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Die Meistersinger von Nürnberg. Foto: © Lutz Edelhoff
Die Meistersinger von Nürnberg. Foto: © Lutz Edelhoff
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Bunt in Weimar: „Die Meistersinger von Nürnberg“

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Die Staatskapelle Weimar und das Deutsche Nationaltheater haben einen neuen Generalmusikdirektor: Der gerade vierzigjährige Ukraine Kirill Karabits gab dort seinen Musiktheater-Einstand mit Wagners „Meistersingern von Nürnberg“. Wer hat schon den Joker eines Starts mit diesem Spitzenwerk? Dessen erste Premiere feierte man allerdings bereits im Mai 2016 im Theater Erfurt, dort kam das Großprojekt der beiden Theater mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt und der Thüringen Philharmonie Gotha heraus. Auf der Bühne – zur „Festwiese“ auch in den Zuschauerräumen – traten da schon die von Andreas Ketelhut und Markus Oppeneiger prima präparierten Opernchöre zusammen an. Diese Leistungsschau kann sich sehr gut hören und auch sehen lassen.

Es war – wenn schon nicht für das Ensemble – für Kirill Karabits und die Staatskapelle Weimar eine echte Premiere. Und man merkt erst recht in der besuchten zweiten Vorstellung, wie die internationalen Scharen beider Häuser miteinander an dieser Großtat gewachsen sind. Kirill Karabits, der sich im Frühjahr 2017 in Weimar mit einer halbszenischen Wiederaufführung der von ihm entdeckten „Johannes-Passion“ von Carl Philipp Emanuel Bach auch intimeren Musikdimensionen stellen wird, beginnt das Vorspiel breit und üppig. Vorbei scheinen – wie bereits vor einigen Monaten in München bei Kirill Petrenko – die Zeiten, in denen man der fragwürdig nationalistischen Rezeption dieser „Festoper“ mit verschämten Säuseln und Sprödigkeiten entkommen wollte. Diese neue musikalische Genussfreude ist ohne schlechtes Gewissen möglich, weil Vera Nemirova im szenischen Spiel die Konflikte zwischen der Vision von Kulturgedeihen und (falscher) chauvinistischer Auslegung aufreißt: Der nachkriegszeitliche Retrotrachten- und Eventpöpel knallt dem Poeten und Inhaber der Schuhwerke „Sachs“ die fragwürdigen Verse zur deutschen Meisterehre mit plumpem Missverstehen zurück. Hans Sachs bleibt am Ende zusammenbrechend in den hybriden Architekturzitaten von Tom Musch allein, hinten ihm nur noch der etwas tapsige Beckmesser, den Nemirova als intellektuellen Freigeist darstellt. Hans Sachs ein Alter Ego des Klassikmillionärs Herbert von Karajan, Junker Stolzing ein alternativer Pseudo-Oppositioneller und Beckmesser der kreative Chaot – sie zusammen sind der Kleestengel, von dem jedes Blättchen dem Liebesstern Eva Pogner an die Wäsche geht.

Neben viel „Neuschwanstein Collection“ und wenig Business Fashion hat Marie-Thérèse Jassen anstelle des Ruhmeskranzes eine Joggingjacke mit Meistersinger-Logo parat. Nemirovas Vorgaben werden vom Ensemble mit vollendeter Spielsicherheit und intensivem Spielwitz vorgeführt. Und auch mit größerer musikalischer Sicherheit als zur Erfurter Premiere, das versteht sich in dieser Produktionskonstellation von selbst. Frank von Hoves Sachs klingt in Weimar viel freier, Bjørn Waags Beckmesser hat bei seinen Irrnissen mehr Entspannung, Heiko Börners Stolzing ruht mit vokaler Stabilität in sich. Etwas trocken bleibt der Pogner von Daeyoung Kim, Alik Abdukayumov beeindruckt als Kothner mit sängerdarstellerischer Feinkontur ebenso wie Jörn Eichler als David. Sie alle und die vielen anderen der Ensembles geben sich unbefangen und vollgriffig, zeigen die genau richtige Haltung für das erotisch aufgeladene Spiel. Ilia Papandreou ist der Stern, macht aus der Bürgerstochter Eva ein postfeministisches Geschöpf, für das Emotion, Sinnlichkeit und Hingabe ohne Identitätsskrupel möglich sind. Wie in Erfurt modelliert sie Herz und Dringlichkeit des so gar nicht paradiesischen Bühnengeschehens, der dunkle Sopran gewinnt immer mehr Wärme. Stéphanie Müther macht als sängerisch und szenisch resche Magdalene alles mit, vom Tänzchen zum Ständchen bis zum Kampfknutschen mit David.

Gekonnte, nicht nur behauptete Ungezwungenheit wird zum guten Mittel gegen die Irritationen aus diesem fränkisch-mitteldeutschen Mittsommernachtstraum mit gewalttätigem Rüpelspiel. In dieser für ihn günstigeren Konstellation hat Kirill Karabits Vorteile gegenüber der Erfurter Chefdirigentin Joana Mallwitz, die dort im größeren Raumvolumen mehr die feingezeichneten Polyphonien aus Wagners Partitur holte: In Weimar greift man vier Stunden lang in die Vollen. Der Klang ist von ausladender Flächigkeit und großer Farbvielfalt. Alle Gruppen der Staatskapelle bleiben in dieser Dichte immer bestens vernehmbar und – das zeigt Können – an keiner Stelle werden die Sänger dadurch zu Opfern. Nur in der Meistersinger-Versammlung tun sich da Längen auf und sogar in den konditionsfordernden Dimensionen der Schusterstube stimmt im Graben fast alles. Das sind lässliche Detailanmerkungen, weil dafür die Festwiese dann toll aufgefächert wird, wenn sich Karabits bei „Wach auf!“ zum im Zuschauerraum verteilten Chor wendet. Buntheit gegen Teutonismus – im Nationaltheater Weimar haben diese „Meistersinger von Nürnberg“ eine für Wagner wie zum derzeitigen Klima dringliche, differenzierte, schillernde Farbskala. Und die ist alles andere als ein mürbes Graubeige, zum Glück!

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