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Das schlaue Füchslein. Foto: Theater Liberec
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Der Kleinbürger überlebt: Janaceks „Das schlaue Füchslein“ im Theater Liberec (CZ)

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Langer Applaus am Ende und viel festlich gekleidetes Publikum bei der Premiere A von Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ (Příhody lišky Bystroušky) im Divadlo Františka Xavera Šaldy in Liberec. Der 1883 und damit nur zwei Jahre nach dem Nationaltheater Prag eröffnete Bau der Architekten Fellner & Helmer tendiert im überwiegend von den beiden Rängen bedeckten Parkett zu einer sehr offenen Akustik. Man spielt das große italienische, slawische und französische Repertoire überwiegend mit eigenem Ensemble. Durch die Regisseurin Linda Keprtová kommt etwas Bewegung in den bislang eher traditionellen Sichtweisen verpflichteten Inszenierungsstil des nordböhmischen Mehrspartentheaters. Die Neuproduktion überzeugte durch eine musikalisch und szenisch handfeste, dabei intensive Lesart der Oper über tierische Eigenschaften von Zwei- und Vierbeinern.

Um drei Generationen geht es in dieser szenischen Realisierung von „Das schlaue Füchslein“. Die Füchsin Schlaukopf (Bystrouška) rollt bei der Vorbereitung auf Paarungsbereitschaft und Paarung für den attraktiv-lässigen Fuchs den roten Flauschteppich aus und betätschelt liebevoll die Büsten des Komponisten Leoš Janáček und des kommunistischen tschechischen Kulturwissenschaftlers Zdeněk Nejedlý (1878-1962). Die erwachsenen Füchse, deren Kinderschar statt auf nur sechs gleich auf Schulklassenstärke anwächst, sind also auch politisch rot. Die Füchsin Bystrouška läuft dem bemerkenswert attraktiven Wilderer Harašta (Csaba Kotlár) nur vor den Colt-Lauf, weil sie ihren geliebten Fuchs vor der tätlichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, als der sich Harašta mit tschechischer Nationalflagge zu erkennen gibt, retten will.

Die politische Botschaft bleibt für Besucher aus dem nahen Ausland trotz deutscher Übertitel unklar, auch weil das Publikum Linda Keprtovás Inszenierung ohne erkennbare Beurteilung aufnimmt. Wie eine Kameralinse öffnet sich auf Michal Syrovýs Bühne hinten ein Bullauge, auf dem sich die Försterin oder Lívia Obručník Vénosová in der Titelpartie mit Fuchspelz auf den Schultern räkeln. Aber Requisiten und Elemente, die auf den Wald aus den Cartoons und Fortsetzungsgeschichten Rudolf Těsnohlídeks, die Janáček zu seiner 1924 in Brünn uraufgeführten Verherrlichung des Lebens steigerte, gibt es nicht. Immer wieder liest die revoltierende Füchsin – am Ende sogar in Karel Čapeks Komödie „Die Sache Makropulos“, welche Janáček zu seiner nächsten Oper inspirierte.

Zwischen Menschen und Tieren gibt es kaum Unterschiede. Am Ende stehen alle da wie am Beginn, haben nichts gelernt aus dem Wechsel der politischen Systeme und Generationen. Vielschichtig wurden von Linda Keprtová die auf ihre natürlichen Impulse orientierte Fixierung und Determiniertheit der Wesen durch Blicke und klare Bewegungen herausgearbeitet. Tomáš Kyptas Kostüme typisieren und entlarven die Figuren: Den sich mit Schnaps begießenden und ständig besoffenen Schulmeister (Dušan Růžička), den sich in einer kleinen Wanne besudelnden Pfarrer (Josef Kovačic) und den tumben kleinbürgerlichen Förster (Pavel Vančura), der sich mit seiner Frau (Jaroslava Schillerová) nur ratlos an die frühere Vertrautheit zwischen ihnen erinnert und von der aus der Musik jauchzenden Metaphysik nichts begreift.

Těsnohlídeks Wald- und Hofgeschichten werden zu einer knappen Bündelung historischer Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Keine Poesie, keine Melancholie, wenig existenzielle Ekstase. Es fehlt auch symbolische Gleichsetzung der Füchsin mit der Zigeunerin Terynka. In der ersten Hälfte des zweiten Aktes geht es um nichts anderes als den Umgang der Menschenmänner mit ihrer vorsätzlich abgeschmackt dargestellten Triebhaftigkeit. Dagegen mutet die echt tierische, zielorientierte und dabei anarchisch-zugewandte Lust der Füchsin und des mit rasanten Spitzentönen begeisternden Fuchses (Alžběta Vomáčková) an wie das Paradies auf Erden.

Wie beim Leipziger Gastspiel des Janáček-kompetenten Theaters Brünn im November mit „Jenufa“ überrascht angesichts der peniblen Detailgenauigkeit deutschsprachiger Theater im Umgang mit Janáček die fast sorglose Umsetzung von Deklamation und Orchestertransparenz: Es reihen sich intensiv ausgereizte Kantilenen. Das Orchester des Theaters Liberec lässt sich von Martin Doubravský befeuern, Janáčeks Klangidiom mündet in kantige Exaltation. Die Streicher halten die Klarheit ihrer gezackten Linienführung auch in getragenen Passagen. Dass die Bläser weder in der Intonation noch in den rhythmischen Akzenten sonderlich präzise agieren, ist offenbar weniger auf eine lässige Einstudierung als spezifisch traditionelle Annäherungsweisen zu verstehen. Die Titelpartie ist demzufolge keinem leichteren Sopran übertragen, sondern einer führenden Interpretin des Hauses im Belcanto-Fach: Lívia Obručník Vénosová spielt ihre Vorzüge in Stimme und Erscheinung dominierend aus, wodurch die Werbungsszene mit dem Fuchs zum Höhepunkt des Abends wird. Die vier Paare des Balletts (Choreographie: Ladislava Košíková) purzeln nicht als niedliche Waldtiere durch das Geschehen, sondern als Utopie jenes intimen Verschmelzens, von dem außer Fuchs und Füchsin alle um Lichtjahre entfernt sind. Hervorragend der Kinderchor des Theaters (Leitung: Silvie Pálková) mit vielen kleinen Soli und einem als Tanzkapelle ausstaffierten Trio. Bonus-Punkte unter den erwachsenen Tieren für Petra Vondrová als schlaffer Försterdackel, der aussieht wie ein ergrauter Spaniel.

Das fast ausverkaufte Auditorium liebt sein Musiktheater-Ensemble. Der Applaus ist von unnachgiebiger Ausdauer. Diese Premiere macht neugierig auf andere Produktionen des Hauses.

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