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Auftritts-Daten: 16. Juli, Joachimsthal, 19. und 26. Juli Vitte/Hiddensee (Thalheim solo). Foto: ver.di
Auftritts-Daten: 16. Juli, Joachimsthal, 19. und 26. Juli Vitte/Hiddensee (Thalheim solo). Foto: ver.di
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Wenn man von sich ausgeht…

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Die Kraft der Liedermacherin Barbara Thalheim
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„Ganz schön viel für eine Rentnerin“, meint die Liedermacherin und Sängerin Barbara Thalheim (*1947) über ihre Pläne, sich und ihr Alter. Hören und sehen kann man ihren Satz auf dem Bonus-Track der DVD „AltTag“, so der Titel ihres aktuellen Programms. Wie die Thalheim den Satz sagt, ist es reine Ironie. Künstler kennen keinen Rentnerstatus, Künstler ticken anders. Unvorstellbar, sie starrend vor der Lebensuhr sitzen zu sehen, sie stecken eher mit Kopf und Händen im Uhrwerk. Im Fall von Barbara Thalheim ist das kein bisschen Klischee.

Im Jahr 2013 hat Barbara Thalheim ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Zum Fest gab es keine Jubel-Arie, sondern die CD „Zwischenspiel“ und eine Ausstellung in einem Kreuzberger Kiez-Club mit Platten und CD-Covern, Plakaten ihrer Programme, Briefen von Fans und Verrissen der Presse. Drei Jahre zuvor, in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, war die Musikerin in ver.di eingetreten. Motiv: (linke) Heimstatt, Ziel: keinesfalls die Seniorengruppe. Auf „Zwischenspiel“ folgte „AltTag“.

„AltTag“ ist ein Gesamtkunstwerk mit Filmen und Fotos im Rücken der Band und der Sängerin auf dem Bühnenhintergrund. Sie nennt es eine „riesige technische und musikalische Herausforderung“: Ein extrem aufwändiges Projekt, mit dem sie versucht, „der Eindimensionalität des Barde-Seins zu entgehen“, also der medialen Verdichtung um uns herum ein kontrapunktisches Konzept entgegenzusetzen – wie Altwerden ist, was es sein kann und welche Bilder geweckt oder auch „überschrieben“ werden. Altwerden ist gerade ihr großes Thema, aber es ist zugleich unser aller gesellschaftliches Problem. Thalheim packt es an, wie auf ihre Weise vielleicht derzeit nur Herman van Veen, den sie sehr schätzt. Ihr gelingt es: nie rührselig, in keinem Moment peinlich, einmalig visualisiert und Dank ihres unverwechselbaren Tons unter den Liedermachern einzigartig.

Dieser Ton traf die Wachen unter den Hörern, seit sie in den 70er-Jahren mit einem Streichquartett Lieder erfand, die individuell erspürten, was thematisch und musikalisch bislang im Staat der Kollektive niemand für möglich gehalten hatte. Was sie und ihre ehemaligen Kommilitonen von der Ost-Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ bühnentauglich machten, war der musikalischen Form nach bürgerliche Konversation – das differenzierte „Gespräch“ unter Instrumentalisten. Doch solche Diskussionen interessierte die Tochter eines kommunistischen Exilanten und Dachau-Überlebenden wohl eher nicht. Sie war freier, und die diktatorischen Formalismus-Debatten der 50er- und 60er-Jahre gehörten glücklicherweise zur DDR-Geschichte und ihren unseligen Kapiteln.

Es konnte wieder „Ich“ gesagt werden – „Als ich 14 war“, das Lied der Thalheim, war und ist bis heute ein Hit der Tiefgründler: Vielschichtig über den Text hinaus, zart und doch geradeaus, sehr komplex durch die Instrumentierung. Dass sie Kunstlieder schreiben würde, verneint sie, sagt aber, dass sie nach Melodien suche, die „nicht sofort jedem zugänglich sind und sofort nachsingbar. Ich wollte mich auch vom Volkslied abgrenzen: Strophe-Refrain-Strophe“. Bis kurz nach der Wende entstanden die frühen Lieder in Zusammenarbeit mit ihrem engen Gefährten Fritz-Jochen Kopka. Zugrunde lag ihnen meistens Prosa, berichtet sie über ihre gemeinsame Arbeitsweise – wohl diesem Ursprung verdanken sich der erzählerische Duktus oder aber die ungewöhnlichen reflexiven Liedverse.

Barbara Thalheims Texte sind bis heute unnachgiebig politisch, also vom gesellschaftlichen Geschehen ausgelöst oder geprägt. Und sie sind seit jeher persönlich. Sie sagt: „Mir war aufgefallen, dass man am authentisch-sten ist, wenn man von sich ausgeht. Wobei es natürlich eine große Falle des Privaten gibt: Persönlich soll man sein, aber privat sollte man nie werden … Diese Authentizität, mit der man die Menschen von der Bühne herab einfangen kann, ist ein verdammt schmaler Grat.“ Etliche Lieder konnten nicht auf Platte erscheinen, manche Titel wurden verboten, sogar ein komplettes Programm. Sie ließ sich nicht verbiegen: Als der Chefideologe der DDR, Kurt Hager, 1980 handstreichartig alle West-Gastspiele von DDR-Kunstschaffenden mit der Begründung verbot, „wir wollen die magere Kulturlandschaft der Bundesrepublik nicht mit unseren Künstlern aufwerten“, wehrte sie sich im Namen aller Betroffenen mit einem auf ein Tonband gesprochenen Text, der von ungezählten Medien im Westen veröffentlicht wurde. „Was Hager damit auslöste, hat er überhaupt nicht begriffen: Es gab schließlich internationale Verträge, an die die Künstler gebunden waren.“ Thalheim ging noch weiter. Sie stürmte ins Kultusministerium. Niemand hielt sie auf. Sie kam bis ins Vorzimmer des Minis-ters, wo sie voller Wut einen Schreibtisch umschmiss, wie sie erzählt. „Dann herrschte Funkstille.“ Sie wurde aus der SED ausgeschlossen, die Staatssicherheit, der sie sich 1972 verpflichtet hatte, spionierte ihr von da an nur noch hinterher (ein Vorgang, den sie selber 1993 offen legte). Man schnitt sie. Doch ihre Band, sie und ihre Kollegen durften nach Auftrittsverboten schließlich wieder reisen. Und 1982 erschien auch wieder beim DDR-Label „Amiga“ eine Platte: „Und keiner sagt: Ich liebe dich.“

Zur Ironie des späteren Schicksals gehört 1989 die Verleihung des „Kunstpreises der DDR“ im Jahr ihres Untergangs. Denn wie vielen in der DDR verwurzelten Künstlern ging es auch Barbara Thalheim nach der Wende in den Abwicklungszeiten von Werten und zwischen kapitalistischen Glücksrittern mies – trotz dreier LPs nach der Wende und der Zusammenarbeit mit der Band „Pankow“. Ihre alte Band hatte sie aufgelöst, und es fehlte Geld. Tantiemen für die früheren Veröffentlichungen im Westen habe sie nie gesehen.

Künstlerisch Fuß fassen, erzählt sie, konnte sie erst wieder mit dem französischen Komponisten und Akkordeonisten Jean Pacalet – eine Partnerschaft, die 1993 begann und 2011 durch seinen Tod jäh abriss. „Ich bin 1993 nach Paris gegangen. Das war meine wichtigste Entscheidung, aber auch meine schlimmste. Ich habe mich einsam gefühlt wie auf dem Mars, ich konnte kein Wort Französisch. Aber Jean hat mich sehr stark künstlerisch beeinflusst. Er war derjenige, den ich in diesem Moment wirklich gebraucht habe – ohne die Polarisierung Ostdeutschland/Westdeutschland, sondern weil er mir politisch nahe war als Linker.“ Pacalet, der in Moskau studiert hatte, war nicht nur eine Ausnahmeerscheinung, sondern auch ein Ausnahmekünstler. Wer die beiden auf der Bühne erlebte, erkannte die Thalheim nicht wieder. Sie wirkte musikalisch ungebundener – freilich ohne ihr ungebrochenes Engagement  zu verbergen. Und: zu ihren alten Liedern steht sie nach wie vor. Die Gültigkeit kann ihnen auch niemand absprechen. In einer Hinsicht hat sich Barbara Thalheim allerdings geändert – trotz gleichbleibendem gesellschaftlichen Engagement: Nie, sagt sie, die mit 19 Jahren in die SED eintrat und rausgeschmissen wurde, nie wieder würde sie Mitglied einer Partei werden. „Dass ich damals eingetreten bin, hatte mit meinem Vater zu tun, er ist bis zu seinem Tod Kommunist geblieben. Er war die prägende Person für mich. Aber ein Zugehörigkeitsgefühl zu haben für eine Gewerkschaft, so dachte ich, das wäre in dieser Zeit angebracht.“

Sie meint, ihr gefalle nicht alles, was bei ver.di geschehe. Ihr Missfallen weckt, dass sie bei den Musiklehrern untergeschlüpft sei: „Da habe ich gar nichts zu suchen, da gehöre ich überhaupt nicht hin, das hat nichts mit mir zu tun.“ Damit sie nicht abermals zwischen den Stühlen sitzt, haben wir ihr am Ende unseres Gesprächs geraten, in den Schriftstellerverband einzutreten – mit Kopf und Händen und ihren Gesamtkunstwerken.

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