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Ein fliegender Holländer in Malmö. Senta - Cornelia Beskow; Holländaren - Josef Wagner. Fotograf: Jonas Persson
Ein fliegender Holländer in Malmö. Senta - Cornelia Beskow; Holländaren - Josef Wagner. Fotograf: Jonas Persson
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Dänemark reaktiviert sein spätromantisches Opernschaffen, in Malmö gibt es Wagner

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Philipp Kochheim brachte August Ennas „Kleopatra“ an der Dänischen Nationaloper Aarhus (Den Jyske Opera) heraus, die Operaen Det KGL-Teater (Königliches Opernhaus Kopenhagen) folgte mit Peter Heises „Drot og Marsk“ (König und Marschall). In Malmö inszenierte Lotte de Beer Wagners „Fliegenden Holländer“ als schwedische Volksoper. Roland H. Dippel hat sich auf die Reise gemacht und berichtet.

Der deutschstämmige Intendant Philipp Kochheim macht sich an den Spielstätten der Den Jyske Opera mit einer äußerst informativen Ausstellung stark für das dänische Opernschaffen und lässt im Sommer „Michael Koolhaas“ des aufgrund seiner Verstrickungen im Nationalsozialismus umstrittenen Paul von Klenau folgen. Wichtig sind diese Initiativen und Hinterfragungen auch deshalb, weil dänische Opern in Europa um 1900 vergleichbar häufig wie slawische Werke gespielt, aber im Gegensatz zu letzteren bis heute kaum international rezipiert wurden.

Das Publikumsverhalten im Musikhuset Esbjerg, in der Oper Malmö und im neuen Opernhaus Kopenhagen ähnelt sich: Kurzer heftiger Schlussapplaus und alle stürmen nach draußen. Die drei Abende hatten gehobenes bis hohes musikalisches Format, szenisch zeigten sie einen geschickt-unbefangenen Umgang mit den Sujets und Partituren.

Schwedisches Kolorit: „Der fliegende Holländer“

Als Ergänzung zu den beiden Entdeckungen passte der „Holländer“ in Malmö durch seine bodenständig-leichte Inszenierung. Die australische Dirigentin Jennifer Condon entfachte mit dem Malmö Operaorkester zügige Meeresstürme und legte die Affinität Wagners zur Spieloper frei. Lotte de Beer stellt eine wenig tiefgründige, dafür sympathisch verspielte Lesart vor. Dalands Seemänner, dieser selbst (Nikolay Didenko) und die blitzblanken Interieurs stammen aus der Bilderwelt des naiven Realisten Carl Larsson. Sogar die niedliche weiße Katze sitzt in der guten Stube – und ist eine Holzfigur! Emsig wie die Bienen werken die beschürzten Frauen, die Herren rauchen Pfeife und klopfen sich auf die Schultern. Die kleine Senta kritzelt während der mit fröhlichem Kantenreichtum genommenen Ouvertüre herum: Der „fliegende Holländer“ ist auf ihrem ‚Porträt‘ nicht ein attraktiver Jungmädchentraum in den besten Jahren, sondern ein einziger schwarzer Riesenfleck. Später, wenn die Oper in Gang kommt, ändert sich wenig am Beuteraster der herangewachsenen Kapitänstochter, die unter die betuchte Haube soll. Schwarze Punkte in der heilen Larsson-Welt sind also Sentas Verehrer Erik (Tomislav Mužek mit markanter Linie), der hier kein Jäger sondern Pastor ist, und der Anti-Bürger Holländer (eindeutig zu viel Legato: Daniel Sumigi). Erik vergewaltigt Senta, als sie ihm einen Korb gibt, aber beim Holländer, dem zugewandten Frauenversteher, fühlt sie sich geborgen. Allein bleibt Senta (Cornelia Beskow mit kräftig konditionierter Vokaltextur) zurück, widersetzt sich dem von Wagner geforderten Todessprung in den Liebes- und Erlösungstod: Pfarrer und Seefahrer werden vom schwarzen Loch ihres Bildes verschluckt. Dem frühen Wagner-Geniestreich bekommt diese Schlankheitskur gut. Eine Ibsensche Nora wird die am Ende schwarz gekleidete Senta nicht, aber im bunten Genrebild zum Störfaktor.

„Natter in Hermelin“: „König und Marschall“ in Kopenhagen

Klare Bildsprachen sind auch ein herausstechendes Merkmal der Inszenierungen der beiden dänischen Opern: Peter Heise (1830-1879) gehört noch zum Kreis der Wagner-Zeitgenossen. Seine Oper „Drot og Marsk“ (König und Marschall, 1878) hat für Dänemark einen vergleichbar hohen Rang wie Erkels „Bank Ban“ für Ungarn oder Smetanas „Dalibor“ für Tschechien. Neuinszenierungen gab es 1940, 1954 und 1974, die besuchte Vorstellung war die 200. an Det Kongeliche Opernhaus. Kaspar Holten und Amy Lane entschieden sich zu einer stark stilisierenden Umsetzung des Librettos von Christian Richardt über die Verschwörung gegen König Erik Klipping von Dänemark und dessen Ermordung. In der Oper wird die historische Figur aus dem 13. Jahrhundert erst zum Verführer der arglosen Aase und dann von Ingeborg, der Frau seines Marschalls Stig Andersen. Diese letzte Charmeoffensive ist eine zu viel: Der Marschall ruft zur Rache, er tötet den König und wird vom Sterbenden geächtet, das Volk beklagt die Untaten. Ein fast prototypisches Befreiungssujet der großen Oper des 19. Jahrhunderts, deren Ausdrucksmittel Heise in seiner etwas unausgeglichenen Partitur nutzt: Im ersten Akt kontrastiert eine belcantistisch leichte Vokalbehandlung mit dem ausladenden „Lohengrin“-Orchester. Nach einer Folge bekannter Szenenmuster erfand Heise im Schlussakt, wenn König Erik erst das Waldmädchen Aase zum letzten Mal bedrängt und ohne Reue den Marschall anklagt, bewegende Szenen.

Diese Kontraste nutzt die Inszenierung, in der Philipp Fürholzer variables Betonmauerwerk durch große Spiegel wirkungsvoll reflektieren lässt. Der König (Peter Lodahl mit zuerst etwas müdem, dann in der Bedrängnis immer schönerem Spinto-Tenor) leidet, überdeutlich erkennbar, am Neuschwanstein-Syndrom: Seine Welt besteht aus raumfüllenden Historien- und Naturgemälden, vor denen er im luxuriösen Morgenmantel der Schönheit und vor allem den Frauen huldigt. Aase wird zur Catering-Hostess, für die und deren weitgehend aus liedhaften Gebilden bestehenden Part Sofie Elkjaer-Jensen einen kristallen konturierten Sopran mitbringt. Sine Bundgaard fällt es sehr schwer, Interesse für die von Text und Musik recht blass gehaltene Ingeborg zu wecken. Ein schweres Stück ist das Werk auch für Johan Reuter, der als Marschall in erster Linie seinen kraftvoll düsteren Heldenbariton ausstellt und szenisch schwerfällig bleibt. Äußerst beeindruckend gerät die zweite große Tenor-Partie durch Gert-Henning Jensen als Opfer und opportunistischer Mitverschwörer Rane Johnsen. Er hat die von Heise eigentlich in allen Partien geforderte Eleganz und auch die charakterisierende Wendigkeit. Michael Schønwandt am Pult, Det Kongelige Kapel und Det Kongelige Operakor (Chorleiter: Jakob Lorentzen) kommen mit den Anforderungen dieser Grande Opéra hervorragend zurecht.

„Augen wie blitzende Schlangen“: „Kleopatra“ aus Aarhus

Ennas „Kleopatra“ (1884) ist im internationalen Vergleich dagegen fast ein Trendsetter: Nach einigen Analogien zu Verdis „Aïda“ im Prolog nimmt diese Oper, in der es ausnahmsweise einmal nicht um Julius Caesar oder Marcus Antonius geht, mit bestechender Erfindungskraft Muster des exotisch-lyrisch-ekstatischen Musikdramas um 1900 vorweg. Die Handlung ist ganz auf den zentralen Dreieckskonflikt konzentriert: Beteiligt an diesem sind die legendäre ägyptische Königin Kleopatra, die Verschwörerin Charmion und Harmakis, der als Liebhaber deutlich höhere Qualitäten zeigt denn als unerkannter letzter Spross der entmachteten Pharaonen-Dynastie. Selbst wenn sich Philipp Kochheim, Ben Baur (Bühne) und Uta Meenen ohne archäologische Ambitionen um eine archaisierende Aura bemühen, ist der Abend den Massenet ebenbürtigen Klangfarben Ennas vollauf angemessen: Viel Erotik, fast noch mehr Blut. Der intensive Einsatz aller Mitwirkenden gleitet trotzdem nicht in Kitsch oder Parodie ab. Ihnen, vor allem den packenden Sängern der anspruchsvollen Hauptpartien gelingt ein eindrucksvoll bewältigter Balanceakt zwischen schwülem Überschwang und musikalischer Präzision: Elsebeth Dreisig girrt und gurrt als männermordende Königin betörend in allen Lagen, Tanja Kuhn nimmt die fast amazonenartige, eher kühle und danach um so gefährlichere Position der verschmähten Rivalin ein. Bei Magnus Vigilius zwischen den beiden ganz starken Frauen, von denen jede das tyrannische Zepter auf bezwingend unnachahmliche Weise schwingt, steckt Sex-Appeal vor allem in der Kehle. Man scheut sich nicht einmal vor der Ballettmusik: Da weidet sich Kleopatra mit dämonischer Lüsternheit an den Schmerzen eines blinden und fast nackten Sklaven (Johannes Brüssau). Ihm rinnt das Blut aus den Augen und er verendet zwischen ihren gespreizten Beinen.

In jedem der drei Säle des Musikhuset Esbjerg (72.000 Einwohner) gab es an diesem Abend gut besuchte Veranstaltungen, „Kleopatra“ war an einem Werktag fast ausverkauft. Bei den Aufführungen und Gastspielen der Den Jyske Opera wirkten insgesamt vier Orchester mit. In der besuchten Vorstellung sorgte unter Joachim Gustafsson das Sønderjyllands Symfonieorkester für den erregend dichten und nicht zu gebrochenen Klang. Auf die wohlig erotisierende Realisierung hatte Chorleiter Tecwyn Evans einen guten Einfluss: Die Damen als verführerische Sklavinnen und die Herren mit den ungewöhnlichen Kompetenzprofilen als sexuelles Freiwild einer Frau in Spitzenposition erhielten gleich mehrere wirkungsvolle Momente. Bürgerliche Oper von hohem Unterhaltungswert und eklektizistischer Extravaganz.

  • Besuchte Vorstellungen: 26. März 2019 (Premiere: 1. März): August Enna – Kleopatra, Den Jyske Opera (Kulturhuset Esbjerg) / 27. März 2019 (Premiere: 2. Februar): Richard Wagner – Der fliegende Holländer (in deutscher Sprache), Malmö Opera / 28. März 2019 (Premiere: 23. März): Peter Heise: Drot og marsk (König und Marschall), Det KGL-Teater Operaen, Copenhagen   

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