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Jakob Ullmann. Hinter der offenen Tür. Foto: Hufner
Jakob Ullmann. Hinter der offenen Tür. Foto: Hufner
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Bittere Leisigkeit: Jakob Ullmanns „Horos Metéoros“ in Berlin

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Eine Oper ohne Szene, eine Oper ohne Musikerinnen – die Bühne leer, die Musikerinnen absent, wie soll das gehen? Kann das einen Sinn ergeben? Es kann. Man muss nur dieser an sich absurden Situation den entsprechenden Stoff vorlagern. Ein Bericht von Martin Hufner.

Man muss die Dinge immer aus ihrem Urgrund entwickeln. Nicht sollte als selbstverständlich abschnurren. Wenn eine Oper ohne Szene und damit ohne musikalisch/optische Repräsentation abgehen soll, bedarf es eines guten Grundes. In Jakob Ullmanns Oper (er benennt es: „Dramatisches Fragment mit Euripides und Aischylos“) „Horos Metéoros“ aus den Jahren 2008/09 ist das gegeben. Der Stoff, der sich auf antikes Material von Euripides und Aischylos bezieht, ist fern. So fern, dass er nicht in die gegenwärtige Zeit eindringen kann. Es geht um Grenzen, es geht um Flucht, es geht um Unterdrückung – hier: von Frauen. Die Nähe zur Gegenwart ist zweifellos gegeben, sie lässt sich aber nicht in Bildern festsetzen. Beziehungsweise: Das ließe sie sich schon, nur würden mit der Festsetzung sich die Dinge an den Moment klammern und damit „abhandeln“.

So ein Handel kommt offenbar für Jakob Ullmann (der zusammen mit Timo Kreuser auch die künstlerische Leitung innehat) nicht infrage. Ähnliches gilt für die Musik, die gut 55 Minuten erklingt. Sie tönt von außerhalb des Raumes in diesen hinein, dabei fast durchweg im mehrfachen „piano“ gehalten. Stimmen gibt es da, die man nicht verstehen kann; Instrumente, die man kaum erkennen und zuordnen kann; Muster, die man ab- und zu zuordnen kann, die aber nicht eindeutig sich wiederholen. Das Lauschen darauf ist anstrengend und entwickelt dabei vielleicht ungewollt eine unbestimmte Gewalt der Konznetration. Es ist eben keine Übung und keine „Tragödie des Hörens“, sondern ein beklemmender Genuss an Tönen.

Leere/Fülle

Während die leere Bühne vor dem Vorhang recht hell die Leere anzeigt und auch das Publikum darauf hin ausgerichtet sitzt, erklingt es gedämpft aus dem Irgendwo in den Raum hinein. Der Raum ist achteckig, mit zwei umlaufenden Galerien, verbreitet eher Nüchternheit als befreiende Leere. Stimmen umschlingen sich, eine oder mehrere hohe Stimmen treten ab und zu hinzu. Ein bestimmter Ton wird von zwei Stimmen über einen sehr langen Zeitraum gehalten (Chorgruppe 2 – „stets ohne Ausdruck und innere Bewegung“). Immer wiederkehrend gibt es eine Kombination von tiefer Streicherstimme und großer Trommel. Statik und Bewegung schließen sich nicht aus, sie schließen sich gegenseitig ein. Das Leise der Musik zieht einen hinein und lässt einen doch außen stehen. Das Ohr tastet sich durch diese Klänge hindurch, lässt sich auf sich zukommen und sucht nach Klängen, die man vielleicht gar nicht hören kann. Kann man sich jetzt in die Situation hineinfallen lassen oder muss man aktiv „mitklingen“, resonieren? Eine Hilfestellung durch Szene oder Ausdruck ist ja nicht zu erwarten. Das ist meditativ-beklemmend.

So scheint es, dass das ganze Drama in einen selbst verlagert wird. Eine bestimmte Form von Überforderung stellt sich ein – mag sein, nur bei einem selbst. Aber man hat ja niemand anderen. Man greift nach jedem klingenden Strohhalm in gleichzeitiger Erwartung von Ungewissheit, in einer Klangwelt, die beinahe archaisch wird – und futuristisch.

Ja, so geht Oper eben auch. Für die Musikerinnen vom PHØNIX16 und dem ensemble mosaik dürfte die Realisation durch räumliche Trennung zudem eine besondere Form der Herausforderung sein. Sie vermögen wohl den Gesamtklang überhaupt nicht hören zu können, schon rein akustisch-technisch gesehen.

Bittere politische Erkenntnismusik

Kann man das alles wohl erahnen und erfühlen, wenn man den antiken Urgrund des Theaterproblems hier nicht kennt? Erhören kann man ihn ja doch nicht mit Sinne von sprachlich Verstehen. Bleibt am Ende nicht vielmehr ein Gefühl des absolut Diffusen übrig, das sich bei jedem anders äußern kann und das man beim ersten Zuhören kaum ausdifferenzieren kann. Man weiß es einfach nicht. Wäre dies die Absicht, handelte es schließlich auch nur um ein Stück, das einer Überwältigungsstrategie folgt. Dagegen spricht aber die ganze Faktur des Stücks. Es wäre dann aber nicht nur in Paradoxien zu fassen, sondern tatsächlich (streng) dialektisch: Präsenz und Absenz, Bewegung und Statik, Dauer und Zeitstille, Leere und Fülle, Ausdruckslosigkeit und Emotion, Ton und Stille, Licht und Dunkel, Innen und Außen, Frei- und Aufklang. Das alles erfüllt auch den musikalischen Topos „Oper“ – aber wie. Aber es spielt längst keine Rolle mehr. Ein Schritt nach draußen belehrt einen sofort über Härten der Jetztzeit, über die Gegenwart, die man mit seiner Existenz beantworten muss (oder es immer auch zugleich tut). Die Ferne des dramatischen Fragments von Ullmann bricht ein Stück aus dem Leben heraus, fast sehnsüchtig machend und gleichwohl existenzpräzisierend. Keine Etüde, bittere politische Erkenntnismusik. 

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