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Donizettis vollständiger Opéra comique „Rita“. © Veranstalter
Donizettis vollständiger Opéra comique „Rita“. © Veranstalter
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Antifeministisches Belcanto-Glück: „Rita“ im Leipziger Westen

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Nach „Rheingold“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin und dem Prunkstimmen-Paradox eines „Don Carlo“ im Pocket-Format an der Semperoper folgte mit Donizettis vollständiger Opéra comique „Rita“ die rundum gekonnt-liebenswerte, weil unexaltierte Einstudierung mit Künstler*innen der Oper Leipzig. Eine freiwillige Fleißarbeit, bei der sich von den musikstädtischen Kulturkadern kaum jemand blicken ließ. Belcanto meets Industriekultur! In der Manier von Visconti, ohne Fellinis Drastik und dafür einem Dario Fos Beziehungskomödien abgeschauten Witz. Feines Musiktheater auch für kritische Ohren – und mit einer Italianità, wie man sie im Opernhaus am Augustusplatz seit einer gefühlten Ewigkeit vermisst.

Das Ambiente ist abseitig, aber nicht trist. Hier betreibt Rita ihren so la-la laufenden Barbetrieb im orangen Transporter mit Seitenklappe, wie Jungvolk ihn an jedem Szene-Hotspot umlagert. Das gibt es im Hof des LURU-KINOS der Baumwollspinnerei im Hypeziger Westen auch – neben vorbildlich bravem, hygienedistanziertem Publikum. Gleich nach ihrer Arie, die den sanften Engel hinter dem Weibsteufel outet, folgt Ritas Richtigstellung mit gewinnendem Akzent und Mehr-als-Minirock: Ihr erster Mann verprügelte sie, deshalb schlägt sie ihren zweiten. Der leicht phlegmatische Beppe spielt Home-Kochchef in Shorts und ergreift nach ersterbendem Seufzer mit dem Tenor-Hit „Allegro io sono“ die Flucht. Dabei bevorzugt er leichtes Reisegepäck und die nicht ganz leichte Lederjacke. Gasparo, Ritas Rowdie-Ex schneit auf Suzuki herein, will nur den ihn betreffenden Totenschein und auf gar keinen Fall die Verflossene Rita selbst. Das spielt unter Luise Rabschs szenischer Lenkung im etwas prolligen Milieu, das nur durch Fehlen einer Pasolinischen Subura vom Sturz ins Heillose bewahrt bleibt. Und durch die Solisten: Die aus Feministen-Perspektive schmerzvolle Eskalation, dass beide Kerle die ihnen in unwissentlicher Vielmännerei angetraute Hyäne abstoßen wollen, bleibt im nahen Leipziger Osten Sommerkomödie.

50 Minuten sind vorbei und ein genderkorrekter Gesinnungswechsel noch immer nicht in Aussicht. Man und frau singen weiterhin italienisch. Trotzdem ist klar: Alvaro Zambrano und Bianca Tognocchi bringen den Krach um die von Beppe zertöpperte Vase eher à la Fo als à la „Play Strindberg“ zum Köcheln – ohne Mord und Morddrohung. Beide haben mehr Lust am Streit als Streitlust und leben das mit fetischistischer, aber nie depperter Koketterie aus. Ohne dass es dem Publikum auffällt, transformieren alle Beteiligten Donizettis Farce über ein in der Oper sonst mindestens mit allseitiger Zerschmetterung endendes Beziehungsdreiecks zur Fast-Offenbachiade. Donizettis kurzes Stück mit absolut paritärer Partieneintaktung von 1841 wird im letzten Abendschimmer der komischen Oper ein echter Spaß. Auch das präsentiert man ohne Gender-Stinkefinger und erfreut sich lieber daran, dass Bianca Tognocchi eine sirenenhaftre ‚briconcella‘ ersingt, wie vormoderne Männer diese sich sträflicherweise erträumen und das nur noch in der Therapiegruppe zugeben dürfen. Minenfeld mit viel Zoff, wenig Zote und definitiv jugendfrei.

Für mehrere Tonabteilungen mittelgroßer Subventionstheater empfiehlt sich ein Schnupperpraktikum bei der in der offenen Ope(r)n-Air-Akustik optimal aussteuernden Mischpult-Meisterei der Baumwollspinnerei. Das Streichquintett und Ugo D'Orazio, Studienleiter der Oper Leipzig, betreiben eine fürwahr leichtsinnige, weil nie leichtfertige Donizetti-Anatomie. Sebastián Camaño Saavedra und die maestra suggeritrice Jacqueline Knie geleiten die Solisten mit feingliedriger Lockerheit, dass es eine Freude ist: Sie alle wollen spielen und singen. Aber – das ist die höchste Leistung – sie tun das nicht mit rampensäuischer Energie-Explosion, was nach gelockerten Hygienebestimmungen nur allzu verständlich wäre. Dafür hört man ein unter Sommertheater-Bedingungen in hochrangige Klasse gehievtes Italo-Singspiel. Musikalisches Potenzial vom Feinen und Feinsten. Den toxisch hypermännlichen Gasparo macht Randall Jakobsh zum sympathischen Zeitgenossen.

Für Leipzig ist das vorerst der Abschied von Chiaroscuro-Edelsopran Bianca Tognocchi, mit der Sängerkenner Bernd Loebe in Frankfurt am Main und Erl zu Recht einiges Bemerkenswerte vorhat. Wenig plausibel ist auch, dass sich der an der Deutschen Oper Berlin mehrfach erfolgreiche Alvaro Zambrano in der Musikstadt mit kleinen Partien abspeisen lassen muss und Randall Jakobsh erst im Leipziger Westen vom Wagnerschen Düsterheld zum sympathischen Macho wird. Vielleicht finden sich noch spontan Gastspielorte. Ritas fahrbare Belcanto-Bar passt auf (fast) jeden Rasen.


  • Fr 17.07.20 und Sa 18.07.20, 20.00 Uhr Leipziger Baumwollspinnerei – mit freundlicher Unterstützung des Luru-Kinos – Idee und Produktionsleitung: Ugo D'Orazio, Musikalische Leitung: Sebastián Camaño Saavedra, Szenische Einrichtung: Luise Rabsch – Rita: Bianca Tognocchi, Beppe: Alvaro Zambrano, Gasparo: Randall Jakobsh – Am Flügel: Ugo D'Orazio

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