeit wieder anschlagen kann.

Josef Meingast lächelt wie ein Bub. Dabei hat er nichts zu Lachen: 30.000 Mark kostete ihn die Patentierung – sagen wir ruhig – der „Meingasthammerrolle“ in Deutschland. Das europäische Patent lehnten die Richter mit dem Verweis auf vier andere ähnliche Patente ab, die allerdings nicht funktionieren. „Das sind halt keine Pianisten“, ärgert sich Meingast, greift in die Jacketttasche und holt ein von ihm zum Beweis nachgebautes Patent von 1947 heraus. Sieht ein bisschen so aus, als käme das Teil aus Omas altem Holzwäscheklammersack und wäre da wohl auch gut aufgehoben.

Und noch zwei Dinge sind nicht zum Lachen. Erstens: der Japaner. Wenn nämlich der Japaner kommt in Gestalt von Yamaha, der jede Entwicklung forciert, weltweit patentiert und dann im Tresor verschließt. Gefahr für die kleinen nichtquietschenden Rollen: Überall kleine Japaner. Yamaha habe drei Monate Einspruchsfrist gegen das Patent, sagt Herr Meingast. Zweitens: Gegen Yamaha, sagt Herr Meingast, kann er nicht prozessieren. – Völlig klar. Drittens: Wer bringt das Patent zum Durchbruch? Den erstmals auf der Messe ausgestellten „Meingasthammerrollflügel“ hat der Erfinder mit Hilfe seiner beiden Söhne, die in Bamberg einen Instrumentenhandel betreiben, selber mit der Neuheit bestückt.

Wer aber baut den Automaten für die Rollen? Wer trägt die Entwicklungskosten von ein paar hunderttausend Euro, um die Neuheit durchzusetzen? Steinway, Schimmel, Steingraeber? Zwei Firmen zeigten sich bis zum letzten Sonntag interessiert. Zum Abschied ein paar Takte Schubert, „Erlkönig“ – ...rattatadamtadam. Tattattatatta ... Das jetzt mögliche Tempo scheint die Angst nur noch atemloser zu machen.

Atemlos weiter zu Halle 3.1., wo die ver.di-Musiker zwischen Zupf- Quetsch- und Bläserständen für die Gewerkschaft werben. Ein schlechter Platz. Forte-Fortissimo nirgends. Trotz Freibier und Stimmung zu Trachtenmusi nebenan. Die aufopfernde Präsenz und die Beratungsgespräche der ver.di-Kollegen haben nur an die 20 Besucher dazu gebracht, sich die Beitrittsformulare zur Gewerkschaft in die Tüten zu stecken. Ach, kämen wir doch auch hier ohne interne Reibungsverluste aus! Wie attraktiv wäre ver.di vom Pianopianissimo bis zum Fortefortissimo!

Print-Rubriken
Unterrubrik