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Potemkinsche Dörfer musikalischer Bildung

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Sondergesandter der Bundesregierung spricht in Schwätzingen von beeindruckenden Erfolgen
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Vom 25. bis 27.2.2012 fand in Schwätzingen der Kongress „Die Optimierung der musikalischen Bildung nach dem Vorbild Grigori Alexandrowitsch Potemkins“ statt. Wir veröffentlichen an dieser Stelle die Eröffnungsrede des Sondergesandten der Bundesregierung für musikalische Bildung, K.T. Münchhauser.

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender des VdM,
sehr geehrter Herr Vorsitzender des VdS,
sehr geehrte Musikpädagoginnen und Musikpädagogen,
sehr geehrte Lehrbeauftragte an Musikhochschulen,
sehr geehrte Eltern,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie hier und heute im Namen des Bundesministeriums für Bildung begrüßen zu dürfen. Das Bundesministerium für Bildung hat sich zum Ziel gesetzt, die Vorreiterrolle, die Grigori Alexandrowitsch Potemkin im 18. Jahrhundert in Russland unter Zarin Katharina II. innehatte, auf die musikalische Bildung des 21. Jahrhunderts in unserem Land zu übertragen, auch wenn unsere Demokratie selbstverständlich nicht mit einer Monarchie vergleichbar ist. Es gibt dennoch interessante Aspekte, die dafür sprechen, die Potemkinschen Errungenschaften auch auf unser Staatswesen anzuwenden, insbesondere in Zeiten knapper öffentlicher Kassen.

Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler beginnen. So sagte er einst: „Wir brauchen musikalische Bildung, und wir brauchen Musikschulen nicht nur für die persönliche Entwicklung der einzelnen Schüler. Wir brauchen musikalische Bildung und Musikschulen auch, damit es unserer Gesellschaft und unserem Land gut geht (...)darum sollten wir sie uns auch etwas kosten lassen.“ Auf ähnlich prägnante Weise brachten auch mehrere andere Bundespräsidenten ihre Meinung zum Ausdruck.

Mit dem soeben zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff ließe sich die Liste der Bundespräsidenten, die die musikalische Bildung aus vollem Herzen unterstützten, weiterführen:  „Schon der griechische Philosoph Sokrates wusste: ,So ist also die Erziehung durch Musik darum die vorzüglichste, weil Rhythmus und Harmonik am tiefsten in das Innere der Seele dringen, ihr Anmut und Anstand verleihen.‘ Das bedeutet für uns, dass die Arbeit und die Leistungen der Musikschulen unverzichtbar sind.“

Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist

Uneingeschränkte Unterstützung erhielten alle Bundespräsidenten von Bundesjugendministerin Renate Schmidt: „Arthur Schopenhauer hat einmal gesagt: ‚Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.‘ Und in diesem Sinne ist die kulturelle Bildung und mithin natürlich die musikalische Bildung kein Luxus, sondern eine Ressource erster Güte.“

Meine Damen und Herren, Sie haben es sicher schon bemerkt: Quer durch unser Land besteht parteiübergreifend eine tiefgehende Einigkeit der Politik über den hohen Wert der musikalischen Bildung. Eine ganz besonders wichtige Rolle spielt in der Wertschätzung der Politik vor allem die Institution, die auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurückblicken kann: die öffentliche Musikschule. Diese Institution erfuhr in den letzten zehn Jahren nicht nur die besondere Unterstützung von Johannes  Rau, Horst Köhler, Christian Wulff und Renate Schmidt, sondern auch von Monika Griefahn, für die Arbeit der Musikerzieherinnen und Musikerzieher ebenfalls ein „unverzichtbarer Bestandteil unseres kulturellen Lebens“ ist. 

Dies ist auch seit Jahren die einhellige Auffassung der Bundesregierung  und zeigte sich bereits 2002 in einem Brief von Carolin Brummet aus dem Bundeskanzleramt an den damaligen Bundesgeschäftsführer des VdM, Rainer Mehlig: „...Die Bedeutung der Musikschulen für die Erziehung und Bildung unserer Kinder und Jugendlichen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden (…) Nicht zuletzt deshalb sichert die Bundesregierung die Arbeit des Verbandes deutscher Musikschulen mit einer kontinuierlichen Förderung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes.“ 

Eigenverantwortliche Unternehmer

Getreu dieser Auffassung erfolgte ein Ausbau der VdM-Musikschulen von bundesweit 980 im Jahr 2000 auf 919 im Jahr 2010. Gleichzeitig konnten im Jahr 2010 den Arbeitsämtern 1.262 bestens ausgebildete arbeitslose Musikpädagogen zur Verfügung gestellt werden. Ein Großteil der Musikpädagogen wurde erfolgreich dazu motiviert, eigenverantwortlich als selbstständige Unternehmer tätig zu werden: Der Anteil der selbstständigen Musikpädagogen stieg von 44,9 Prozent im Jahr 2002 auf 56,4 Prozent im Jahr 2009. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse von Musikpädagogen von 19.988 auf 17.894 ab. Dies und die Rekord-Teilnehmerzahlen der letzten Jahre beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Musikpädagogen gerade ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Mutterschutz, ohne Kündigungsschutz und ohne die Bezahlung von Ferien, Zusammenhangstätigkeiten und Fahrzeiten eine besonders hervorragende und unermüdliche Arbeit leisten. Das verkrustete System der Festanstellung von Musikpädagogen kann somit als erfolgreich überwunden betrachtet werden. Durch das innovative, moderne Musikschulsystem der unternehmerischen Freiheit werden die Eigenverantwortung und die Schöpferkraft der Musikpädagoginnen und Musikpädagogen gestärkt. Dies wird sich sowohl auf die Kinder als auch auf den Standort Deutschland im internationalen Bildungswettbewerb äußerst vorteilhaft auswirken. Der sich mittlerweile mancherorts abzeichnende Fachkräftemangel wird zugleich durch die zunehmende Zahl von hoch motivierten und engagierten musikalischen und pädagogischen Dilettanten mehr als ausgeglichen.

Ähnlich positive Erfahrungen mit unternehmerisch frei tätigem pädagogischem Personal hat die Bundesregierung bereits in dem seit zwanzig Jahren laufenden Modellprojekt „prekäre Beschäftigung an Musikhochschulen“ sammeln können. Auch hier wurden – wie an den Musikschulen – viele der Lehrbeauftragten durch den Status als freie Unternehmer zu vermehrter Eigeninitiative und einem durchgängig hohen Leistungsniveau motiviert. Im Unterschied zu den Musikschulen wurde dabei auch das Problem des Fachkräftemangels noch nicht evident, da die Lehrbeauftragten bis zu 54 Probezeiten absolvieren und dabei von Semester zu Semester durch die Hoffnung auf eine Festanstellung bzw. auf eine Vertragsverlängerung auch langfristig motiviert werden. Hier plant die Bundesregierung  als wichtigste Maßnahme zur weiteren Verbesserung der Situation die Verabschiedung eines Gesetzes zur Begrenzung von Probezeiten für Lehrbeauftrage an Musikhochschulen. Dieses Gesetz soll im Herbst 2020 verabschiedet werden und sieht eine künftige Obergrenze von 45 Probezeiten pro Lehrkraft vor. Ist diese Zahl erreicht, muss der Lehrauftrag seitens der Musikhochschule gekündigt werden. Damit verfügen künftig sowohl die Lehrbeauftragten als auch die Musikhochschulen über eine größere Planungssicherheit.

Chance auf eine musikalische Grundausbildung

Aber nicht nur den Musikschulen und Musikhochschulen gilt die besondere Wertschätzung der Politik, sondern auch dem Ort, an dem wirklich alle Kinder die Chance auf eine musikalische Grundausbildung haben: der allgemeinbildenden Schule. Die hohe Bedeutung des schulischen Musikunterrichts wurde und ist nicht nur von mehreren Bundespräsidenten, sondern auch von anderen namhaften Politikern wie Helmut Schmidt, Wolfgang Schäuble und Michael Naumann mehrfach hervorgehoben worden. Die von der Kultusministerkonferenz vorgesehene flächendeckende Versorgung aller Kinder und Jugendlichen mit Musikunterricht wird in vorbildlicher Weise dadurch umgesetzt, dass an Grundschulen derzeit circa 20 bis 30 Prozent des Musikunterrichts stattfinden und dass dieser von hoch qualifizierten Musikpädagogen erteilt wird. In einigen Bundesländern liegen bereits beachtliche Synergieeffekte durch die Zusammenlegung des Faches Musik mit weiteren Fächern wie zum Beispiel Sport und Kunst vor. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine Exzellenzinitiative, die Musik-Leistungskurse künftig auf einige wenige ausgewählte Gymnasien konzentriert. Auf diese Lösung kann das Bundesministerium für Bildung voller Stolz blicken, denn sie erweist sich als besonders nachhaltig – wird sie doch auf lange Sicht zu einer sinkenden Nachfrage nach Musik-Studienplätzen führen und somit auch zum Abbau der prekären Beschäftigung von Lehrbeauftragten an Musikhochschulen maßgeblich beitragen.

Von JeKi, JEKISS, MoMo und Klasse! Wir singen

Eine weitere ergänzende Maßnahme zur flächendeckenden Versorgung mit Musikunterricht sind derzeit die zahlreichen von nahezu allen Kultusministerien initiierten Projekte wie „JeKi“, „JKISS“, „MoMo“, „Klasse! Wir singen“, um nur einige zu nennen. Diese Projekte entstanden infolge spektakulärer Forschungsergebnisse namhafter Wissenschaftler wie zum Beispiel H.G. Bastian. Eine wissenschaftlich hochrangig besetzte Expertenkommission des BMBF befasste sich von 2000 bis 2004 eingehend mit der Forschungslage zum gesellschaftlichen Nutzen von Musikunterricht und wählte die passendsten Forschungsergebnisse aus, um künftige bildungspolitische Entscheidungen auf eine seriöse Grundlage zu stellen. In den großflächig angelegten Projekten wird vor allem die seit Jahrzehnten zielstrebig verfolgte Idee der Chancengerechtigkeit in unserem Land eins zu eins umgesetzt, indem auch Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status eine musikalische Grundausbildung erhalten. Die Erfolge können sich sehen lassen: Immerhin 16,2 Prozent der Kinder beteiligen sich auch im dritten JeKi-Jahr noch an dem Projekt. Bundeskanzlerin Angela Merkel war bereits sechs Jahre vor der Auswertung des umfangreichen Begleitforschungsprogramms zu JeKi zu der wissenschaftlich fundierten Erkenntnis gelangt, dass es sich dabei um ein „gelungenes musikalisches Bildungskonzept“ handele. Dieses äußerst erfolgreiche Bildungskonzept ist zukunftsweisend und wird mittlerweile auch von prominenten Paten wie Claus Kleber, Anne-Sophie Mutter und Armin Müller-Stahl unterstützt. 

Lieber ein falscher als gar kein Ton

Peter Maffay, der dankenswerter Weise ebenfalls eine JeKi-Patenschaft übernommen hat, formulierte einmal eine wichtige Erkenntnis: „Mir ist es lieber, jemand singt auch einmal einen falschen Ton, als dass er gar nicht singt!“ Dies sollten Sie, meine sehr verehrten Musikpädagoginnen und Musikpädagogen, bei Ihrer pädagogischen Arbeit immer berücksichtigen und Qualität und Kontinuität des bisherigen Musikschulunterrichts zugunsten von Chancengerechtigkeit eine nachrangige Bedeutung zuweisen. Bedenken Sie auch, dass es durch solche Projekte künftig endlich möglich sein wird, die Wartelisten an Musikschulen von derzeit bundesweit lediglich 90.000 Kindern zu verlängern.

Fast bin ich mit meinen Ausführungen am Ende. Ich hoffe, es ist Ihnen allen deutlich geworden, wie sich das Potemkinsche Prinzip – noch dazu vollkommen kostenneutral – auch im 21. Jahrhundert auf die Verhältnisse in unserem Land sinnvoll anwenden lässt. Lassen Sie mich zum Schluss noch ganz kurz einen Aspekt ansprechen, der mir ganz besonders am Herzen liegt: Die Anforderungen an die Kompetenzen der Musikpädagogen werden immer größer. Dies spiegelt sich auch in der leistungsgerechten Bezahlung von durchschnittlich 11.055 Euro im Jahr wider. Wir können zuversichtlich sein, denn auch in den kommenden Jahren werden die Musikpädagogen die Armutsgrenze nur unwesentlich überschreiten, damit sich ihr Hochschulstudium gelohnt hat. 

Auch oder gerade wenn es in Zeiten knapper Kassen und allgemein abnehmender Bedeutung der kulturellen Bildung schwer fällt: Ich möchte Sie ermutigen, Ihre gesellschaftlich wertvolle Arbeit auch in den kommenden Jahren mit dem gleichen Engagement fortzuführen. Denn wir brauchen Menschen, die auch in harten Zeiten auf ihrem Posten bleiben und, ohne zu murren, ihre Verantwortung ausfüllen. Nun wünsche ich 

Ihnen einen spannenden Kongress, neue Impulse für Ihre tägliche Arbeit und gute Begegnungen. Viel Erfolg dabei!

Verwendet wurden Zitate von

  • Liz Mohn, 
  • Christian Wulff, 
  • Roman Herzog, 
  • Monika Griefahn, 
  • Johannes Rau, 
  • Horst Köhler, 
  • Angela Merkel, 
  • Roman Herzog, 
  • Helmut Schmidt, 
  • Wolfgang Schäuble, 
  • Michael Naumann, 
  • Dieter Sattler (Frankfurter Neue Presse Wetteraukreis vom 31.12.2011, S. 4),
  • Angela Merkel,
  • Peter Maffay,
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