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Dronenoper in Bonn. Foto: Stefan Pieper
Dronenoper in Bonn. Foto: Stefan Pieper
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Bruch in der Komfortzone: Gregor Schwellenbachs „Dronen-Oper“ im Bonn

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Die Vernichtung von Menschen erfolgt heute nicht selten aus der Komfortzone heraus. An einem sicheren Ort fernab vom Kriegsschauplatz erlebt der mit dem Abfeuern tödlicher Fluggeschosse beauftragte „Drohnen-Operator“ die Tragweite seines Tuns nur von Monitoren aus. Töten als „Nine to five“- Job? Die Kameras können jedes Detail ins Visier nehmen, um den Einschlagsort exakt zu berechnen. Was ist dort unten für ein Leben? Wie sehen die Menschen dort unten und ihr Alltag aus? Wie reden, schlafen, lachen, essen, beten, lieben, arbeiten sie? Der unbekannte Drohnenpilot in Lothar Kittsteins Text „Autopilot“ empfindet zumindest noch so etwas wie Neugier darauf. Lebt hier ein Restbestand von Empathie? Auch wenn diese im eigenwillig verfremdeten Sprechgesang reichlich surreal anmutet...

Das Bonner Theater im Ballsaal, indem Gregor Schwellenbachs Drohnen-Oper zur Aufführung kommt, ist an diesem Abend eine besondere Komfortzone. Statt normaler Bestuhlung laden Liegestühle zu „gechilltem“ Konzertgenuss ein – diese Körperhaltung würde man sich für viele Darbietungen mehr wünschen! Für Gregor Schwellenbach, Komponist, Pianist, Bühnenmusiker und DJ ist der atmosphärische Rahmen ein wichtiges Anliegen. Und genau dieser Aspekt wird hier zum Sujet einer ironischen Brechung.

Monitore dominieren die Bühne, außerdem animieren große runde Projektionsflächen an der Decke dazu, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Und diese Klangwelt erst! Sphärische, schwebende, flüchtige, aber auch sehr stationäre Schwingungen aus Orgel, Synthesizern und elektrischen Gitarren arbeiten sich an den „drones“ als musikalischer Kategorie ab. Diese wortspielerische Schnittstelle bildete für den in Köln lebenden Komponisten, Pianisten, DJ und Theatermusiker Gregor Schwellenbach den Ursprung dieses Projekts.

Die Theaterleute des Fringe-Ensembles erweisen sich an diesem Abend als fabelhafte Musiker, die eine souveräne Umsetzung sicher stellen. Der Soundtrack zu dieser „Oper“ beweist einen wachen Blick für Einflüsse aus der Minimal-Music, etwa eines La Monte Young, aus kontemplativen mittelalterlichen Stilen, von Bands wie Velvet Underground. Manchmal erinnern die gleichbleibenden, zugleich in Timbre und ihrer Modulation sich wandelnden Schwingungen an die grundierenden Bordun-Töne in der indischen Musik.  

Wovon die Bilder zeugen, das ist beruhigend weit weg: Archaisch karg sind die Landschaft, die so viel freier als die drangvolle Enge in mitteleuropäischen Ballungsräumen anmutet. Ist nicht Afghanistan an sich ein traumhaft schönes Land? Details werden sichtbar, Autos, einzelne Menschen. Aber der gepflegt-distanzierte Wohnzimmerblick fällt auch auf die riesigen Dimensionen totaler Verwüstung durch jahrzehntelangen Krieg – egal ob in Bagdad, Kundus, Aleppo oder sonst wo. Den Kontrapunkt aus der behüteten Welt liefern Luftbilder aus der Bundesstadt Bonn. Übrigens lag die auch mal in Trümmern...

Justine Hauer, Manuel Klein und Andreas Meidinger lassen sparsame, szenische Gesten sprechen. Unterkühlt und distanziert wirkt, wie Joysticks gegriffen, Monitore konzentriert verfolgt, wie zwischen den Instrumenten hin und her gewechselt wird. Diese Darsteller können auch passabel singen. Dies ist ein weiterer Baustein in diesem reduzierten, zugleich anspielungsreichen Spiel: Nicht ohne eine Spur popmusikalischer Süßlichkeit wird der gesungene Text vom Autopiloten, der sich zwischen virtuell-realen Tötungseinsätzen einen Kaffee holt und nach Feierabend seiner Frau begegnet, zur grotesken Farce. Klug eingestreut sind Interviewzitate von Brandon Bryant, einem ehemaligen Dronenpiloten, der auspackte und im Jahr 2015 mit einem Whistleblower-Preis ausgezeichnet wurde. Einen bizarren Singsang stimmen Politiker im Bundestag an, wenn sie im schicken Plenarsaal das Thema „ferngesteuertes Töten“ mal moralisierend, mal pragmatisch, gerne oft entschuldigend oder gerne beschönigend in weitschweifige Ausführungen einpacken. Die Sänger drechseln daraus grotesk verzerrte Rezitative – ganz bewusst kam hier keine O-Ton-Collage zum Einsatz! 

Wer nach dieser Stunde das charmante Theater im Ballsaal verließ, musste erstmals Emotionen und Gedanken ordnen. Da war eine angenehme Stunde an einem einladenden Ort mit ebensolchen Klangwelten dem hedonistischen Bedürfnis nach Entrückung gerecht geworden. Zugleich fehlten Schock-Ästhetik und Voyeurismus, um das ganze mal eben in der Betroffenheits-Schublade abzulegen. Und gerade diese Diskrepanz, dieser Zustand von „viel mehr Fragen und keine Antworten darauf“ ließ die Gedanken eben nicht einfach wieder zur Ruhe kommen - auch wenn an diesem warmen Sommerabend die Komfortzone äußerlich weiter ging.

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