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Christoph Heinrich und Marysol Schalit in „Das schlaue Füchslein“ in Bremen. Foto: Jörg Landsberg
Christoph Heinrich und Marysol Schalit in „Das schlaue Füchslein“ in Bremen. Foto: Jörg Landsberg
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Blick in die Seele des Försters: Tatjana Gürbaca inszeniert Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ am Theater Bremen

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Leoš Janáčeks 1921 enstandene Oper „Das schlaue Füchslein“ ist vordergründig eine Ausstattungsoper – Tiere und Insekten tummeln sich im Bühnenwald – und damit eine Kinderoper. Doch schon lange wurde die Geschichte vom gefangenen Füchslein für die Regie anders verstanden: es geht um den Kreislauf des Lebens, den Verlust der Menschen von der Liebe zur Natur, um menschliche, an den Tieren abgeschaute Liebe, um die Ähnlichkeit von Mensch und Tier, um Vergänglichkeit und Kreislauf, wenn der Förster an seinem Ende ein ganz junges Füchslein wiedertrifft.

Tatjana Gürbaca verzichtet jetzt am Theater Bremen in ihrer ersten Janáček-Inszenierung nicht nur vollkommen auf die Natur, sondern setzt eine philosophische Idee um: auf einem schrägen weißen Kreisrund, das sich sowohl drehen als auch umkippen kann (Bühne von Henrik Ahr) können alle – Tiere wie Menschen – nur im Kreis gehen oder aber mühsam nach oben oder ebenso mühsam nach unten. Und Tiere gibt es nicht (Kostüme: Silke Willrett): das vom Förster gefangene Füchslein trägt eine braune Kutte und personifiziert damit von Anfang an die Sehnsucht des Försters nach Liebe. Auch im Stück findet Gürbaca immer wieder aufwühlende Bilder der Identität von Füchslein und dem Mädchen Terynka – so wenn der Förster dem gefangenen Füchslein Stiefel  anzieht, was es sich gern gefallen lässt, das Füchslein sich minutenlag an den Förster schmiegt oder auch, wenn das es sich im Traum des Försters in das Mädchen Terynka verwandelt.

Das allerdings wird auch vom Lehrer und dem Priester verfolgt, die ihr Lebensunglück Abend für Abend vertrinken, worüber sie älter werden. Das gefangene Füchslein erlebt durch die Quälerei der Kinder und der Frau des Försters demütigende Abhängigkeit von den Menschen, flieht und demonstriert durch sein authentisches (Liebes)leben mit dem Fuchs, dass die Menschen das Paradies verloren haben: symbolisch wird es zerschossen, als der Wilderer Harasta das Füchslein erschießt, weil er ein Fell sucht für seine Geliebte – ebenfalls Terynka. Die heile Welt des Füchsleins – die Liebesszene mit dem Fuchs und anschließender Hochzeit ist eine der schönsten der Operngeschichte – entfaltet immer wieder ihren Zauber gegen die Menschenwelt, deren äußeres eigentlich derselbe ist wie der der Tiere: der Wald.

Im Feuerwerk szenischer Einfälle der Beziehungen – Marysol Schalit als quirlige, höchst selbstbewußte Füchsin, die einen Dachs aus seiner Höhle vertreibt und die Hühner zur Revolution anzettelt und Nadine Lehner im beigen Hosenanzug als charmanter und verführerischer Fuchs, Stephan Clark als gefühlloser Landstreicher, Ulrike Mayer als spießige Försterin – darf sich die Musik entfalten, diese wunderbare, der tschechischen Sprache und der Natur nachempfundene – exterritoriale, wie Theodor W. Adorno sie in vollkommener Verkennung ihrer Bedeutung nannte – Musik, die oft minutenlang an einem Grundton hängt, keine Kadenzen kennt, Kirchentöne und deren chromatischen Verfärbungen verwendet und kleinste Motive aneinanderreiht. Das ist so ausgeklügelt und farbenreich instrumentiert, so glasklar artikuliert, dass ungemein suggestive Stimmungen entstehen: Marko Letonja überzeugt in seiner ersten Bremer Opernarbeit mit der überwältigenden Freisetzung der emotionalen Energien dieser Kammermusikfassung von Jonathan Dove.

Die Besonderheit dieser Inszenierung ist der Blick in die sehnsüchtige Seele des ruhelosen Försters, der mit seinem gewaltigen Schlußmonolog den „ewigen Kreislauf von Geburt, Leben und Vergehen“ (Meinhard Saremba) verstanden hat. Die apotheotische Schönheit dieser Musik geht mit der schauspielerischen und sängerischen Intensität von Christoph Heinrich unter die Haut. Angesichts der biographischen Umstände – der siebzigjährige Komponist war seit vielen Jahren in die 38 Jahre jüngere Kamila Stösslová verliebt – muss man annehmen, dass Janáček hier von sich selbst spricht. Viel Beifalll vom nun maskenfreien Publikum.  

Nächste Vorstellungen: 10. (18 Uhr), 17. (15.30) und 22. (19.30) Oktober im Theater am Goetheplatz

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