Deutsche Soldaten singen immer noch Nazi-Lieder. Das aktuelle „Liederbuch der Bundeswehr“ enthält Werke führender NS-Ideologen. Die Herkunft der historisch belasteten Wort-Ton-Gebilde, die Wehrmacht und SS als Begleitmusik für ihre Eroberungskriege dienten, wird jedoch von der militärischen Führung verschwiegen oder verschleiert, Angaben zu Urhebern gefälscht. Die Bundeswehr will an der Legende vom sauberen Waffenrock festhalten: Kritik wird zurückgewiesen, Widerstand gegen die Traditionspflege des NS-Liedguts sogar bestraft.
Getreu dem Adenauer’schen Appell („Vergesst mir die Musike nicht, das ist eine wichtige Sache für die Soldaten!“) mochte der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß schon bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht mehr auf soldatisches Liedgut verzichten. Das erste „Liederbuch der Bundeswehr“ erschien 1958. „Alte Kameraden“ wie die NS-Barden Hermann Claudius („Herrgott, steh dem Führer bei“) und Hans Baumann („Heiliges Feuer brennt in dem Land“) waren gleich wieder vertreten, diesmal allerdings mit vorwiegend harmloser Feld-Wald-Wiesen-Lyrik. Sie sollte die Märsche des deutschen Soldaten „im Frühtau zu Berge“ für einige Jahre begleiten.
Über die Instrumentalisierung der eigentümlichsten deutschen Kulturform für Kriegsverherrlichung und antisemitische Hetze, den die Vorgänger begangen hatten, zeigte sich das Verteidigungsministerium gut informiert. „In der Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs wurden Soldatenlieder missbraucht als Ausdruck nationalsozialistischer Überhöhung“, heißt es im Vorwort der Liedersammlung. Doch skeptische Liederbuch-Benutzer mögen beruhigt sein, denn „alle Versuche, das Lied der Soldaten als Propagandamittel einzusetzen“, wissen die vermeintlichen Aufklärer, „scheiterten an den Soldaten selbst; sie sangen ihre eigenen Lieder, Lieder, die nicht in den Liederbüchern standen und nur zögernd Eingang fanden.“
Der Musikwissenschaftler Eberhard Fromman widerspricht dieser euphemistischen Darstellung der Wehrmachtsgeschichte: „Die Wehrmachtsliederbücher wurden fast ausschließlich von Soldaten und Offizieren aus Hitlers Wehrmacht herausgegeben und enthielten auch Lieder führender NS-Ideologen“. Die Behauptung, der deutsche Soldat habe eine autonome Musikkultur in Kontrast zur nationalsozialistischen Propaganda gepflegt, sei schlichtweg falsch. Fromman, Autor der Studie „Die Lieder der NS-Zeit“, kann zahlreiche Belege vorweisen. Beispielsweise erreichte die Reihe „Liedersammlung des Großdeutschen Rundfunks“, die von Angehörigen der Deutschen Wehrmacht zusammengestellt wurde und ab 1940 unter dem Titel „Das Lied der Front“ erschienen war, Rekordauflagen von mehr als zwei Millionen Exemplaren.
Kein Zweifel, Wehrmachtssoldaten haben an der musikalischen Inszenierung von Hitlers Angriffskrieg an den „Fronttheatern“ Europas tatkräftig mitgewirkt.
Viele Melodien, nach denen Millionen deutsche Wehrmachtsangehörige ihre Begeisterung für den eigenen Untergang herausgrölten, sind von Soldatenhand niedergeschrieben worden. Und nicht nur das: Die Sammlung feldgrauer Poesie nach Noten ist von schwülstigen Glaubensbekenntnissen des deutschen Landsers zum „größten Feldherrn aller Zeiten“ durchzogen, hingebungsvolle Treueschwüre wie Unteroffizier Hermann Völkers „Soldatenlied“ („Adolf Hitler soll uns führen, wir sind stets zum Kampf bereit“) sind alles andere als eine Seltenheit. Dass auch gängige Nazi-Hymnen – unter anderen Horst Wessels „Die Fahne hoch“ oder „Es zittern die morschen Knochen“, das Pflichtlied des Reichsarbeitsdienstes von Hans Baumann – zum Standard-Repertoire der deutschen Wehrmacht gehörten, dokumentieren Editionen wie „Das neue Soldaten-Liederbuch – die bekanntesten und meistgesungenen Lieder unserer Wehrmacht“.
Das Bundesministerium der Verteidigung beschränkte sich jedoch nicht darauf, die Beteiligung von „Hitlers Kriegern“ an den Propaganda-Feldzügen für Eroberungskämpfe und Völkermord zu leugnen. Die Hardthöhe verhalf sogar wieder diversen NS-Lyrikern und -Komponisten zu nachträglichem Ruhm, indem sie den Nachdruck einer Auswahl vorwiegend unverfänglicher Elaborate ihres umfangreichen Œuvres in „Kameraden singt!“ veranlasste. Dort findet man ebenso Lieder von Christian Lahusen, der schon 1931 antisemitische Kampfparolen in Versform goss („Wir sind bereit, zu schneiden schlimme Saat“) wie von den Gaumusikreferenten August Kremser und Gottfried Wolters.