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Johannes Marsovszky. Foto: © Tom Schulze
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Der 17. Operettenworkshop des Deutschen Musikrats in Leipzig mit Rombergs „Neumond“

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In nur vier Tagen wurde beim 17. Operettenworkshop des Deutschen Musikrats vom 7. bis zum 10. Januar mit der Musikalischen Komödie eine konzertante deutsche Erstaufführung einstudiert: „Neumond“ (New Moon) von Sigmund Romberg ist die feinsinnige und musikalisch unwiderstehliche Entdeckung aus einem in Europa unbekannten Operettenkontinent, die viele Mittel der Musicals von Porter und Rodgers vorwegnimmt.

„Überspitzt gesagt: Das zweite Finale von ‚Gräfin Mariza‘ enthält größere Herausforderungen als ein langer Akt von Wagner.“ Das sagt Dirigent Gerrit Prießnitz, der sich oft der (neuen) Oper widmet und zugleich mit leuchtenden Augen von seinem Gastspiel mit der „Fledermaus“-Produktion der Wiener Volksoper in Tokyo oder dem von ihm geleiteten „Vogelhändler“ bei den Seefestspielen Mörbisch schwärmt. Weil Chefdirigent Stefan Klingele derzeit an der Königlichen Oper Stockholm die Premiere von Bernsteins „Candide“ vorbereitet, teilten sich diese beiden Spezialisten für zeitgenössische Oper die Leitung des 17. Operettenworkshops mit der Musikalischen Komödie Leipzig. Klingele suchte das Stück aus und koordinierte dessen Einrichtung. Prießnitz arbeitete mit drei hochbegabten Teilnehmern des Musikrat-Dirigentenforums vom 7. bis zum 10. Januar an einer nicht ganz einfachen Entdeckung, der sich mit herkömmlichen Kenntnissen des mitteleuropäischen Operetten-Repertoires kaum beikommen lässt. Künstlerische Errungenschaften aus der kurzen Blütezeit von Broadway-Operetten wie „Neumond“ (New Moon) betrachtete man später als spezifisch für Cole Porter und Richard Rodgers.

Die Teilnehmer des Operettenworkshops 2020: Johannes Marsovszky studierte bis 2018 an der Franz Liszt Musikakademie Budapest. Er trat als Dirigent vor allem in Ungarn auf, dem Schauplatz vieler Operetten und Heimat von Operettenkomponisten wie Emmerich Kálmán, Paul Abraham und Sigmund Romberg. Christoph Schäfer studierte in München, Wien und Regensburg neben Dirigieren auch Schulmusik. Der Gründer des StimmGold Vokalensemble war Assistent von Enoch zu Guttenberg, leitet das Junge Orchester des Akademischen Gesangvereins München und unterrichtet Chorleitung an der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg. Gabriel Venzago studierte in Stuttgart und München. Assistenzen führten ihn nach Luzern, Lüneburg und zu den Osterfestspielen Baden-Baden. Er ist seit Beginn der Spielzeit 2019/20 Erster Kapellmeister am Landestheater in Salzburg und war davor Kapellmeister am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin.

Beim ständigen Wechsel von Musik, gesprochenen Dialogen und den feinen Abstufungen dazwischen zeigt sich die wahre Operettenkompetenz: Unterhaltungsmusik als Trapez-Akt mit im Vergleich zum klassischen Standard-Repertoire oft erschwerten Bedingungen. Das üben die Teilnehmer des Operettenworkshops an unbekannten Werken, die bei ihrer Wiederentdeckung selbst Experten überraschen: Die von Klingele angeregte Aufführung kompletter Stücke in konzertanter oder halbszenischer Form beschert der Musikalischen Komödie zudem einen erfreulichen Prestigezuwachs. In den letzten Jahren wurden zwei Operetten von Erich Wolfgang Korngold auf CD eingespielt: „Lied der Liebe“ (nach Johann Strauß Sohn) und „Rosen aus Florida“ (nach der letzten unvollendeten Operette von Leo Fall).

Oft gibt es keine Dirigierpartitur und deshalb dient ein Klavierauszug oder Particell als Vorlage. Das Orchester kämpft mit (noch) fehlerhaftem Aufführungsmaterial, die Solisten mit den Dialogen oder einer neuen Übersetzung und zu den beiden Konzerten, die beim Operettenworkshop den abenteuerlichen vier Tagen von der ersten Orchester- bis zur Generalprobe folgen, gibt es in der Regel Ovationen. Denn natürlich sind Ensemble, Chor und Orchester der Musikalischen Komödie, eines der beiden einzigen deutschen Repertoiretheater für Operette und Musical in Deutschland, ein Kraftwerk an Erfahrung und Metier-Kenntnis. Was die jungen Workshop-Teilnehmer an solchen Sängern beobachten, können sie getrost an die internationalen Kollegen an den Theatern, die in der Regel über Rossini weitaus besser informiert sind als über Lehár, mit künstlerischer Rendite weitergeben.

Dieses Jahr war es noch etwas schwieriger für alle Beteiligten. Für die Spielzeit in der Ausweichspielstätte Westbad sollte das Repertoire einen möglichst maritimen Anspruch bekommen. Und deshalb kam Stefan Klingele, der immer auf der Suche nach den Operetten-Perlen am Wegesrand ist, auf „New Moon“. Die Broadway-Operette brachte es nach der Uraufführung (16. August 1927 Shubert Theatre, nach anderer Quelle am 19. September 1928 Imperial Theatre – New York) auf etwa 500 Vorstellungen, die Verfilmung mit Grace Moore und Lawrence Tibbett folgte 1931. Das Textbuch von Oscar Hammerstein II, Frank Mandel und Laurence Schwab wurde von Hauke Jensen übersetzt. Chefregisseur Cusch Jung führte durch die konzertante Einrichtung. Die tollen Nummernkomplexe nutzten Mathias Drechsler und der Chor der Musikalischen Komödie bravourös, Romanzen-König des Abends war der Gast-Tenor Julian Freibott vom Theater Erfurt.

Der den Idealen der Französischen Revolution Robert Mission verliebt sich unter fiktiver Identität in die steinreiche Marianne Beaunoir. Inzwischen manövriert sich Roberts Kumpel Alexander (Peter Kubik mit Herzensbrecher-Können) durch Konflikte mit seiner neuen Flamme Julie (kräftig: Anna Evans) und seiner bis zur Verschiffung nach Martinique verschollenen Angetrauten Clotilde (lebensklug: Angela Mehling). Christian Geltingers Zwischentexte und die Übersetzung treffen die unsentimentale Leichtigkeit des Stücks passgenau.

Unterschiede der Annäherung lassen sich bei der nach den Kriterien von Proportion, musikalischer Gewichtigkeit und Publikumswirksamkeit der etwa 30 Musiknummern unter den drei Jung-Dirigenten kaum ausmachen. Denn das Werk ist in ständigem Fluss durch die vielen melodramatischen Untermalungen der Dialoge. Romberg lieferte keine aufrauschenden Holzhammer-Wiederholungen und setzte dafür lieber über das ganze Werk verteilte Reminiszenzen. Deshalb wurde vor allem interessant, wie die Dirigenten mit unterschiedlichen Zeichengebungen zu analogen Resultaten kamen. Andreas Rainer (Captain), Michael Raschle (Beaunaire) und Milko Milev (Besace) vermieden Grobschlächtiges. Eine souveräne Leistung lieferte Jeffery Krueger (Robert Mission) und Nora Lentner als Millionenerbin konterte ihm ebenbürtig. Über 90 Jahre nach ihrem Stapellauf kam die Neumond endlich mit Grandezza nach Mitteleuropa.

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