Der Traum von Freiheit – In Braunschweig beginnt die neue Intendanz und Spielzeit mit Verdis „Don Carlo“
Gespielt wird die fünfaktige italienische Fassung. Und auch wenn die um einen Akt kürzere französische Variante dieser von Verdi häufig bearbeiteten Oper oft bevorzugt wird, ist der erste Akt in Frankreich zumindest für das Verständnis der Liebesgeschichte zwischen Elisabeth von Valois und dem Thronerben von Spanien Don Carlo hilfreich.
Elisabeth (mit Strahlkraft und Leidenschaft: Ivi Karnezi) weiß zu Beginn noch nicht, dass der Bote, der ihr das Medaillon mit dem Bild ihres Bräutigams überreicht, selbst der abgebildete Don Carlo (standfest und mit Verve: Eduardo Aladrén) ist. Als sie es bemerkt, fällt sie aus allen Wolken. Aber das war’s dann auch schon mit Witz und Neckerei. Wenn die Kanonen donnern, ist dieser Traum von einer Liebesheirat schon wieder aus. Denn die Könige von Frankreich und Spanien haben beschlossen, dass eine Ehe der Prinzessin mit dem spanischen König selbst, dem neuen, gerade geschlossenen Bündnis, dienlicher ist, als eine mit dem Infanten. Elisabeth wird zwar noch der Form halber gefragt, ob sie einverstanden ist. Aber was soll sie schon machen, angesichts der Friedenssehnsucht des Volkes und des Willens der Herrscher?
Dieser Fontainebleau-Akt der italienischen Fassung von Verdis großformatigster Schiller-Oper erlaubt es zugleich, die spanischen Verhältnisse, in die Elisabeth gerät, als Kontrast zu einem vermeintlich freieren Leben (für Elisabeth) in Frankreich, noch düsterer zu malen. Andrea Moses hält sich in Braunschweig nicht an die Zeit, zu deren Porträt der Historiker Schiller den genialen Dramatiker in seinem „Don Karlos“ verführt hat. Aber diesen Gegensatz macht sie (über-)deutlich. Wobei kaum etwas von der spanischen Hofetikette übrig bleibt.
Die Kostüme, mit denen Adriana Braga Peretzki vor allem das weibliche Personal mehr ent- als verhüllt, flüchten nicht in die überstrapazierte Secondhand-Beliebigkeit, sondern sie schweben frei zwischen den Zeiten, verweisen mit kleinen, augenzwinkernden Zeichen sogar auf das Spanien Philipps II. Hier mal eine spanische Halskrause, da etwas historisch Aufgebauschtes in der knie- und schulterfreien Kleiderkreation für die Königin. Die ihren Kopf im Grace-Kelly-Look mit weißem Tuch und Sonnenbrille verhüllt. Der Clou ist die gewagt rote Haute-couture-Kreation ihrer Hofdame Gräfin von Aremberg, in dem die zur wandelnden Provokation der spanischen Sittenstrenge wird. Klar, dass Philipp sie bei der ersten Gelegenheit nach Hause zurückschickt.
Mit ihrem lasziven Aufzug und dem, was sich zwischen den Mönchen und den Hofdamen hinter den Zimmerpflanzen abspielt, wenn die Prinzessin Eboli ihr berühmtes Schleierlied (auch Nana Dzidziguri höchst verführerisch!) singt, nimmt Moses die historischen Klischees auf die Schippe. Ein wörtlich genommener „Lust“-Garten aus Zimmerpflanzen.
Zuspitzungen als Statement dafür, dass es auch in dieser Episode aus der spanisch, französisch flandrischen Geschichte um die Konstellationen und menschlichen Folgeschäden der Macht geht, die hier übermächtig jedes andere Gefühl dominieren. Im Falle von Elisabeth und Don Carlo verhindern sie es, bevor es richtig zu wachsen vermag. Aber auch im Falle der Zuneigung von König Philipp zu Marquis Posa wird es vom Großinquisitor brutal zerstört.
Die Schlüsselszene zwischen Philipp und Posa spielt sich auch bei Ernesto Morillo (der überzeugend Lebenserfahrung gestaltet) und Eugene Villanueva (mit gradliniger Eleganz und Entschiedenheit) nahezu von selbst. Aber auch die komplementäre Begegnung des Königs mit dem Großinquisitor (mit vitaler Wucht: Luciano Batinić) ist eine der stärksten Szenen des Abends.
Nachts zwischen den hohen Aktenregalen schickt der in eine Decke gehüllte König erst seine Geliebte (die Eboli) weg, sinniert dann darüber, dass ihn seine Frau nie geliebt habe, um schließlich mit dem Großinquisitor aneinander zu geraten. Da erreicht selbst die an sich karge Bühne atmosphärische Wucht, ja beschwört sogar die Finsternis des Escorial herauf. Samt eines kleinen Bosch-Altars. Es ist ein Coup, wenn der Großinquisitor als alter Mann erscheint, plötzlich seinen Stock und die Blindenbrille ablegt und mit purer körperlicher und vokaler Präsenz seine eigentliche Macht verkörpert und den König einschüchtert.
Ein subtiles Echo findet diese Szene am Ende beim Aufstand, den die Eboli zur Befreiung von Don Carlo angezettelt hat. Da hat man für einen Moment den Eindruck, dass es diesem König fast lieber wäre, wenn die Aufständischen Erfolg hätten. Auch in Braunschweig könnte die Oper mal wieder genauso gut „Philipp“ heißen.
Der Griff durch die Zeiten gelingt Moses auch bei der immer heiklen Autodafe-Szene. Da werden zerlumpte Gefangene einer Party-Gesellschaft von heute vorgeführt. Und die lässt jede Zivilisation fahren und kann plötzlich sehr gut mit den barbarischen Symbolen und Ritualen der Erniedrigung umgehen. Das Verteilen der Spitzhüte für die Ketzer (das Hutmodell mit dem auch der Ku-Klux-Klan oder die chinesischen Kulturrevolutionäre ihre Mordopfer ausstaffierten) wird zum Partygag. Und wie man Menschen auf die Knie zwingt und erniedrigt gehört offenbar auch zur sozialen DNA des Menschen. Solche leicht verfremdeten Bilder des Grauens verfehlen ihre Wirkung nicht.
Ebenso wenig wie die Musik, die vom neubestallten GMD Srba Dinić und dem Braunschweiger Staatsorchester mit Leidenschaft aus dem Graben beigesteuert wird.
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Warum darf sich in der
Warum darf sich in der Kulturszene eigentlich scheinbar jeder dazu aufschwingen eine ‘Premierenkritik’ zu verfassen (in diesem Fall nicht mal in irgendeiner Lokalpresse, die natürlich grundsätzlich wenig mit Musik zu tun hat sondern der ‘Neue Musik Zeitung, die ja eigentlich Kritiker von höherer Kompetenz haben sollte als das was hier nun erfolgt ist). Ein Opernkritiker, bei so einer Zeitung, die doch eigentlich ‘kompetent BERICHTEN UND BEWERTEN’ sollte (weil man ja international schon viel vergleichbares gesehen hätte/viel darüber weis und auf die Art Menschen, die nicht so viel darüber wissen, was vollkommen legitim ist, eine Stütze sein könnte…). Klartext: Ein derart inkompetenter Kritiker, erdreistet sich eine Kritik zu schreiben und entlarvt sich schon im zweiten Absatz, damit dass er keinen blassen Schimmer hat, welche Fassung dieses Werkes nun die ‘Französische’ und welches die ‘Italienische’ ist, bzw. über welche er da grade berichtet. Natürlich: Er war in Braunschweig in der Premiere und hat eine 5-aktige Don Carlo-fassung erlebt, die auf Italienisch gesungen wurde. Ist doch logisch, dass das DIE ‘5 aktige italienische ist’ und es natürlich eine ‘4 aktige französische’ gibt!! (Hat er mal von gehört) ! Leider komplett falsch rum!!! Dass in Braunschweig die (bzw EINE) 5aktige Mischfassung gespielt wurde, merkt er natürlich nicht. ‘Eine’ weil selbst der Fontainbleau-akt nicht annähernd komplett aufgeführt wurde, sondern nur ein um einen Großteil gekürzter Fontainbleau-akt. Und alles zusammen ‘auf italienisch gesungen’…muss also ‘die Italienische Fassung’ sein. Logisch oder? Und anstatt unwissenden Lesern zu helfen, enttarnt sich der ‘professionelle Kritiker einer Musikzeitung’ als ebenso unwissend. Aber ich lasse ihn mal seine Unwissenheit selbst recherchieren (was ja auch VOR dem Verfassen einer solchen Kritik hätte stattfinden können, bzw. hätte man ja auch jemanden hinschicken können, der nicht darüber googeln muss sondern, das Stück genug gut kennt um die spezielle Braunschweiger Premiere im Vergleich zu anderen Aufführungen dieses Werkes kompetent bewerten zu können. Einer, der darüber gelesen hat, wird dies grundsätzlich nicht können. Das dies im zweiten Absatz kein ‘Versehen’ ist, bekräftigt, der Beginn des vierten Absatzes nochmal. ‘Dieser Fontainbleau-akt der Italienischen Fassung’. So viel dazu…man schaue sich den Rest der Kritik an; außer eine ‘Nacherzählung und Beschreibung’ einzelner Szenen, findet man nicht viel statt. Der Autor der Kritik, wahrscheinlich im Bewusstsein der eigenen Inkompetenz, etwas ernsthaft kritisches (sowohl im positiv lobenden als auch im negativen) zu formulieren, beschränkt sich darauf, Kostüme zu beschreiben, die Handlung der Oper, die man ja nachlesen kann, nachzuerzählen und die Künstler nur, in dieser Nacherzählung, in Klammern, mit jeweils ein bis zwei adjektiven, die mehr die Charakterzüge der Rolle beschreiben als ‘wie der Künstler dieser gerecht wurde’, aufzuzählen. Natürlich, Herr Lange, weiß ja gar nicht, wovon er sonst schreiben sollte und ist sicherlich verpflichtet, eine Kritik abzuliefern und orientiert sich an anderen Kritiken in der Brange, von denen es ja leider eine Mehrheit gibt, die gleichermaßen von Inkompetenz zeugen und sich aufs nacherzählen der Habdlung und Beschreibung der Optik beschränken. Natürlich wird das ganze dann immer mit dramaturgischen pseudoinzerpretationen aufgefüllt, die aber eigentlich auch eher Handlung sind, als Interpretation. So sucht er sich im Programmheft die Äußerungen des Regieteams zusammen und packt die, in seine Nacherzählung. Mein Kommentar dazu: Peinlich!!! Und das trifft leider auf die meisten Kritiker Klassischer Musik zu! Im Land der Dichter und Denker, welches ‘Das Land Schillers und Goethes ist’. So wird mit dem Kulturellen Erbe umgegangen. Im 21.Jahrhundert angekommen, sollten wir uns in diesem Land schnell wieder unserer Kultur, dem Erbe daraus und der ‘Verantwortung’ bewusst werden, diese zu erhalten und zu lehren damit diese nicht nur zur Bildung einiger weniger gehört sondern aller Deutschen. Denn Kompetenzen im Umgang mit Werken wie Schillers Don Karlos (Verdis Don Carlo) gehören zur allgemeinsten Allgemeinbildung und das eigentlich eines jeden Menschen in einer Demokratie des 21.Jahrhunderts, nicht nur zubder eines Kritikers. Aber wenn selbst der Kritiker/der Experte fast nicht weißwovon er redet…und jeder beende diese Satz nun für sich selbst. Nicht zu vergessen, die Musikalische Seite eines solchen Werkes, welche hier am Emde allein durch das Wort ‘leidenschaftlich’ angehandelt wird. Das Zeugt auch von Kompetenz und musikalisch geschulten Ohren. Oder auch nicht.