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Anna Maria Kaufmann als Jenny in der Augsburger „Mahagonny“-Porudktion. Foto: A. T. Schaefer
Anna Maria Kaufmann als Jenny in der Augsburger „Mahagonny“-Porudktion. Foto: A. T. Schaefer
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Der Affe blieb ungekreuzigt: „Mahagonny“ und „Die Maßnahme“ beim Brecht-Festival in Augsburg

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Bertolt Brecht, dem „Stückeschreiber“, widmete sich das Augsburger Brecht-Festival diesmal unter dem Schwerpunkt-Thema Brecht und die Musik. Dabei standen immerhin zwei Werke auf dem Programm, in denen Musik eine große Rolle spielt: Die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit Musik von Kurt Weill und das umstrittene Lehrstück „Die Maßnahme“ mit Musik von Hanns Eisler.

Eigentlich eine spannende Konstellation, vor allem angesichts der Tatsache, dass 1931 die Berliner Erstaufführung der großen Mahagonny-Oper und die Uraufführung der Maßnahme fast parallel vorbereitet wurden. Doch Festivalregie und Augsburger Theater machten den Vergleich schwer: Die Oper, die schon Ende Januar im Großen Haus Premiere gefeiert hatte, stand während der Festivaltage nur zweimal auf dem Programm, das Lehrstück nur einmal in der Ersatzspielstätte im Textilmuseum – und das zeitgleich mit der Oper. So musste diese Bilanz warten, bis der Rezensent den Vorstellungsbesuch nachholen konnte.

Die Mahagonny-Aufführung sorgte schon vor der Premiere für Aufregung. Intendantin Juliane Votteler, die zugleich als Dramaturgin der Produktion fungierte, sah sich veranlasst, das von Regisseurin Tatjana Gürbaca und Ausstatter Stefan Heyne geplante Schlussbild zu untersagen, Gürbaca und Heyne reisten ab und lehnten es ab, für die Aufführung zu zeichnen. Gezeigt werden sollte anstelle des nunmehr konzertanten Finales eine ans Kreuz geschlagene Affenhaut, die für den in einem Affenkostüm hingerichteten Jimmy Mahoney stehen sollte. Zudem sollten am Hinrichtungskreuz mehrere Päpste aufmarschieren. Was nach einem handfesten Zensur-Skandal aussah, entpuppte sich nach Besuch der Vorstellung dann doch eher als künstlerische Notbremse. Frau Gürbaca hat zwar Recht damit, dass die Oper zahlreiche Verweise auf das Neue Testament enthält, aber die religiöse oder quasi-religiöse Dimension des Stückes wird in der Inszenierung nicht wirklich entfaltet.

Auch den Affenhäuten, die sich die Bewohner von Mahagonny nach dem Hurrikan überziehen und zur Gerichtsszene wieder ablegen, fehlt es an Plausibilität. Brecht und Weill meinten nicht, dass sich die Mahagonny-Leute in vorübergehendem Taumel wie Tiere aufführen oder sich selbst „zum Affen machen“, sondern sie sahen eine Gesellschaft, die sich in ihrem Alltag dem unbegrenzten Vergnügen und Konsum verschreibt und eben dadurch auf den Untergang zusteuert. Auf der Augsburger Bühne aber sind die harmlosen Mahagonny-Männer Kinderschänder, die einander eine kindliche Ballerina weiterreichen. Mit der optischen Pointe, dass sich die mahagonifarbene Holzvertäfelung des Zuschauerraums auf der Bühne fortsetzt, signalisiert die Inszenierung zwar Gesellschaftskritik, doch in dem, was sich auf der Bühne abspielt, vermag sich kein Publikum wiederzuerkennen. Personenführung, Choreographie, ja sogar die sängerische Diktion wirken auf weite Strecken belanglos. Eine wirkliche Aussage hat diese Inszenierung nicht. Nur das Orchester unter GMD Kaftan spielt wirklich gut, und man wundert sich, wie die Musiker die Spannung halten.

Dagegen gelang dem jungen Regisseur David Benjamin Brückel und dem erfahrenen Dirigenten Geoffrey Abbott mit Musikern des Augsburger Leopold-Mozart-Zentrums, dem Jungen Vokalensemble Schwaben (unter der Leitung von Andrea Huber) und den vier Darstellern Mathias Bleier, Malina Ebert, Rainer Piweh und Merten Schroedter auf die Beine. eine eindrucksvolle Aufführung der „Maßnahme“. Im nüchternen Saal des Textilmuseums entfaltete sich eine theatrale Versuchsanordnung ganz im Brecht`schen Sinne: Auf zwei Seiten des Saales das Publikum, auf der dritten der Chor, auf der vierten das (völlig ohne Streicher auskommende) Orchester, in der Mitte der Platz für die Darsteller, die immer wieder die Rollen vertauschen. Beachtlich war die musikalische Qualität der Aufführung, insbesondere die Durchsichtigkeit, Textverständlichkeit und Lockerheit des anspruchsvollen Chorparts.

Im Lehrstück selbst entwickelt sich eine durchaus ernsthafte und nachdenkliche Untersuchung der Frage, wie es zur „Maßnahme“, nämlich der Tötung eines kommunistischen Agitators durch seine eigenen Genossen, kommen konnte, und ob dieser Tod zu rechtfertigen ist. Brecht macht es Darstellern und Zuschauern nicht leicht. Gerne nimmt man dem jungen Genossen seine humanitären Impulse ab. Doch sein Umgang mit dem reichen Kaufmann, dessen Unterstützung er braucht, ist so undiplomatisch, dass man sich fragt, wie er politisch überhaupt irgendetwas bewegen will. Und so geht beim Zuschauer das Nachdenken hin und her bis zu der aussichtslosen Situation, in der der junge Genosse seinem eigenen Tod zustimmt. Wie so oft ist das tragische Ende kein unausweichliches Schicksal, sondern das Resultat selektiver Wahrnehmung und unbedachter Entscheidungen. Und das beargwöhnte kommunistische Szenario erweist sich als Exempel für die Problematik politischen Handelns überhaupt: Was ist die richtige Strategie? Wann muss und darf ich taktisch handeln, wann nach Überzeugung? Was sagt mein Gewissen? Wie viel Spielraum habe ich?

Die Tötung des jungen Genossen wird zwar so zum rational nachvollziehbare Akt. Dennoch bleibt sie ein Opfer, und Hanns Eislers Musik macht dies schon dadurch deutlich, dass sie auf den Eingangschor von Bachs Matthäuspassion anspielt. Sehr gescheit entfaltet Brückels Inszenierung diese Ambivalenz am Ende. Die vier Darsteller bringen die Schlussszene zweimal. Zunächst als quasi-liturgischen Akt: Die Gruppe spricht im Chor, und der junge Genosse artikuliert sein Bekenntnis zu den kommunistischen Idealen kommunistischen Partei wie ein verzweifeltes Vaterunser. Das zweite Mal als nüchternen Akt der Notwendigkeit: Die Gruppe spricht mit verteilten Rollen, und der junge Genosse trägt seine letzten Worte klar und gefasst vor. Vielleicht ist es möglich, diese Produktion im nächsten Jahr wieder zu beleben? Auch unter dem Festivalmotto Brecht und die Politik gäbe sie 2012 noch Stoff zum Diskutieren.

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