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Szenenfoto mit (v.l.n.r.): Hardy Brachmann (Iskra), Gesine Forberger (Ljubov), Ulrich Schneider (Kotschubej), Kim-Lillian Strebel (Maria) und Andreas Jäpel (Mazeppa). Foto: Marlies Kross.
Szenenfoto mit (v.l.n.r.): Hardy Brachmann (Iskra), Gesine Forberger (Ljubov), Ulrich Schneider (Kotschubej), Kim-Lillian Strebel (Maria) und Andreas Jäpel (Mazeppa). Foto: Marlies Kross.
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Die Wunden der Vergangenheit – Andrea Moses inszeniert in Cottbus Pjotr I. Tschaikowskis Oper „Mazeppa“

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In Cottbus hat sich Andrea Moses an Pjotr I. Tschaikowskis selten gespielten, gleichwohl großformatigen Dreiakter „Mazeppa“ gewagt. Es ist der Opernauftakt der Intendanz von Stephan Märki im einzigen verbliebenen Dreisparten-Haus in Brandenburg. Die in Dresden geborene Regisseurin wird mit ihren Erfahrungen, die sie als Chefregisseurin in Dessau und in Stuttgart gesammelt hat, die neue Operndirektorin am Deutschen Nationaltheater Weimar.

Der Titelheld des 1884 uraufgeführten „Mazeppa“ ist ein mehr als selbstbewußter Kosakenanführer, auf den die viel jüngere Maria abfährt. Aus dem Nein des Vaters zu dieser Verbindung (die auch Maria will) entwickelt sich ein Konflikt auf Leben und Tod. Der Vater verrät dem Zaren die Umsturzpläne Mazeppas. Unerwartet an den Denunzierten ausgeliefert lässt der ihn hinrichten. Nach dem gescheiterten Putschversuch Mazeppas samt Krieg, hat Maria den Verstand verloren, während Mazeppa auf der Flucht ist. Diese Melange aus vertrackter Liebesgeschichte und großer Haupt-und Staatsaktion ist auch musikalisch mindestens so üppig ausgestattet wie in großen Verdiopern. Wie schon nach der Inszenierung in Gera-Altenburg vor drei Jahren, fragt man sich auch jetzt, warum „Mazeppa“ gegenüber den anderen beiden Puschkin-Opern Tschaikowskis „Eugen Onegin“ und „Piqué Dame“ einen so schweren Stand im Repertoire hat. Sie bietet großes Opernpathos zum spannenden Plot und Steilvorlagen für die Protagonisten, sich voll ins Zeug zu legen. 

Was Cottbus hier aufbietet, ist durchweg beeindruckend. Sängerisch allen voran der machtvoll virile Haus-Bariton Andreas Jäpel (übrigens in jungen Jahren ein Kruzianer), der in dieser Inszenierung als ukrainischer Oberbefehlshaber überzeugend einen postsowjetischen Macher gibt. Dass sie ein echter Zugewinn für das Ensemble ist, stellte Kim-Lillian Strebel als Maria unter Beweis. Bei ihr verbindet sich ein kraftvoll leuchtendes Pathos der Stimme mit ihrem Bühnen-Charisma. Ein Tenorereignis ist auch Alexey Sayapin als Marias glückloser Verehrer Andrej. Die Eltern Marias sind bei Ulrich Schneider und Gesine Froberger in ebenso sicheren Kehlen wie Mazeppas Kumpan Orlik in der von Kihoon Han. Bei Orchester hat Alexander Merzyn mit 26 Musikern des Philharmonischen Orchesters alles an Pathos und russischer Seele rausgeholt, was sich mit einer so eingeschränkten Besetzung machen lässt.  

Heutzutage eine Besonderheit ist der volle Einsatz des Chors. Einstudiert von Christian Möbius ist der wie zuschauendes Publikum im ersten Rang platziert. Was einen besonderen akustischen Effekt hat. Hier hat er auch die klassische Rolle eines antiken Chores, wenn er untereinander das Geschehen unten auf der Bühne kommentiert und dabei live auf den Zwischenvorhang projiziert wird. 

Überhaupt machen Andrea Moses, Christian Wiehle (Bühne) und Meentje Nielsen (Kostüme) aus „Mazeppa“ ein Stück aus der Gegenwart einer postsowjetischen Gesellschaft, der die Prägungen ihrer Vergangenheit(en) immer wieder in die Quere kommen. Weil sie die alte Geschichte aus der Ära von Zar Peter I. so beherzt in eine ungefähre Gegenwart verlegen, gelingt der Großversuch auch mit Mund-Nasen- Schutz zu singen, immer dann, wenn zu geringer Abstand das erzwingt. Als Zuschauer gewöhnt man sich schnell daran.

Die Bühne beherrscht ein imposantes Platten-Hochhaus in dessen Fassade die Umrisse eines riesigen Sowjetsterns gestanzt ist. Der wie ein Weihnachtsplätzchen ausgeschnittene Stern liegt in Rot auf dem Boden. Ist beschädigt, wird von denen, die gerne die alten Verhältnisse wieder hätten, wie nebenbei repariert. Die Sowjetfahne, die hier noch zu Beginn hängt, wird von einem Mädchen eingeholt, das offensichtlich aus dem Stoff etwas anderes machen möchte. 

Das gehört zum subtilen szenischen Witz, der in einer Neuerzählung der Geschichte aufflackert, in deren Verlauf einem das Lachen, ja jedes Schmunzeln zunehmend vergeht. Am Anfang wehrt man sich noch mit Hammer und Sichel gegen die Kalaschnikows der neuen Machthaber. Wenn dann in der Todeszelle vom Delinquenten in der Maske des Russischen Bären aus Sowjetfahnen Shorts genäht werden müssen, und durch Folter eine moralische Selbstvernichtung erzwungen wird, dann ist diese Erinnerung an den Stalinschen Terror unübersehbar – bis schließlich in den Videos auch die Besetzung der Krim und aktuelle Kriegsbilder vorkommen. „Und das Imperium schlägt zurück“ lautet die archaische Poesie einer der eingeblendeten Überschriften. Die erste lautete: „Und das große Reich zerfiel in tausend Stücke. Chronik der Erinnerung an eine Legende, die die eigene Geschichte hätte sein können. Gegen das Vergessen.“ Das trifft die Intention dieser packenden Studie über den Verfall von Ordnungen und ihre Folgen für die einzelnen, das Aufbrechen nur oberflächlich verkleisterter Wunden ziemlich genau. Eigentlich verschwinden sie alle in einem moralischen schwarzen Loch. Tot oder lebendig. Und wenn auf dem T-Shirt der dem Wahnsinn verfallenen Maria in kyrillischen Buchstaben „Demokratie“ steht, und das das letzte Wort des Abends bleibt, so bleibt das hier reine Utopie.

Der neuen Intendanz in Cottbus ist damit in der Oper ein fulminanter musikalischer und szenischer Wurf zum Auftakt gelungen!

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