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100 Jahre 9. Symphonie: die 29. Gustav-Mahler-Musikwochen in Toblach

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Bereits die letztjährigen Gustav-Mahler-Musikwochen im Südtiroler Ort Toblach standen im Zeichen eines Jubiläums; damals galt es, den 100. Geburtstag des „Lieds von der Erde“ zu feiern. 2009 nun hieß es: „100 Jahre: 9. Symphonie“.

Erste Skizzen reichen zwar in das Jahr 1908 zurück, zu jenem ersten Sommer, den Mahler mit seiner Familie auf dem Trenkerhof in Alt-Schluderbach bei Toblach verbrachte, und vollendet wurde das Werk erst 1910, doch den größten Teil seiner letzten vollendeten Symphonie schrieb der Komponist 1909 in dem eigens für ihn gebauten Komponierhäuschen, das heute noch existiert.

Und so stand denn auch die Neunte Symphonie folgerichtig im Mittelpunkt des Festivals. Zwei der Vorträge des „19. Toblacher Mahler-Protokolls“ beschäftigten sich ausführlich mit dem Werk. Unter dem Titel „Ich spreche doch nur in Rätseln“ gab Elmar Budde einen höchst instruktiven und spannenden Überblick über Entstehungsgeschichte und Gehalt einer Komposition, die einerseits die gesamte Historie der Symphonie in sich aufsaugt, andererseits eben auch zahlreiche innersprachliche Rätsel aufgibt, etwa in den kaleidoskopartig ineinander verschachtelten Tanzcharakteren des zweiten Satzes, oder auch in der langsam sich auflösenden Musik des finalen Adagios. Es war Budde daran gelegen, mit dem Mythos aufzuräumen, bei der Neunten handele es sich ausschließlich um ein Werk des Abschieds. Stattdessen prägte er Formel „Abschied vom ‚Abschied’“: Zwar greift Mahler, etwa im Kopfsatz, durchaus die Stimmung des letzten Satzes vom „Lied von der Erde“ wieder auf, andererseits ist er mehr als je zuvor auf der Suche nach einer freien Musik ohne Vorgaben, die ausschließlich durch sich selbst spricht.

Andreas Grabner präsentierte in seinem Interpretationsvergleich „Abschied und Aufbruch“ zahlreiche Einspielungen der 9. Symphonie – von Bruno Walters Erstaufnahme aus dem Jahre 1938 bis zu Simon Rattles Interpretation mit den Berliner Philharmonikern – und legte überzeugend dar, dass dieses Werk viele Ansätze verträgt, nur nicht den der absoluten „Neue-Musik-Sachlichkeit“, wie ihn etwa Bruno Maderna in seiner Einspielung vertritt. Und auch Götz Thiemes Porträt des Mahler-Dirigenten Leonard Bernstein – er war es, der nach dem Krieg die Europäer wieder mit Mahler vertraut machte – kam nicht ohne die Neunte Symphonie aus; Bernstein spielte sie mehrmals ein, und seine Live-Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern zählt zu den bewegendsten Zeugnissen von Bernsteins ungehemmt subjektivem Mahler-Stil.

Natürlich durfte auch ein Konzert mit Mahlers Neunter Symphonie nicht fehlen: Jonathan Nott dirigierte die Bamberger Symphoniker im akustisch für große Orchesterbesetzungen nicht vollständig unproblematischen Toblacher Gustav-Mahler-Saal – eine bewegende, sehr unmittelbare Interpretation, deren tiefer Eindruck auch durch mehrmaliges Handy-Gesäusel ausgerechnet während des Finales nicht getrübt werden konnte. Zu den weiteren konzertanten Höhepunkten zählte Schuberts „Schöne Müllerin“ mit dem Bariton Konrad Jarnot und ein Rezital des jungen Salzburger Geigers Thomas Albertus Irnberger mit Musik aus Wien vom Biedermeier bis zur Jahrhundertwende: Werken von Schubert, Brahms, Goldmark und Zemlinsky.

Jonathan Notts soeben erst veröffentlichte CD-Einspielung der Neunten mit den Bambergern zählte auch zu den Kandidaten für die beste Neuproduktion einer Mahler-Symphonie beim „Toblacher Komponierhäuschen“. Zum 19. Mal wurde dieser von Attila Csampai ins Leben gerufene Schallplattenpreis vergeben, und Notts ungemein lebensvolle und emphatische Interpretation überzeugte alle Jury-Mitglieder, sodass dem Dirigenten der Preis am Nachmittag vor dem Konzert stilgerecht dort übergeben werden konnte, wo Mahler das Werk schrieb – eben am Komponierhäuschen.

Den Preis für die beste Wiederveröffentlichung ging an einen fast beunruhigend intensiven Live-Mitschnitt der 6. Symphonie aus dem Jahre 1983 mit Klaus Tennstedt und dem London Philharmonic Orchestra, und das belgische Ensemble Oxalys erhielt den Sonderpreis für seine ebenso transparente wie süffige Interpreation von Erwin Steins Kammermusikfassung der Symphonie Nr. 4.

Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ – die preisgekrönten Aufnahmen
Wiederveröffentlichung:
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6. London Philharmonic Orchestra, Leitung: Klaus Tennstedt
LPO 0038 / Vertrieb: Naxos (2 CDs)

Neuproduktion: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9. Bamberger Symphoniker, Leitung: Jonathan Nott
Tudor 7162 / Vertrieb: Naxos (2 Hybrid-SACDs)

Sonderpreis: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4, arr. Erwin Stein (& Schönberg: Sechs Orchesterlieder op. 8, arr. Hanns Eisler und Erwin Stein)
Fuga Libera FUG 548 / Vertrieb: Note 1

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