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Vorn: Musiker der Staatskapelle Halle hinten v.l.n.r.: Elke Richter (Celia Peachum), Bettina Schneider (Spelunken-Jenny) und Ensemble. © Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH, Falk Wenzel
Vorn: Musiker der Staatskapelle Halle hinten v.l.n.r.: Elke Richter (Celia Peachum), Bettina Schneider (Spelunken-Jenny) und Ensemble. © Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH, Falk Wenzel
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Da grinst der Haifisch sich eins – Die Dreigroschenoper von Kurt Weill und Bert Brecht in Halle

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In der „Dreigroschenoper“ könnte wohl jeder Theater- bzw. Opernfreund ab einem gewissen Alter überdurchschnittlich viele Songs mitsingen. In der jüngsten Gemeinschaftsproduktion von Schauspiel und Oper in Halle wird nach der Pause aus dem „könnte“ ein „sollen“. Und es funktioniert! Das Publikum singt mit. Den Mackie-Messer- Song, was sonst. Laut und leise. Da grinst der Haifisch sich eins. Da schwappt der Drive, der vor 90 Jahren die Gemüter erhitzte über jedes Verfremdungsgebot hinweg ganz direkt ins Gemüt. Damit hatte es schon angefangen, als Harald Höbinger als Moritatensänger mit leichter Brecht-Anmutung, zu Beginn diesen Song aus einer kleinen Spieluhr zauberte und dann die ganze Truppe vor den Vorhang zitierte. Da sah und hörte man sie schon mal.

Wie gut, dass man die Dreigroschenoper nicht nur im Gedächtnis hat, sondern dass sie nach 15 Jahren in aller Pracht und ziemlich theaterdeftig frisch wieder auf die Bühne kommt. Diesmal auf die des Opernhauses. Mit einer Dreigroschenvariante der Staatskapelle (gutes Dutzend) im hochgefahrenen Graben, die Michael Wendeberg vom Klavier aus leitet. Und das, obwohl die Musiker von Mackies Gangstertruppe mit vorgehaltener Waffe und ziemlich ruppig an ihren Arbeitsplatz getrieben wurden. Schon das machen sie fabelhaft. Die Musik dann um so mehr! Mit spürbarer Lust, an dieser Art von engem Kontakt zur Bühne. Auf die Drehbühne hat Ausstatterin Claudia Charlotte Burchard ein verlottert urbanes Mehrzweck-Etablissement gebaut, das entfernt an eine Castorf Bühne der Marke Alexandar Denic erinnert, und genauso imaginierend und stückzusammenhaltend funktioniert. Im zweiten Teil ist Platz für die Zelle gleich hinter der Leuchtreklame des Hotels.

Die Verhältnisse, die sind halt so …

Mit dieser Produktion zahlt sich die organisatorische Klammer zwischen Schauspiel, Orchester und Oper in Halle mal ganz direkt auch künstlerisch aus. Was natürlich nicht funktionieren würde, wenn nicht auch der Opern- und der Schauspielintendant und ihre Gefolgschaft das wollen. Und können. Der eine, Matthias Brenner, sogar als doppelter Chef: als der des Schauspiels, der sich ohne Egoproblem von seiner Chefdramaturgin Henriette Hörnigk in Szene setzen lässt und als Oberhaupt der Bettlerfirma Peachum auf der Bühne! Dass es ihm gelingt, auch noch den Animateur zu geben und das Publikum beim Mitsingen zu dirigieren, spricht nicht nur für ihn, sondern auch für das gute alte Erbstück aus der Abteilung Klassenkampf und Sozialkritik. Wobei es Brecht vor allem um eine Dialektik geht, die nicht nervt, sondern als Bonmot, nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen ist. Wenn er etwa die Gründung einer Bank mit dem Einbruch in solch ein Institut vergleicht und suggeriert, dass das erste fieser als das zweite ist. Versteht jeder. Stimmt trotzdem nur halb. Auch über das Primat von Fressen und Moral ließe sich trefflich streiten. Wenn man aber zu der Musik hört, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt, dann glaubt man das einfach. Die Verhältnisse, die sind halt so. Oder eben nicht.

… oder eben nicht

Diese Dreigroschenoper glaubt man, weil sie nicht in Cent umgerechnet wird. Ein paar Körnchen Gegenwartsaroma, „vorwärts immer, rückwärts nimmer“, oder „you are fired“, eine Prise Fuck-you-Slang und einmal Village People. Auch schon irgendwie nostalgisch. Dieser Abend setzt voll auf Theater und ein Ensemble, das es eben drauf hat. Der erste Dialog im Hause Peachum zieht sich etwas, doch er schafft es, dass man von da ab sehnsüchtig auf jeden Auftritt von Celia Peachum wartet. Denn Elke Richter übertrifft sich selbst: Kann die Fänden in der Hand und Kurs beim Torkeln halten, Slapstick und fabelhaft singen. Brenner hat für seinen Peachum neben aller Ironie auch einen Zipfel Theaterkönigswürde dabei. Damit lassen sich auch die Songs flankieren. Natürlich ist Martin Reik als Mackie Messer eines der Pfunde dieser Inszenierung. (Naja - ein paar mehr als eins). Raumfüllend präsent, phantastisch bei Stimme, der sympathische Ganove von nebenan, dem die Frauen natürlich zu Füßen liegen. Vor allem die zarte Tochter der Peachums und die von Polizeichef Tiger-Brown. Wunderbar wie Annemarie Brüntjen als Polly die Höhe der Seeräuber Jenny erklimmt oder wie Ines Lex als Lucy mal kurz überm Kinderwagen die vokale Tür zur großen Oper öffnet. Eine Show für sich ist, wenn die beiden Frauen beim Knastbesuch aufeinander losgehen – Zickenkrieg vom Feinsten. Toll wie Till Schmidt (Münzmatthias), Karl-Fred Müller (Hakenfingerjakob) und Jörg Simonides (Sägerobert) die Gangstertruppe hintrotteln. Oder wie Bettina Schneider als Spelunken-Jenny ihre Huren kommandiert, Peter W. Bachmann zwischen Pastor, Bulle und Hure und Hagen Ritschel zwischen Nachwuchsbettler, Hure und Tanzfee wechseln. Und wie Matthias Walter seinen Tiger-Brown dazwischen schlackst. Den reitenden Boten des Königs (oder der Königin?), den übernimmt hier der Moritatensänger Brecht als fliegender Superman-Engel.

In der Oper Halle setzen sie auf das Stück, vertrauen ihm und dem, was sich die Leute dazu denken (können). Und sie gewinnen. Jubel ohne Widerspruch. Auch mal schön.

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