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Achtung: Betreten auf eigene Gefahr!  Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Achtung: Betreten auf eigene Gefahr! Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Achtung: Betreten auf eigene Gefahr! – In Bayreuth schließt sich der neue Nibelungen Ring mit der „Götterdämmerung“

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Es war ziemlich klar, dass die Zuschauer im Festspielhaus an die eh schon lange „Götterdämmerung“ am Ende des neuen Rings noch einen vierten Aufzug dranhängen würden. Das hat hier Tradition. Höflicher Applaus wäre ein Fehlschlag. Ein Unisono-Bravo wahrscheinlich auch. Eigentlich ist Pro und Contra das Angemessene, wenn ein Ring als Herausforderung funktioniert soll. Da der Vierteiler immer nur komplett vergeben wird, kommt man in den Pausen zwischen den 16 Stunden Wagner auch ins Gespräch. Über weite Teile von Valentin Schwarz’ Interpretation als Familiensaga im Kurzserienformat ließ sich also trefflich streiten, vor allem rätseln.

Wer mit wem wie blutsverwandt ist zum Beispiel. Bei den hinzugefügten (gar nicht so) lieben Kleinen, kommt man da noch am ehesten voran. Wer kein eigenes Kind hat, entführt eins – so wie Alberich einen Jungen einfach vor den Augen der Kindermädchen (Rheingold) vom Pool weg entführte und zu Klein-Hagen machte. Weil der als Person zugleich auch den Ring selbst vertrat, landet er als Heranwachsender am Krankenlager von Alt-Fafner (Siegfried). Und schließlich alt und grimmig, in Gestalt von Albert Dohmen solide singend aber eher beiläufig als diabolisch spielend, in der „Götterdämmerung“.

Dass die Kinder der Anspruch oder die Hoffnung auf Macht und Zukunft sind, ist eine der Ideen von Schwarz. Die trägt über weite Strecken. Dass Siegfried etwa nicht wie sonst in der Pause zwischen „Walküre“ und „Siegfried“ geboren wird, sondern Brünnhilde den Kleinen schon in eine Decke gehüllt vor ihrem (hier möglicherweise sogar seinem) Vater Wotan in Sicherheit gebracht wurde, daran erinnert diese Decke, von der sich Brünnhilde offenbar nicht trennen konnte. Sie hat sie noch, als sie längst mit Siegfried eine Kleinfamilie mit Kind (!) hat. Nostalgisch, wie sie ist, hat sie auch Wotans Hut an der Garderobe hängen. Ist das daneben nicht auch Fafners Schal? Brünnhilde ist im ersten Aufzug der „Götterdämmerung“ ganz eine treusorgende Hausfrau und Mutter. Da sie und Siegfried in den alten Jugendzimmern von Siegmund und Sieglinde hausen, scheint die Walhall-Pyramide immer noch nicht fertig zu sein, ansonsten hätten sie wohl einen Seitenflügel bekommen.

So jedenfalls verabschiedet sich Siegfried mit gepackten Koffern, mit dem guten, sichtlich gealterten Geist des Hauses, Herrn Grane (Igor Schwab) an seiner Seite, von seiner etwas pikierten Gattin auf Dienstreise. Oder so etwas in der Art. Brünnhilde bleibt im wallenden rosa Gewand zurück und bis zum Schluss bei dieser Kleiderordnung. Der Trick mit Siegfrieds und Brünnhildes Sprößling (Vererbungstechnisch ist es nochmal gut gegangen, der Junge ist prächtig und helle) erlaubt es, die lange Nornenszene als Alptraum des Sohnemannes an den Kleinen zu adressieren. Okka von der Damerau, Stéphanie Müther und Kelly God sind zwar in ihrer silberglitzernden Kostümphantastik nicht zu erkennen, aber gut und vernehmlich zu hören.

Der Besuch ihrer besorgten Schwester Waltraute (das kommt davon, wenn man das Fenster offen lässt) endet im Fiasko. Christa Meyer ist das Entsetzen über das Kind ins Gesicht geschrieben – als Walküre war man hier zwar selbst mal im Kindergarten, man hat aber keine, da man mit sich selbst genug hat, wie spätestens seit der Episode in der Schönheitsklinik „Walkürenritt“ jeder weiß. Die sorgenvollen Berichte Waltrautes aus der Chefetage erreichen Brünnhilde nicht, da kann die Schwester erzählen, was sie will, Brünnhilde deckt lieber den Jungen zu. Sie hat ihre eigenen Prioritäten und schmeißt die nörgelnde Schwester am Ende achtkantig raus. Da Schwarz und Ausstatter Andrea Cozzi ihr ganz eigenes Leitmotivsystem entwickelt haben, findet sich auch das dazu benutzte Spießgerät Nothung an der Garderobe unter Wotanshut und Fafners Schal.

Wenn die Wohnung von Siegfried und Brünnhilde gen Schnürboden entschwebt, landen wir im Schick-micky-Luxus von Gunther und Gutrune. Die beziehen offenbar gerade eins der besseren Appartements im imaginären Anwesen. Elisabeth Teige ist eine aufregend verpackte, potentielle Heldenbraut und vokal eine leuchtend verführerische Gutrune. Ihr Bruder Gunther ist ein langhaariger, aufgedrehter, feminin angehauchter Schnösel mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Who the fuck is Grane“. Michael Kupfer-Radecky liefert auch als Gunther, was er schon als Einspringer-Wotan im dritten Akt der „Walküre“ in Aussicht stellte: einen mustergültige Textverständlichkeit, wie sie leider nicht die Norm in diesem Ring ist. Wenn Siegfried und Gunther ins Appartement von Brünnhilde und Siegfried zurückkehren (bzw. das noch einmal einschwebt) wird es, wie zu erwarten, zum Ort einer Vergewaltigung in Anwesenheit des Sohnes. 

Im zweiten Aufzug trifft Alberich (wieder präzise: Olafur Sigurdarson) Hagen beim ziemlich müden Boxtraining in einer leeren Halle. Der Auftritt seiner herbeigerufenen Mannen macht zwar nicht nur in der vokalen Wucht, sondern auch optisch einiges her (Chor: Eberhard Friedrich). Aus dem Nebel mit roten Masken tauchen sie auf wie einer schwarzen Messe. Aber es ist ein Bruch in der Ästhetik. Wenn die angeschleppte Brünnhilde bemerkt, was los ist, und Hagen mit seinem Racheschwur kommt, läuft das Ganze recht konventionell ab. Iréne Theorin gelingen dabei einige beachtliche Brünnhilde-Ausbrüche, sie bleibt aber vor allem bei einem vokalisierenden Gleiten auf dem Ton und ist nur selten mal wortfetzenverständlich. Die massiven Buhs für sie darf man trotzdem übertrieben finden.

Der dritte Aufzug – nun ja. Der Pool ist doch viel tiefer, als man im Rheingold dachte. Ohne Wasser nimmt er jetzt einen Großteil der Bühne ein. Eine Öffnung an der Seite ist so groß, dass die leicht angetrunkenen Rheintöchter (Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel und Katie Stevenson) locker dadurch entkommen können. Siegfried und sein Sohn angeln hier, als säßen sie nicht am Boden des Beckens, sondern an einem Ufer. Sie haben eine Kühlbock für Getränke dabei. Eine Leiter führt hinab – Gunther schmeißt seine Plastiktüte ab und verschwindet wieder nach oben an der Bauzaun. Dass Granes Kopf in der Tüte war, ahnte man. Grane abzuschlachten, war eine sadistische Grausamkeit Hagens nebenbei, wirkt aber dennoch belanglos in Szene gesetzt. So wie der Mord an Siegfried und auch Brünnhildes finaler Auftritt. Sie singt in der Schlussszene tatsächlich den Kopf an als wäre sie Salome und ihr Pferd der Prophet. Das begründet zwar, dass sie sich – offenbar im Wahn – mit dem Kopf neben den toten Siegfried legt und ihm irgendwas erklärt was sie am Himmel sieht. Aber als Staffelfinale ist das dann doch – auf für die Fans der Serie – nicht wirklich überzeugend. Auch nicht das Versinken des Rundhorizonts vor den Neonröhren und die Einblendung der Embryos aus dem Rheingold-Vorspiel, die jetzt aber nicht aufeinander losgehen, sondern sich umarmen. Soll das heißen, dass alles eine Sache des Erbgutes, also vorbestimmt ist?

Das alles passt nicht wirklich zu einer über weite Strecken gelungenen Story über einen ziemlich verkorksten Familienclan. Zur Auflösung – ob nun mit oder ohne Feuer in der Pyramide – hätte man sich schon noch mal einen Blick auf Wotan gewünscht. Bei seinem beherzten Umgang mit dem Personaltableau (und dessen möglichen oder alternativen Entwicklungen) hätte Schwarz die Chance gehabt, für einen letzten Blick in das Walhall, das wir nur in Waltrautes Version kennen. Wenn schon die Geburt Siegfrieds auf die Szene geholt wird, warum nicht auch das Ende des Clanchefs und seines (hier) Bruders Alberich? Dass Siegfrieds erfundener Sohn am Pool tot zusammenbricht, während vom realen Wotan und seiner Sippschaft nichts zu sehen ist, wenn sie (musikalisch) in Flammen aufgehen, wirkt da ein wenig wie Angst vor der eigenen Erfindungscourage …

Schade, dass nun ausgerechnet dem Schluß sozusagen auf dem Trockenen eines abgelassenen Pools die Luft ausgegangen ist. Über weite Strecken hat es gleichwohl funktioniert. Das Ringpersonal und den Ring selbst so anders, zwischen rätselhaft und nachvollziehbar, zu sehen, wie Schwarz und sein Team es versucht haben, war dennoch spannend.

Den so entschlossenen Buh-Enthusiasten muss man ihr Recht lassen (zumal sie während der Vorstellung ruhig geblieben sind), aber ihnen doch auch die Entstehungs- und Rahmenbedingungen eines Rings im dritten Coronajahr in Erinnerung rufen. Besonders die Unmutsbekundungen für Cornelius Meister, der kurzfristig am Pult eingesprungen ist, darf man schon als ungerecht empfinden. Er hatte die besondere Akustik des Hauses im Griff und die Sänger im Blick, bot gerade in den reinen Orchesterpassagen packendes, steuerte hochrespektabel durch die vier Teile. Dass nicht nur Stephen Gould, sondern auch der als Cover vorgesehene Anderes Schager als Siegfried ausfielen ist wirklich Pech – der Vorteil von Bayreuth ist aber, dass der in Berlin im Herheim-Ring gefeierte junge Amerikaner Clay Hilley in seinem Urlaubsort in Italien kurzfristig erreichbar war und quasi im Schlusssprung eingesprungen ist. Da sind die leichten Abstimmungsirritationen mit dem Graben am Anfang geschenkt. Er nutzte seine Chance, seine metallisch helle, kraftvoll strahlende Stimme in den Dienst der Sache zu stellen. Bewundernswert war diese professionelle Flexibilität allemal. Und zum Glück sah das auch das kritische Publikum so und honorierte seinen Mut angemessen.

In der Haut von Valentin Schwarz und seiner tapfer vor den Vorhang ziehenden Mitstreiter mochte man nicht gesteckt haben.

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