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Foto: Daniel Nartschick
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Blutiges Gemetzel anstelle des Happy-Ends – Rossinis „Il viaggio a Reims“ an der UdK Berlin

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Die erste Oper mit integrierter Europa-Idee brachte der UdK einen eindeutigen Erfolg für die zahlreichen jungen Solist*innen und insbesondere für das einwandfrei musizierende Orchester unter Errico Fresis, der beim Schlussapplaus zu Recht Standing Ovations erntete. Problematischer hingegen die szenische Ausdeutung.

Die Uraufführung von Rossinis „Il viaggio a Reims“, im Jahre 1825 im Théâtre-Italien in Paris, war in Anwesenheit des Königs Karl X. eine geschlossene Vorstellung, der nur drei öffentliche Aufführungen folgten. Daher verwendete Rossini das meiste Material später erneut, insbesondere in seiner Oper „Le Comte Ory“. Nachdem im Jahre 1951 Teile des Autographs entdeckt worden waren, erlebte die Oper erst seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eine nachhaltige Renaissance, bietet sie doch eine Überfülle an zündenden Melodien in einer Leistungsschau für 14 hochkarätige Solisten.

Somit kann diese Oper, die in der kommenden Saison auch an der Deutschen Oper Berlin Premiere haben wird, ein treffliches Repertoirestück für Hochschulen sein, die über eine ausreichende Anzahl an leistungsstarken Solisten verfügen.

Diese Voraussetzung erfüllt derzeit die Berliner Universität der Künste. Die UdK, die Rossinis einzige italienische Oper für dieses Sommersemester als szenische Opernproduktion gewählt hat, vermag die erforderlichen Partien sogar doppelt zu besetzen. Auffallend ist dabei der extrem hohe Anteil an asiatischen Solist*innen in beiden Besetzungen.

Regisseur Frank Hilbig hat die Handlung der Oper in der Gegenwart angesiedelt und macht aus dem „Hotel zur Goldenen Lilie“ eine postsozialistisch graue Plattenbau-Absteige. Diese wurde offenbar mit viel Pfusch errichtet, worauf Spätschäden zusammenbrechender Wände verweisen, – und ganz ohne Kunst am Bau, denn das einzige Kunstwerk darin ist ein LED-Bildschirm mit flackerndem Kaminfeuer (Bühne: Jezi Tay). In seinem Programmheft-Aufsatz bemüht sich der Regisseur, den Bogen zu Samuel Becketts absurdem Theater zu spannen, doch das Warten der Reisegesellschaft auf die ausbleibenden Pferde, welche die europäisch bunt gewürfelte Gesellschaft von Festgästen (Kostüme: Nuria Heyck und Anna Philippa Müller) nach Reims oder alternativ nach Paris kutschieren sollen, ist weit entfernt vom „Warten auf Godot“.

Vom ersten Hereinlaufen und Übereinanderfallen der Reisegesellschaft über das Vertauschen und kommentierende Auspacken der rollenden, in Größe und Farbe individuellen Koffer ist das slapstickreiche Spiel intensiv und lebendig gestaltet.

Problematisch erscheint hingegen Hilbigs Umgang mit dem Schluss der Oper: Da sowohl die Reise zu den Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Karl X. nach Reims als auch die dann alternativ geplante Reise nach Paris nicht stattfinden können, entschließt sich die Gesellschaft ihre Reisekasse für ein Fest auszugeben, zu dem jeder Teilnehmer einen künstlerischen Beitrag zu bringen hat. Da der Vorschlag, dass jeder im musikalischen Stil seiner Heimat einen Toast auf den Souverän ausbringen soll, vom deutschen Major und Musikfanatiker Baron von Tombonok (Matwej Korshun) gemacht wird, zeichnet der Regisseur diesen als faschistoid; andererseits aber transformiert er den Text der von Tombonok gesungenen Haydnschen Kaiser-Hymne zu einer Europa-Hymne. Und das Absingen der Tiroler Hymne durch die Madama Cortese (EunJi Oh) und den Italiener Don Profondo (Taejong Kim) beendet der Regisseur mit deren Nazi-Heil-Gruß.

Am Ende brilliert die Improvisationskünstlerin Corinna mit einem Lobgesang auf Karl X., König von Frankreich. Den hoffnungsvollen Schluss ersetzt der Regisseur durch ein blutrot beleuchtetes, blutiges Gemetzel Aller gegen Alle, wobei das Hotelpersonal die finale Mordarbeit verrichtet.

Sicherlich kann man den emphatischen Schluss der Oper mit ihren Tänzen konterkarieren, spannender jedoch wäre hier der Entwurf einer Utopie gewesen – doch an ein friedliches Miteinander der Völker vermag der Regisseur offenbar nicht zu glauben. Dabei beweist doch das sinnvoll ergebnisreiche Miteinander von Europäern, Amerikanern und Asiaten, die internationale Besetzung dieser Aufführung, wie ein intensives Zusammenwirken zum Ereignis werden kann.

Die darstellerischen Leistungen und das Zusammenspiel, wie auch der bis zu 14-köpfige Ensemble-Gesang waren vortrefflich, die individuellen gesanglichen Leistungen des A-Premierenabends durchwachsen bis überdurchschnittlich.

Den Anfang einer großen Karriere bot die in den Koloraturen makellose, durchschlagskräftige Sopranistin Natalia Labourdette als italienische Improvisationskünstlerin Corinna. Außerordentliche Leistungen zeigte auch der markante Tenor Linard Vrielink als russischer Conte di Libenskof. Ein neunköpfiges Vokalensemble der Hotel-Mitarbeiter als Chor wurde durch die kleineren Partien der Hotelleitung auf bis zu elf Sänger*innen erweitert, wobei von diesen die Dialektik zwischen Klar- und Subtext besonders köstlich ausgespielt wurde.

Eine weitere Überraschung bot der Klangkörper im Graben. Nach anfänglich erforderlichem dynamischem Abgleich im voll besetzten Theatersaal der UdK pegelten sich Bühne und Orchestergraben optimal ein. Genussvoll der Einsatz eines Hammerflügels für Rezitative und die verstärkte Harfe auf der Hinterbühne als Lyra für Corinna. Die Qualität des aus jungen Studierenden gebildeten Symphonieorchesters der UdK unter der beschwingt-präzisen Ausdeutung durch Errico Fresis war erstklassig, der Beifall des Premierenpublikums ungeteilt und heftig.

  • Weitere Aufführungen: 7. ,8. und  9. Juli 2017.

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