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Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Foto: ARD
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Die Früchte langer, kontinuierlicher Arbeit: Peter Eötvös dirigiert das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart

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Peter Eötvös dirigiert mit metrisch ruhigem Atem, die Bewegungsimpulse der Musik mit großen, rotierenden oder vorwärtsschiebenden Gesten einfordernd. Konzentriert folgt das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (RSO) in seinem jüngsten Abokonzert im Stuttgarter Beethovensaal dem gestalterischen Weg des Ungarn, der es als Komponist wie als Dirigent auf geniale Weise versteht, strukturelle Komplexität und Klangsinnlichkeit gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen. Auf dem Programm standen eigene Werke von Eötvös sowie Orchesterstücke seines Landmannes Béla Bartók.

Ob im großbesetzten Konzert für zwei Klaviere und Orchester von 2007 oder im Kammerorchesterstück „Levitation“ für zwei Klarinetten, Streicher und Akkordeon von 2008: Es ist die ungeheure Vielfalt, gebändigt durch das schöpferische Kalkül, mit der der Komponist Eötvös sein Publikum in einen regelrechten Hörsog zieht – genauer: die Gleichzeitigkeit gegenläufiger Bewegungen, divergierender Gesten, verschachtelter Rhythmen, die sich auf magische Weise doch zu einem irisierenden Klangkosmos zusammenfügen. Maschinell ratternd und manisch-virtuos ist der Gestus des Doppel-Soloparts des fünfsätzigen Klavierkonzerts. Die beiden Pianisten Andreas Grau und Götz Schumacher, die das Werk einst auch uraufgeführt haben, agierten präzise wie ein Uhrwerk, mit überragender Geläufigkeit und perfekt korrespondierend. Hier wie im Klarinettenkonzert wirkten die Solistenduos klanglich wie siamesische Zwillinge, als handele es sich um ein einziges, aber zweistimmiges Instrument.

Die Klarinettisten Dirk Altmann und Sebastian Manz dagegen sorgten mit warmem, dynamisch äußerst flexiblem Ton dafür, dass der Titel „Levitation“ plastisch hörbar wurde, beschreibt er doch das Phänomen, Menschen oder Gegenstände auf unerklärliche Weise zum Schweben zu bringen. In beiden Konzerten Eötvösʼ sind die Solisten in einen vielstimmigen, komplex kommunizierenden Kosmos eingebunden, den das RSO hier wie dort farbig, äußerst transparent und in all seinen rhythmischen Raffinessen zum Sprechen brachte − eine Sternstunde der Neuen Musik.

Peter Eötvösʼ kompositorische Handschrift übertrug sich dann auf geheimnisvolle Weise auch auf sein Dirigat der Werke Bartóks. Viel von dem, was in den eigenen Werken des 68-Jährigen hörbar wird, schien auch bei Bartók deutlicher formuliert auf als üblich: die pralle Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Gesten, die schillernde, vertrackte Rhythmik. Bartóks Tanz-Suite von 1923 konnte sich auf diese Weise in ihrer ganzen finsteren, martialischen Kraft und Doppelbödigkeit entfalten, die sie aus den Impulsen volksmusikalischer Tänze und Lieder erwachsen lässt. Und die lyrischen melancholisch-süßen Gedanken, die plötzlich im wilden, rohen Stampfen oder über Abgründen auftauchten, offenbarten utopische Momente. Ebenso modern wirkte Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, von der man an diesem Abend kaum glauben mochte, dass sie bereits 75 Jahre alt ist.

Dieses Ereignis fand vor gut gefülltem Haus statt. Das ist dem RSO heute möglich, weil es über viele Jahre hinweg Aufbauarbeit geleistet hat und mit mutigen Programmen und interpretatorischer Weltklasse sein Publikum an Zeitgenössisches „gewöhnt“ hat. Nicht nur deshalb können Stuttgart und der Rest der Musikwelt auf dieses Orchester nicht verzichten.

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