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Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Aus einem Gralsgefängnis – An der Wiener Staatsoper hat Kirill Serebrennikov von Moskau aus Wagners „Parsifal“ inszeniert

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Endlich! Die Wiener Staatsoper hat vorgemacht wie es geht! Das Haus am Ring und sein neuer Intendant Bogdan Roščić haben die Produktionsbedingungen der Pandemie angepasst und nicht das Resultat den Bedingungen. Es sah aus wie Oper (ohne Abstandsregeln) aussehen muss. Man ist auch nicht auf eine Kammeroper oder ein chorloses Solistenstück ausgewichen, sondern hat mit Wagners „Parsifal“ gleich den Blockbuster schlechthin gestemmt. Damit haben sie obendrein ein politisches Husarenstück vollbracht.

Auch wenn es pathetisch klingt, kann man sagen: für die Freiheit der Kunst! Aber nicht nur, weil Wien (wie schon die Salzburger Festspiele im vorigen Sommer) mit einigem Aufwand - auch an Intelligenz – die Kunst als solche gegen die Pandemie verteidigen, sondern obendrein deren Freiheit im engeren Sinne.

Die politische Führung in Russland hat den Regisseur und Theaterleiter Kirill Serebrennikov schon lange auf dem Kieker. Eigenes Theater wegnehmen, Finanzprüfer in Stellung bringen, Kontrollfessel an den Fuß, Reisepass einkassieren – so macht man das, wenn man ihn wegen internationaler Bekanntheit nicht einfach von der Bildfläche verschwinden lassen kann. Unter diesen Voraussetzungen kann man die Einladung an den Russen, per Videoschaltung und mit Hilfestellung vor Ort den „Parsifal“ neu zu inszenieren, nur begrüßen. Übung hat er mit dieser Art von Inszenierungsarbeit von seiner Moskauer Wohnung aus zur Genüge. Etwa in Stuttgart, wo der neue Chefdramaturg der Staatsoper Sergio Morabito über viele Jahre den Ton mit angab.
 
Unter diesen Voraussetzungen könnte es einem fast schon egal sein, was dabei rauskommt. Muss es aber nicht. Denn Serebrennikov hat den im Jugendstilglamour erstarrten, einfallsarmen Vorgänger-Parsifal aus dem Jahre 2017 von Alvis Hermanis (der wiederum in Deutschland politisch angeeckt ist) durch eine spannende, hochpolitische Version ersetzt, bei der der Russe nicht nur für Regie, sondern auch für die Ausstattung verantwortlich ist. Herausgekommen ist eine Inszenierung, die in Putins Reich wohl kaum eine Chance hätte, auf die Bühne zu kommen.

Natürlich löst er nicht alle Widersprüche, die schon in Wagners quasireligiösem Stück angelegt sind und sich bei jeder Adaption ins Gegenwärtige oder ins Allgemeine auch neu ergeben. So braucht man schon eine Weile, um zu akzeptieren, dass auch Gurnemanz zu den Insassen jener Gralswelt gehört, die hier ein Allerweltsgefängnis ist. Mehretagig, mit vergitterten Zellen, um einen Innenhof herum. Mit Gefangenen, die erstaunlich authentisch die Machogesten und den Habitus von Hormonstau drauf haben. Nicht die Spur von Ballett auf peinlichen Abwegen. Da ist genügend nackte Muskelmasse, um all die Speer- und Gralssymbolik in die allseits begehrten Tattoos zu verbannen, die ausgerechnet Gurnemanz als graue Eminenz fleißig sticht. Über der düster vergitterten Welt gibt es auf drei Bildschirmen über dem Bühnenraum schwarz-weiße Video-Einblicke in die Zellen oder die geradezu postapokalyptisch verfallene Betonruine, in der Serebrennikov nahe Moskau gedreht hat. Hier ist die Gralswelt offenkundig zur Kenntlichkeit eines Gefängnisses entstellt.

Kundry kommt als resolute und gewiefte Journalistin mit Fotoapparat. Ihr Chef Klingsor residiert in einer Lifestyle-Redaktion und benimmt sich, als wäre er Harvey Weinstein persönlich. Da der Hokuspokus mit dem Speer diesmal eh fehlt, ist es nachvollziehbar, dass sie ihn am Ende eiskalt erschießt. Ein Quantum Notwehr könnte sie wohl geltend machen.

Im dritten Akt ist Gurnemanz zunächst nicht mehr von jungen Männern, sondern nur noch von alten Frauen umgeben. Die halten sich mit Näharbeiten und dem Basteln von Kruzifixen über Wasser. Das Gefängnis wirkt jetzt zwar verlassen, sieht aber immer noch so aus. Bis Parsifal die Zellen und das Tor endgültig öffnet und alle in die Welt hinaus schickt. Amfortas und Kundry Arm in Arm. Und allein in eine andere Richtung auch Gurnemanz. Parsifal bleibt einsam auf den Stufen zurück. Man sieht seinen nachdenklichen Zügen an, dass er nicht weiß, ob das nun wirklich eine gute Idee war.

Serebrennikov geht mit seiner Deutung Wagners Weg Richtung christlicher Erlösungshoffnung durchaus ein Stück mit – biegt dann aber in Richtung gegenwärtiger Befindlichkeiten ab. Samt des Kunstgriffs einer Verlegung der Handlung in die Erinnerung des reifen, erwachsen freien Parsifals, der sich vom Ende her an den Weg dorthin erinnert. Für die beeindruckend detailgenaue Personenregie, vor allem für die Großeinstellungen der Kameras ist dieser doppelte Parsifal ein Glücksfall. Der Schauspieler Nikolayi Sidorenko spielt als jugendlicher Parsifal überzeugend die Suche nach sich selbst, an die sich Jonas Kaufmann als gereifter Parsifal zwischen lebhaft und schmerzlich erinnert. Den Verführungsversuchen, denen der Junge durch die höchst attraktive Kundry ausgesetzt ist, verpasst das eine besondere Dosis erotischen Knisterns. Diese Dopplung erlaubt eine personifizierte Selbstreflexion mit dem Wissen vom Ende her.

So schlägt dann auch der von Parsifal getötete Schwan am Ende wieder die Augen auf. Hier war es ein androgyner Jüngling, der sich dem jungen Parsifal unter der Dusche genähert hatte und dem der mit einer Rasierklinge die Kehle durchgeschnitten hatte. Offenkundig schwingt in diesem Bild bei Serebrennikov ein sexueller Subtext mit, der mit der verklemmten russischen Staatsraison kollidieren dürfte.  

Musikalisch bietet die Wiener Staatsoper nicht weniger als Referenzqualität. Am Pult der Wiener Philharmoniker ist dieser Parsifal natürlich Chefsache. Der wagnererprobte  Musikdirektor Philippe Jordan schlägt mit einer Stunde vierzig für den ersten Akt ein eher zügiges Tempo an, das gleichwohl nie überzieht, sondern den Protagonisten alle Freiheiten zur vokalen Entfaltung lässt. Jonas Kaufmann ist als gereifter Parsifal in Hochform. Das Kundrydebüt von Elīna Garanča ist eine Sensation. Georg Zeppenfeld ist als beredter Gurnemanz mehr als eine sichere Bank. Ebenso wie Wolfgang Koch als fies auftrumpfender Klingsor und Ludovic Tézier als selbstmordgefährdeter Amfortas, für den sein Vater Titurel nur die halluzinierte Stimme von Stefan Cerny in seinem Kopf ist. Dazu der famose Staatsopernchor!

Das Wiener Publikum würde wohl, wenn es denn wieder ins Haus dürfte, die Protagonisten feiern und sich beim Regieteam lautstark austoben.

Die am 11. April aufgezeichneten Premierenproduktion ist ab 18. April 2021 europaweit auf ARTE Concert kostenlos verfügbar und dort bis für mindestens 30 Tage abrufbar.

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