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Tannhäuser für Kinder bei den Bayreuther Festspielen. Foto: Bayreuther Festspiele/Jörg Schulze
Tannhäuser für Kinder bei den Bayreuther Festspielen. Foto: Bayreuther Festspiele/Jörg Schulze
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Der verbotene Ort: „Tannhäuser – für Kinder“ als Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen

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Bereits vor sieben Jahren gab es im Rahmen der alljährlichen Oper „Wagner für Kinder“ schon einmal eine Version des „Tannhäuser“. Damals war die Inszenierung in einem Internat angesiedelt, aber als ein hohes Lied auf die wahre Freundschaft und ohne Sängerkrieg ging Wagners Handlung kaum auf. Die neue Fassung, für die Katharina Wagner gemeinsam mit Markus Latsch verantwortlich zeichnet, vermag nunmehr voll zu überzeugen, auch ohne Chor.

Schließlich erleben Kinder Sex heute schon in Vorabendserien, und so erzählt auch der junge Tannhäuser seinen Freunden durchaus freimütig, wie gerne er mit Venus herumknutscht. Zu den verbotenen Treffen führt eine abgesperrte Brücke einer Chemieabwasserstelle mit toten Fischen und seltsam gefärbten Steinen, die zu betreten, streng verboten ist. Hierhin hatte sich Tannhäuser nach einem Streit mit seinen Freunden zurückgezogen. Es gibt in dieser Fassung keinen Papst und – trotz des Ausrufs von Tannhäuser, „Mein Heil ruht in Maria!“, keine Marienstatue, sondern nur die „Alten“, einen stummen, Zeitung lesenden Mann und eine stumme Frau auf einer Parkbank als Autoritäten. 

Ausstatterin Jule Saworski hat als Bühnenraum die Längsseite der Probebühne IV zu einer Landschaft mit Fluss, einer Brücke zum verbotenen Ort und kantiger Stufenlandschaft gestaltet. Darauf entwickelt Regisseurin Zsófia Geréb ein kurzweilig-intensives Spiel der in Kinderrollen schlüpfenden Gesangssolisten. 

Die musikalische Bearbeitung, wieder von Marko Zdralek, beginnt mit dem Venusberg-Abschnitt des Vorspiels und springt dann auf Venus’ ersten Einsatz, dem als gesprochener Satz die Frage folgt: „Tannhäuser, was ist los mit dir?“ Der singt eine Strophe seines Venus-Preisgesanges, malt mit Kreide noch „Tani war da“ an die Wand, gesteht Venus aber dann schweren Herzens, dass es ihm bei ihr langweilig geworden ist, worauf diese musikalisch wieder einsetzt mit „Zieh hin, Wahnsinniger!“. Nach Tannhäusers Ausruf „Maria!“ setzen – unter Eliminierung des Hirten – direkt die Jagdfanfaren ein, von Tannhäuser kommentiert mit: „Die Musik kenne ich doch schon, das sind bestimmt meine Freunde!“. Seine Kommentare, teils melodramatisch, teils die Musik unterbrechend, helfen der weiteren kindgerechten Handlungsverkürzung: „Das war ja klar, der [Landgraf] Hermann fragt wieder“ und die Ausrede, „ich werde euch das später erzählen!“ Die männliche Wartburg-Gesellschaft ist auf vier männliche Personen reduziert, Wolfram, Walther, Biterolf und Hermann. Die erinnern den abtrünnigen Freund, „Sängerkriege waren cool“, sowie an seine Freundin Elisabeth, worauf Tannhäuser wieder singend einsetzt „Elisabeth! O Macht des Himmels … Zu ihr!“.

Elisabeth malt Blümchen an die schwarze Rückwand hinter dem Orchester und befragt Tannhäuser ebenfalls, wo er so lange gewesen sei. Das löst dessen Reflexionen in verschiedenen Spots aus, während seine Freunde aus Pappe Helme und Instrumente basteln. Hermann erklärt, „Ich spiele immer den Landgrafen und ich habe mir extra einen langen Bart angeklebt“, was angesichts des stets Bart tragenden Bassisten Lacher auslöst. Er gibt das Motto „Liebe“ für einen Wettbewerb aus und bittet die Zuschauer, ihm einen möglichen Hauptpreis vozuschlagen; „Ein Eis!“ tönt es zaghaft von kindlichen Lippen. Dann ist das junge Publikum gefordert, als Landgraf Hermanns „Edlen meiner Lande“ mitzuspielen, wofür beim rein orchestral vorgetragenen Einzug der Gäste Papierkronen verteilt werden: „Liebe Edelleute, schön dass ihr wieder hier seid!“ Und wie im Kasperletheater vielfältig erprobt, wird auf bestätigende „Ja!“-Rufe gesetzt. Aber es gibt auch frechere Apercus, etwa wenn der Landgraf vorstellt: „Walther von der Vogelweide“, und der kommentiert: „sonst sagt er immer Vogelscheiße“, worauf der Landgraf kontert: „Weil du immer so aussiehst!“

Mit dem Publikum wird Applaus, Trampeln und Bravorufen geübt. Die Auslosung der Reihenfolge der Vorträge erfolgt per Licht-Roulette, welches jeweils von Elisabeth gestoppt wird. Wie in der Dresdener Fassung der Oper folgt auf den hier gekürzten Begrüßungsgesang von Wolfram das Lied des Walther von der Vogelweide. Dem schließt sich sogleich Biterolf an und – dann erst als erster Einsatz Tannhäusers im Sängerkrieg – dessen Lobgesang auf Venus. Diesen begründet er als letzte Möglichkeit, um durch einen extremen Beitrag den „Contest“ und Elisabeth doch noch gewinnen zu können. Seine vier Freunde wollen mit Stücken auf ihn einschlagen, aber Elisabeth gebietet Einhalt und begründet im Dialog: „Ihr tut so, als ob niemand von euch dort spielen wollte!“ Hermann hat als Lösung: „Wir müssen mit den Erwachsenen reden, Tannhäuser du musst zu dem alten Mann gehen und er wird entscheiden, was mit dir passieren soll.“ Dann fährt er singend fort, „Ein furchtbares Verbrechen ward begangen […]“. Dass Tannhäuser seine Gedanken laut ausspricht („Jetzt ist es aber gut!“) gemahnt an die in Peter Sellars’ „Tannhäuser“-Inszenierung in Chicago in roter Farbe auf die Übertitelungsanlage projizierten Subtexte Tannhäusers. 

Pantomimisch erfolgt zum orchestral vorgetragenen Pilgerchor das stumme Gespräch Tannhäusers mit dem alten Mann, der ihn weggeschickt, – dazu melodramatisch ein Dialog zwischen Elisabeth und Wolfram und Elisabeths Entschluss, „Jetzt gehe ich zu der alten Frau, sie muss Tannhäuser helfen!“ Aber sie fleht die ältere Dame auf der Bank dann doch singend als „allmächt’ge Jungfrau“ an. Wie ihr Gebet, so ist auch Tannhäusers Rom-Erzählung stark verkürzt: „Da sah ich ihn, durch den sich Gott verkündet“, sowie den Spruch des Papstes, worauf Walther kontert, „Was heißt’n das jetzt?“.

Elisabeth unterbricht die Runde: „Ich hab’ mit der alten Frau gesprochen, sie verzeiht dir: wir dürfen wieder mit einander spielen.“ Zum orchestralen Erlösungsschluss agieren die Freunde mit Ball und Angelruten, gemeinsam mit Elisabeth, die in einem Apart gestanden hatte, sie wünsche sich, dass Tannhäuser sie heiratet. Mit solchem Happy-end ist in die sonst tragisch endende Handlung als Oper für Kinder in wenig mehr als 60 Minuten erzählt. 

Das bedingt auch, dass diese Produktion zweimal am Tag gespielt werden kann. Auf 30 Instrumente – inklusive Harfe – reduziert, erweckt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) im kleinen Raum den Eindruck eines vollen Orchesterapparats, von Boris Schäfer souverän geleitet. Die farbenfreudigen, heutigen Kostüme wurden wieder von Schulkindern gestaltet, diesmal von Münchner Schulen, betreut von Studierenden des Studiengangs Maskenbild der Hochschule für Musik und Theater München /Theaterakademie August Everding. Die Solisten beweisen Bayreuth-Niveau, allen voran der Tenor Hans-Georg Priese in der Titelpartie und Jukka Rasilainen als Landgraf, wie auch Kai Stiefermann als Wolfram (mit Brille als köstliche Parodie auf den Festspielhaus-Opernführer Sven Friedrich), Stefan Heibach als Walther und Raimund Nolte als Biterolf. Am Nachmittag der vierten Aufführung etwas angestrengt klangen hingegen Stephanie Houtzeel als Venus und Caroline Wenborne als Elisbabeth.

Das gut eingespielte Ensemble  trägt diese Fassung mit großem Selbstverständnis. Es erntete lang anhaltenden Applaus des jungen Publikums (bis zu 15 Jahren) und der erwachsenen Begleiter, auch wenn das gedrängt sitzende Auditorium nicht – wie am Premierentag – eine Zugabe erzwingen konnte.

Weitere Termine 30., 31. Juli, 1., 2. und 4. August 2017.

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