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Die tote Stadt in Nürnberg. Foto:
Die tote Stadt in Nürnberg. Foto: Jörg Landsberg
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Das Dia der Toten – Korngolds „Die tote Stadt“ im Staatstheater Nürnberg

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Keine andere Oper, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wiederbelebt wurde, hat eine derartig nachhaltige Bühnenrenaissance erfahren wie Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“, der Geniestreich des Wunderkindes aus dem Jahre 1920. Nach einer Reihe mittelgroßer Häuser, nach den Salzburger Festspielen und der Wiener Staatsoper, brachte nun auch das Staatstheater Nürnberg – in Kooperation mit dem Stadttheater Bern – diese Oper heraus. Die Geschichte der vermeintlichen Wiederkehr einer Toten war stets ein gefundenes Fressen für phantasievolle Regisseure; Götz Friedrich hat sie tiefenpsychologisch entschlüsselt, Günther Krämer als eine Paraphrase auf Hitchcocks „Vertigo“ und Willy Decker als ein Psychogramm der Bedrohung interpretiert.

Im Nürnberger Bühnenraum von Stefanie Pasterkamp ist der Fin-de-Siècle-Handlung alles in den ersten Sätzen angesprochene „Gespenstische“ ausgetrieben: ein allzu einfacher, weißer  Raum mit dreistöckigem Museumswagen zeigt später seine – durch sichtbares Rangieren – erreichte dunkle Kehrseite, in der ein Tisch und ein Designersofa auf Rollen das Bindeglied zur Realhandlung schaffen.

In der Jetztzeit sind die handelnden Personen zunächst hilflos verloren, auch in der Kunstwelt des nächtlichen Brügge mit der – angesichts heutiger Theatertradition – ins Leere laufenden Handlungsparaphrase auf Meyerbeers „Robert le Diable“  (so allerdings auch im parallel verlaufenden zweiten Aufzug des „Parsifal“).

Regisseurin Gabriele Rech hat den ersten und zweiten Akt (etwa durch Auslassung von Brigittas Entschluss, Ursulinerin zu werden und die Abrechnung mit ihrem Herrn) zu einem Aufzug verkürzt, aber erst der dritte Akt gewinnt beginnt bei ihr an Stringenz und Eigendynamik. Zum Pausenschluss reicht Marietta Paul die blanke Brust, um daraus das Vergessen trinken zu lassen. Nach verbrachter Liebesnacht missbraucht Paul Marietta, die sich nun im Pyjama in seinem Haus eingenistet hat, zu den Gesängen der Karwochen-Knabenchöre rektal. Sie provoziert ihn, indem die Dias von seiner verstorbenen Frau zerstört und dann mit der Haarlocke der Toten onaniert.

Jenseits ihrer Obsessionen ist die Personenführung wenig schlüssig. Mitleiden schafft der zunächst in ständigem Dauerforte überanstrengte, detonierende und so die extreme Lage schuldig bleibende Tenor Norbert Schmittberg als Paul. Wackerer in den bisweilen ebenfalls extremen Lagen der Doppelrolle von Tänzerin Marietta und toter Marie (über Lautsprecher) schlägt sich die amerikanische Sopranistin Mardi Byers; allerdings bleibt sie der Rolle der Tänzerin einiges an Bewegungsabläufen schuldig. Striche ermöglichen es, die Rollen von Pauls Freund Frank und Fritz (dem Pierrot der Schauspielertruppe mit seinem berühmten Lied „Mein Sehnen, mein Wähnen“) auf einen Bariton zusammen zu ziehen: Jochen Kupfer erhält dafür besonders heftigen Applaus.

Die überzeugendste Leistung des Abends bieten jedoch die Nürnberger Philharmoniker, die alle orchestertechnischen Schwierigkeiten mit Bravour meistern und dann – nach Bayreuther Muster – auch zum Schlussapplaus auf der Bühne erscheinen. Dirigent Philipp Pointner badet breit im Celesta gesättigten Wohlklang spätromantischer Klangfarben. Er deckt die Stimmen nicht zu, gewinnt aber den Kampf mit jenem Teil des Publikums, das noch vor dem Schluss zu Klatschen beginnt durch extremes Aushalten der Schlussakkorde. Im Gegensatz zu den Lesarten der Regisseure Götz Friedrich und Iga Levant überwindet Paul in Nürnberg seine Psychose ohne Suizid und verlässt die tote Stadt, – allerdings unter Mitnahme eines letzten Dias der Toten.

Weitere Termine:
04.06., 08.06., 14.06., 21.06.2009, 28.06., 03.07.2009

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