Hauptbild
Stephan Bootz (Wotan), Yamina Maamar (Brünnhilde). Foto: Peter Litvai.
Stephan Bootz (Wotan), Yamina Maamar (Brünnhilde). Foto: Peter Litvai.
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Das Scheitern von Wotans Weltwissen – Wagners „Walküre“ wird im Landshuter Theaterzelt zu einem Triumph für das Landestheater Niederbayern

Publikationsdatum
Body

Ausweichquartier als Gewinn – so seltsam muss die Formel für Landshuts Theatersituation derzeit lauten. Das „Landestheater Niederbayern“, das auch Passau und Straubing bespielt, muss seit 2014 in Landshut, seinem Zentrum fürs Musiktheater, in einem ansprechenden, robust auf Jahre angelegten Theaterzelt spielen. Künstlerischer Gewinn: Über die verbesserte Bühnentechnik hinaus erlaubt vor allem der vergrößerte Orchestergraben nun Werke von Richard Strauss und Richard Wagner – erstmals für die ganze Region nun „Der Ring des Nibelungen“.

Premieren-Killer Corona: Nach der erfolgreichen „Rheingold“-Premiere 2019, reifte im Frühjahr 2020 die „Walküre“ bis zur Generalprobe – am nächsten Tag dann „shut-down“. Doch bis 2022 reifte auch der „Wagner-Bazillus“ im Ensemble weiter – wie Intendant-Regisseur Stefan Tilch die letzten sechs Neu-Probe-Wochen feststellen konnte: gewachsene Souveränität gegenüber den Anforderungen – Endergebnis: Ovationen.

Bravo-Rufe empfingen GMD Basil Coleman schon zu Beginn des 3. Aufzugs. Er bewies mit dem Orchester, dass die in den 1940er Jahren entstandene „Lessing-Fassung“ für rund 40 Musiker Vielfalt und Farbreichtum der Originalpartitur beeindruckend bewahrt. Aus dem nur wenig tiefer liegenden „Graben“ waren rechts Pauke, links das andere Schlagwerk ebenerdig zum Parkett ausgelagert. Die Grundschwierigkeit, dass in dem stark gewölbten Zelt-Raum die Mischung von Bühne und Orchester für das Parkett ganz anders als für die dahinter stark ansteigende Publikumstribüne ist, wird durch Mikro-Ports für die Sänger:innen ausgeglichen. Das wirkte in der Premiere noch nicht ausgewogen: wie so meist, schienen die Tontechniker „Angst vor Piano“ zu haben. Dennoch gelangen Coleman und seinen Musiker:innen die kurze Intimität der Liebesblicke zwischen Sieglinde und Siegmund. Die instrumentalen und vokalen Ausbrüche um den Lenz der weichenden „Winterstürme“, um Wotans Selbstekel, den Walküren-Ritt und Wotans Abschied besaßen dann Wagners Überwältigungsformat.

Ähnliches gilt für die Solisten-Riege. In einer bruchlosen Mischung aus Rollen-erfahrenen und -debütierenden Hausmitgliedern und Gästen gelang die Begegnung von Göttern und Menschen. Der mit einem Seil zuhause fixierten, herbsüßen Sieglinde von Peggy Steiner fetzte der jugendlich stämmige Siegmund von Aaron Cawley mit dem Seil auch das züchtige Kleid vom Leib; seine Wälse-Rufe besaßen Staatsopernformat; ihr „hehrstes Wunder“-Jubel für Brünnhilde glutete rotgolden. Dieser Lieblingstochter verlieh Yamina Maamar leuchtende „Hojotoho“-Rufe und fordernde Begnadigungsphrasen. Für den vermeintlich noch herrschenden Wotan brachte Stephan Bootz eine etwas zu jugendliche, dennoch dominierende Bühnenerscheinung und einen herrlich voluminösen Bassbariton mit – diese vier stellvertretend für die übrigen zehn, durchweg sehr guten Solisten umrissen.

Die „Ring“-Welt von Regisseur Tilch ist nur an zwei, drei Punkten zu kritisieren. Die pastos-visionäre Todverkündigung mit ihrer edlen Musik wurde durch das gelangweilte Getue Brünnhildes - à la „schon x-mal gemacht, immer dasselbe“ – bis zum unsäglichen „Okay“-Tippen an eine imaginäre Mütze für den Bruch von Wotans Befehl völlig verschenkt. Die in Wotans Welterzählung in einer brennenden Erd-Kugel aufscheinenden Projektionen über „Öko-Spinner u.a.“ sowie die von den Smartphones der Walküren großgemachten Twitter-Idiotien heutiger A-Social-Media: dramaturgisch unklar und völlig verzichtbar. Auch Hundings Gefolge mit grässlichen Wolfsmasken tigerte überzogen durch die Szene.

Doch ansonsten überzeugten Tilchs Regie, Karlheinz Beers Bühnenwelt und Ursula Beutlers Kostümvielfalt in einem Konzept. Während große Bühnen gerade mit viel pseudo-intellektuellem Geschwurbel rechtfertigen, jeden Aufzug von einem anderen Regie-Team realisieren zu lassen, setzt Landshut bislang auf die Erfindung „einer Welt“: Alles spielt innerhalb und mit beweglichen, bühnengroßen Bücherwänden – mit der Assoziation ‚Wotans angehäuftes Weltwissen, aus dem er dennoch nicht genug gelernt hat‘; sein Walhall folglich als Bibliothek mit zwei Stacheldrahtschleusen und Überwachungskameras. Prompt leere Bücherwände in Hundings Heim – und seiner Feuerstelle dienen Bücher als Brennstoff, ehe die Wälsungen alles in Brand setzen. Beide Menschen sind heutig kostümiert, Siegmund trägt ein kleines Wolfsfell um die Schultern, Vater Wotan ein großes als Stola; er, Fricka und die Walküren können einer SciFi-History-Martial-Arts-Welt entstiegen sein.

Brünnhildes Felsen ist ein in den Himmel ragendes Büchergeviert. Wotan umstellt es mit den Pfeil-Waffen der Walküren – ein ja aktuell höchst fragwürdiger Schutz. Dann lodert ein vom virtuell aufscheinenden Loge beschworener Feuer-Ring mit großem Lichtzauber zum fulminanten Abgang Wotans: seinen Mantel und Schlapphut hat er als Brünnhildes Schutz zurückgelassen; er selbst behält das Wolfsfell, zieht einen schwarzen Mantel samt Zylinder an – der wohl ein Menschenalter später bei Mime und Siegfried mit alten Geschichtchen herumzaubernde „Wanderer“… hier und zuvor: immer wieder, mit vielen Details, eine durchdachte, eingängig epische Bild-Erzähl-Brücken bauende Parabel von Anfang und Ende einer Welt.

Ein herausragender Beleg für die musikdramatische Leistungsfähigkeit und künstlerische Strahlkraft der deutschen Theaterlandschaft neben den großen, millionenschweren Staatsopern.

In Landshut am 29.04., 13. und 15.05., Karten-Tel. 0871/922 08 33. Im Oktober 2022 sollen „Siegfried“, im März 2023 „Götterdämmerung“ folgen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!