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Szenenbild aus Johanna, kannst du pfeifen. Foto: Leo Seidel
Szenenbild aus Johanna, kannst du pfeifen. Foto: Leo Seidel
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Bernstein meets Lachenmann – Uraufführung von Gordon Kampes „Kannst du pfeifen, Johanna“ an der Deutschen Oper Berlin

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Der Topos Schrottplatz auf der breiten Bühne gemahnt an Leonard Bernsteins „Mass“ und hat auch klanglich einiges damit gemein, gemischt allerdings mit Lachenmanns ungewöhnlicher Instrumentalbehandlung, die offenbar bereits zur Standardausrüstung der jungen Komponistengeneration gehört. Ein Generationenthema hat sich Gordon Kampe für seine zweite Oper gewählt, und er nimmt das junge Publikum ernst, indem er alles andere als „kindgerecht“ schreibt.

Als alternatives vorweihnachtliches Kindermärchen steht an der neuen Spielstätte für neues Musiktheater, der ausgedienten Tischlerei der Deutschen Oper Berlin, Gordon Kampes „Kannst du pfeifen, Johanna“ auf dem Programm. Die für das Dreipersonenstück gigantische Bühnenbreite hat Ausstatter Claus Stump in einen Abenteuerspielplatz verwandelt, mit Sandhaufen und zahlreichen Autoreifen, sowie einem undefinierbaren Holzgeviert, das sich später als die Rückseite des Altenheimes herausstellt.

Dorothea Hartmanns Libretto basiert auf dem gleichnamigen, mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis prämierten Kinderbuch von Ulf Starks, als der glücklichen Begegnung eines einsamen Greises mit der Enkelgeneration. Die Jugendlichen Ulf und Berra wählen ihn sich zum Ersatz-Großvater. Sie lehren ihn, auf einen Baum zu klettern und er zeigt ihnen, wie man einen Drachen baut und ist ein Vorbild im Pfeifen.

Was die Musiker des Orchesters der Deutschen Oper Berlin, mit ihren Instrumenten Klarinette, Bassklarinette, Posaune, Kontrabass, Klavier und Celesta unter der musikalischen Leitung von Kevin McCutcheon ausführen, kommt beim gemischten Publikum aus sehr Jungen und Alten kernig und knackig an, vom lautmalerischen Effekt der Autohupen und des Verkehrs der nahe beim Spielplatz gelegenen Autobahn, bis hin zu den quietschenden Türen im Altersheim, vermag Kampes Umgang mit Musik die kindliche Fantasie zu unterstützen.

Der Weg ins Singen entwickelt sich aus melodramatischem Sprechen, mit dem die beiden erwachsenen Kinder-Darsteller, zunehmend rhythmisiert, beginnen, wozu sich eine Jazzfigur mischt. Zunächst veranstalten Ulf (der Bariton Martin Gerke) und Berra (der Tenor Paul Kaufmann) eine Rallye mit ihren umgehängten Pappkarton-Autos. Aber eine Steigerung des Vergnügens bringt ihr dramatisches Spiel: sie stellen sich einen Großvater mit Rückenschmerzen und Pfeife vor, wobei der Posaunist tonlos durch sein Instrument bläst. Da Berra keinen Opa hat, gilt es, einen solchen zu finden. Sie drehen das Klettergeviert nach vorne, und da – unter NASA-Plakaten, die eine Erforschung des Universums versprechen, haust der greise Nils (Roland Schubert, mit ungreisenhaft profundem Bass); der stellt dann – wie in einem Popkonzert – die Musiker und den Dirigenten als seine Freunde mit deren Vornamen vor.

Gordon Kampes Einsatz von Melodien, der Kanon „Viel Glück und viel Segen“ und insbesondere die titelgebende Melodie der Comedian Harmonists, allerdings ohne die zugehörigen Worte, entsprechen in ihrer Mischung von Heiterkeit und Melancholie heutigem Lebensgefühl. Dazu gehört auch der Gesang des Opas im Stile Händels mit Bassklarinettenbegleitung, in den nachahmend dann auch Berra einstimmt. Ein rhythmisch zupackendes Terzett schließt sich an, und „Kannst du pfeifen, Johanna“ wird intoniert. Berra kann es nicht – und beide bleiben dem Alten längere Zeit fern. Als Berra das Pfeifen endlich heraus hat und es dem Opa zeigen will, ist der bereits gestorben. Die beiden Jungen lassen ihren Drachen himmelwärts, dem Opa zum Gruß, steigen.

Die niederländische Regisseurin Annechien Koerselman lässt die Darsteller der beiden Jungen mit ihren umgehängten Pappkarton-Autos über die Sandhaufen rennen. Jugendlichkeit vermitteln die beiden nicht mehr ganz so jungendlichen Kinder-Darsteller durchaus glaubhaft.

Das Orchester im Frack (den sogar eine der Instrumentalistinnen trägt!), zeigt den jugendlichen Zuschauern, dass Oper durchaus etwas Besonderes, etwas Festliches ist. Leider macht die verhuschte, mit offenem Mund Kaugummi kauende Regisseurin diese Botschaft beim Schlussapplaus wieder zunichte. Wenn demnächst auch unter dem Gestühl der Deutschen Oper Kaugummis kleben werden, so ist es den jungen Zuschauern kaum zu verargen.

Für eine Uraufführung dürftig ausgefallen ist das Programmheft (Dramaturgie: Anne Oppermann); das gefaltete DIN A2–Plakat gibt zwar eine Anleitung zum Drachenbasteln, verrät aber so gut wie nichts über den 1976 geborenen Komponisten und über seine Musik. Gordon Kampe, der seine junge Tochter mitgebracht hat, konnte sich nach der pausenlosen, knapp einstündigen Uraufführung über den Zuspruch des gemischten Publikums erfreuen. Da er den von der Ernst von Siemens Stiftung geförderten Kompositionsauftrag gemeinsam von der Deutschen Oper Berlin mit dem Saarländischen Staatstheater, erhalten hat, wartet auf ihn eine weitere Realisierung seiner Oper.

  • Weitere Aufführungen: 1., 2., 9., 10. und 11. Dezember 2013.

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