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Emilie Renard, Noa Danon, Jadwiga Postrozna, Hyejin Lee. Foto: © Andreas Lander
Emilie Renard, Noa Danon, Jadwiga Postrozna, Hyejin Lee. Foto: © Andreas Lander
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Das Salz in der Suppe – Karen Stone inszeniert am Theater Magdeburg Verdis „Falstaff“

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Giuseppe Verdis „Falstaff“ gehört zu den Meisterwerken der Operngeschichte, die immer besser werden, je öfter man sie hört. Es ist die Vielzahl der Köstlichkeiten, die verführt. Und man freut sich nach dem Aufblitzen und wieder Verschwinden der einen schon auf die nächste. Klar sind da keine Arien über die Rampe zu schmettern. Auch schwelgerisches Anschmachten taucht nur als ironisch akustisches Augenzwinkern auf. Aber die Souveränität, die Entdeckerfreude und auch die Lust, sein Publikum (als fast Achtzigjähriger) noch einmal zu überraschen, wo er es doch schon seit Jahrzehnten quasi in der Tasche hatte, das imponiert bei jeder Wiederbegegnung mit dem Werk.

„Falstaff“ ist – unabhängig von der szenischen Umsetzung – also ein musikalisches Menü, dessen Bestandteile nie auf einen Teller passen, sondern gut verteilt eine ganze Tafel füllen. Dass es dabei dann auch deftig zugehen und scheinbar chaotisch werden kann, liegt natürlich auch an der Komödienvorlage Shakespeares, die Arrigo Boito aus dessen „Lustigen Weibern von Windsor“ und einigen Passagen von „König Heinrich IV.“ zum Libretto geformt hat. 

Die Magdeburger GMD Anna Skryleva (die sich im Gegensatz zu ihrer kurzzeitigen Kollegin in Halle nicht wieder aus dem Staub gemacht hat, sondern in Magdeburg wirklich angekommen ist) dirigiert die reduzierte Orchester-Fassung von Stefano Rabaglia mit einem beherzten Zugriff, trumpft auf, lässt es auch mal knallen. Aber sie hat nicht nur die Protagonisten auf der Bühne (und den Chor im Rang) wirklich im Blick. Ihre Art zu dirigieren setzt auf Transparenz, sie macht das Neben- und Nacheinander schnell wechselnder Passagen plastisch und versucht das Disparate nicht etwa zu überpinseln oder zu vernebeln. Sie macht damit aus der begrenzten Größe der Besetzung im Graben eine Vorzug. 

Und sie hat ein Ensemble zur Verfügung, in dessen Zentrum mit dem fabelhaften Stephanos Tsirakoglou ein optisch und vokal idealtypischer Sir John steht. Mit kraftvoller aber immer geschmeidiger Stimmkraft gibt er den Altstar, der immer noch von sich und seiner Wirkung auf Frauen restlos überzeugt ist. Aber er macht das so, dass es nicht albern wird und ihm durchaus eine gewisse Restchance verbleibt, bei den Damen zu landen. Die scheidende Generalintendantin Karen Stone setzt mit ihrer Regie manchmal zwar auf aufgedrehte Komödie, desavouiert ihre Protagonisten aber nicht. Einzige Ausnahme ist die Verkleidungsnummer von Alices Ehemann Mr. Ford. Wenn Marko Pantelić als Fontana bei Falstaff aufkreuzt, um ihn auf die eigene Ehefrau anzusetzen und damit in die Falle zu locken, dann ist das ein Tick zu viel an kurzbehoster Trottlichkeit. Aber sonst hält die Optik die Balance und bremst mit der Komödie immer noch gerade rechtzeitig vor der Albernheit.

Bei „Falstaff“ läuft es ja immer (heute mehr als früher) auf die Frage hinaus, ob der alte Schwerenöter, dessen Selbstbewusstsein mit seiner Leibesfülle mithalten kann, nun zu einem klassischen #Metoo-Kandidaten gemacht wird, über dem die Wellen der Themse zusammenschlagen, wie heute die eines Shitstorms. Darum geht es Karen Stone natürlich nicht. Sie bleibt bei Verdis differenzierterer Sicht. Und sie gibt mit der Art, wie sie ihren Sir John in Szene setzt, seinem eigenen Fazit recht, dass er das Salz in der Suppe des Lebens der anderen ist. Im Schlussbild nach dem großen Drunter und Drüber im Park haben sich so mache Paare zusammengefunden, die dafür eine Bestätigung sind. Alice ist wieder an der Seite ihres Mannes, das ja. Aber auch ihre beiden Freundinnen sind am Ende der Nacht nicht solo. Und ob der Liebhaber karierter Anzüge, Dr. Cajus (Stephen Chaundy), und Bardolfo (Timothy Oliver) ihre Fake-Trauung annullieren werden ist auch nicht so ganz klar. 

Zusammen mit ihrem Ausstatter Ulrich Schulz hat Stone die Geschichte über die dreiste Anmache Falstaffs und die Rache der auch nicht gerade zimperlichen Weiber von Windsor in ein Ambiente der frühen 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts verlegt. Also eine Lieblingszeit vor allem von Ausstattern, bei der der Durchschnittszuschauer sich aus der eigenen Erinnerung auch über sich selbst amüsieren kann. Zur Linken gibt es einen riesigen Bartresen, hinten eine kleine Bühne mit Vorhang, davor eine Kollektion von Sitzmöbeln, von denen der Sessel mit Sir John drin von selbst zum Mittelpunkt wird, wenn er empfängt. Falstaff und seine beiden Kumpanen sind offenbar als Dreier-Band hier gestrandet. (Als Pistola glänzt mit komödiantischem Talent Johannes Stermann). Die blauen Showanzüge, ein Plakat an der Wand, das Schlagzeug auf der Bühne deuten darauf hin. Und wenn sich Falstaff dann für seine Rendezvous rausputzt sieht er aus wie Pavarotti im Elvis-Look. Für seinen Auftritt bei Alice hat er dazu noch ein Akkordeon vorgeschnallt. Im Prinzip bleibt es bei dieser Raumstruktur – sie wird in kurzen Umbaupausen mit geschlossenem Vorhang (die reichen für Beifall und ein Durchatmen) leicht angepasst. Für das noble Ambiente mit dem unvermeidlichen Wäschekorb und einem verglasten Blick zur Themse hin bei Familie Ford. Für das Treiben im mitternächtlichen Park sind die Wände verschwunden, nur das Bühnenportal steht noch und ist mit Baumversatzstücken ins atmosphärische Ambiente integriert.  

All das entfaltet keinen separierten Deutungsehrgeiz. Es bietet aber den Raum, in dem sich eine handwerklich tadellose Personenregie entfalten kann, die durch die Musik legitimiert ist, das richtige Tempo hat und die Geschichte so erzählt, als würde sie sich in der behaupteten Zeit tatsächlich zutragen. An dem Vergnügen, das sich dabei in dem mit großen Lücken besetzten Zuschauerraum der Magdeburger Oper entfaltet, haben vor allem die mit zupackender Selbstironie auftretenden und überzeugend singenden Damen Noa Danon (Alice), Emilie Renard (Meg) und Jadwiga Postrożna (Mrs. Quickly) einen Hauptanteil. Dass das junge Paar (Hyejin Lee als Nannetta und Benjamin Lee als Fenton) hier nicht ganz heranreicht, liegt da weniger an deren kleinen Defiziten, als an der hohen Qualität des Protagonistenensembles, zu dem auch der von Philipp Schweizer und Martin Wagner einstudierte Opernchor seinen Teil beiträgt.

Sich als regieführende Intendantin nach 12 Jahre (mit 14 eigenen Inszenierungen) einer alles in allem erfolgreichen und funktionierenden Intendanz u.a. mit einem „Falstaff“ zu verabschieden (im März nächsten Jahres folgt noch ein „Don Giovanni“) ist eine der naheliegenden Optionen. Ein Griff ins volle Menschenleben, als Komödie mit einem Schuss melancholischer Weisheit, mit vollem Vertrauen auf die Überzeugungskraft eines gut geführten Musiktheaters. Was will man mehr. Der Nachfolger (Julien Chavaz) ist berufen, die mittlerweile gut etablierte GMD sichert die Kontinuität. Das ist auch ohne reißerische Schlagzeilen gerade in Sachsen-Anhalt eine ganze Menge!

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