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„Idomeneo“ In Bremen: Luis Olivares Sandoval in der Titelpartie und der Opernchor. Foto: Jörg Landsberg
„Idomeneo“ In Bremen: Luis Olivares Sandoval in der Titelpartie und der Opernchor. Foto: Jörg Landsberg
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Die Abwahl der Götter: Mozarts „Idomeneo“ in einer Inszenierung von Kay Kuntze am Theater Bremen

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Was für eine Exposition! In wenigen Strichen legt Wolfgang Amadeus Mozart in seinem 1781 in München uraufgeführten „Idomeneo“ eine Welt der menschlichen Emotionen bloß, die von vornherein eine vordergründige Haupt- und Staatsaktion der in mythologischer Antike spielenden Geschichte vollkommen verlässt. Die von den Griechen gefangene trojanische Prinzesson Ilia liebt Idamante, den Sohn des Besetzerkönigs Idomeneo. Und der Regisseur Kay Kuntze interessiert sich nicht für die Aktualisierung der Geschichte selbst als vielmehr für die psychische Absolutheit der Gefühle – und wird damit natürlich extrem aktuell.

Es gibt kein historisches Bühnenbild (was allerdings schon viele Jahre Aufführungstradition für Idomeneo ist), sondern die auf einem verschiebbaren Quader gestaltenden Lichtprojekionen von der Bremer Firma „Urbanscreen“, die ansonsten Beleuchtungskünste an öffentlichen Gebäuden zelebrieren: „Urbanscreen“ stand im Werbe-Focus ganz vorn, brachte aber nicht das Erwartete, vielleicht Übererwartete. Die Wellenprojektionen zu „Fuor del mar“ der Idomeneo-Arie oder das wilde Spotgezappele zu Elektras innerer Verzweiflung sagt nichts aus, schön hingegen waren viele Licht- und Farbenintensitäten.

Die von Mozart selbst so geliebte Musik, die er für das damals wohl beste Orchester der Welt, die Mannheiner, schrieb, gibt Kuntze recht: Mit ihr ist Mozart weit in den psychischen Bereich seiner Personen vorgedrungen. Liebe bei Ilia: Nadine Lehner brauchte etwas Zeit, bis Mozartglück aufkam. Verzweiflung bei Idamante: großartig musikalisch wie szenisch aufgehoben bei Nadia Stefanoff, pathologische Hilflosigkeit bei dem ansonsten erfolgs- und mordgewohnten gewohnten Idomeneo, der in den unlösbaren Konflikt gerät, seinen Sohn Neptun opfern zu müssen: zufriedenstellend Luis Olivares Sandoval. Liebe, Ehrgeiz und Todesbereitschaft bei Elektra, die an Idamante nicht herankommt: Patricia Andress mit unschlagbarer Eitelkeit und wunderbarem Gesang.

Gleichwohl wird die politische Kerngeschichte – Besetzung und Unterdrückung - in aller Deutlichkeit erzählt und gipfelt in einem wunderbaren beleuchteten Schlussbild, wenn das neue Paar Ilia-Idamante vom Volk auf die Schultern gehoben wird. Dabei gelingen Kuntze große Bilder: wenn der Gran Sacerdote, der Idomeneo zum Vollzug des Opfers zwingen will, keine eigene Rolle, sondern die verinnerlichte Gewissensinstanz Idomeneos ist: als schwarze Gestalt ist er als „alter ego“ immer hinter dem König und damit seine Verdoppelung (Christian Andreas Engelhardt).

1780 glaubt Mozart nicht mehr an die Instanz der Götter: Das Orakel, das das Opfer aufhebt und die Herrschaft von Ilia und Idamante ankündigt, ist hier ein Knabe, der mit einem herrlichen Wellblechgeraschel hereinstürmt und sich ergreifend gegen die Posaunen durchzusetzen versucht: dies die vielleicht schönste und ergreifendste Idee der Inszenierung. Die Griechin Elektra, die Fremde auf Kreta, ist eine Karrikatur ihrer „seria“-Gefühle und so darf sie auch am Ende – wahnsinnig geworden – mit sich raufenden Haaren herumrasen. Diese Art von ironischer Brechung hat Kuntze vielfach: zwei eigentlich schreckliche Szenen sind, wenn Idamante mit Elektra vom Vater zur Abfahrt gezwungen wird oder wenn Idamante und Ilia sich nacheinander auf das Opferpodest legen. Kuntze provoziert ein kleines Schmunzeln und macht das mit großer Intelligenz und Feinheit. Sehr schön sind die Kostüme von Christa Beland in ihrer differenzierenden Farbigkeit.

Dass diese Aufführung so ovationenträchtig funktionieren konnte, hängt auch mit der musikalischen Umsetzung durch die Bremer Philharmoniker zusammen. Seit Nicolaus Harnoncourt 1980 „Idomeneo“ als eine sensationelle Entdeckung präsentierte, sind da musikalisch Maßstäbe gesetzt. Der Dirigent Markus Poschner hatte nicht nur sinnvoll gekürzt – was natürlich bei der wunderbaren Musik immer schade ist, dramaturgisch aber überzeugte - , sondern entfachte mit zum Teil alten Instrumenten in den Bläsern - geradezu loderndes dramatisches Feuer und krassen Mut zur Sprödigkeit, Herbheit, Härte und Farbigkeit dieser einzigartigen Partitur, so weit das mit einem traditionellen sinfonischen Orchester möglich ist („So hab ich das Orchester noch nie gehört!“, meinte eine Zuschauerin).

Idomeneo ist Mozarts größte Choroper, und auch hier blieben neben der musikalisch homogenen und klangschönen Leistung von Daniel Mayr kaum Wünsche offen, nur der, dass die Chöre etwas mehr Inszenierungsprofil vertragen hätten.

Weitere Aufführungen: 7.4.,9.4.,12.4.,6.5.,15.5.,18.5. und 29.5. 2011 im Theater am Goetheplatz

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