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Foto: Bernd Uhlig
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Die Rollen der E. M. im Wandel der Zeiten

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„gelebt doch nur … ein Bühnenleben“ Janáceks „Die Sache Makropulos“ an der Deutschen Oper Berlin. Peter P. Pachl sieht und hört unter anderem eine unerhörte Evelyn Herlitzius.

Dem Dichter Karel Čapek verdankt die Welt nicht nur die (literarische) Erfindung des Roboters (in seinem Drama R.U.R.). Seine Romane werden heute noch gelesen, etwa „Krakatit“ oder „Der Krieg der Molche“, den Pavel Kohout dramatisiert hat, und sein hellsichtiges Stück „Die weiße Krankheit“ wird bisweilen heute noch gespielt. Insbesondere überlebt hat seine Komödie „Die Sache Makropulos“ – dank der Vertonung durch Leos Janácek.

Der tschechische Komponist hat das Bühnenwerk, in welchem der Amtsschimmel sein Wesen treibt, zumal ein durch die Jahrhunderte währender Erbschaftsprozess durch eine über 300 Jahre lebende Mitbetroffene eine seltsame Wendung nimmt, humanisiert. Janácek hat dem kalten Witz der Komödie mit seiner 1926 in Brünn uraufgeführten Oper tragischen Tiefgang entgegengesetzt und zusätzliche Wärme verliehen.

Dem Muster von Franz Schrekers Oper „Christophorus“ folgend, die sich als Untertitel „Vision einer Oper“ nennt, macht die Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin aus der komplexen (zumindest im ersten Akt arg verworrenen) Handlung, ein Spiel im Spiel. Eine derartige Vorgehensweise legt die sich um Kunstausübung drehende Oper, deren Mittelakt rund um die gefeierte Sängerin Emilia Marty ohnehin nach einer Theatervorstellung im Bühnenraum eines Theaters spielt, durchaus nahe.

David Hermanns Regie dreht die Geschichte noch um einige Windungen weiter. Wie bei jedem guten Krimi, der diese Oper ja auch ist, löst sich der Coup erst spät, im dritten Akt ein.

Im ersten Akt hat Ausstatter Christoph Hetzer den Raum vertikal geteilt in einen barocken Teil und in ein kaltes Büro des 20. Jahrhundert. In unterschiedlicher Kostümierung, links historisch und rechts neuzeitlich gewandet, laufen partiell gleiche Situationen ab, synchron bebildert. Teilweise ebenfalls synchron bewegen die Doubles ihre Lippen mit denen der Sängerdarsteller – in zwei verschiedenen Jahrhunderten ist die Situation dieselbe geblieben.

Einmal öffnet sich auch auf der rechten, heutigen Bühnenseite magisch eine Wand und gibt dahinter das Gerümpel vergangener Zeiten Preis. Im dritten Akt öffnet sich jene Wand erneut, nun lagert dort auch die Leiche des Anwaltssohns: Janek hat sich in unglücklicher Liebe zur Sängerin Emilia Marty, die sich eben als Gegengabe für das griechische Rezept der Lebensverlängerung Janeks Vater hingegeben hat, umgebracht. Nun erkennt der Zuschauer: der Blick in diesen Nebenraum ist nicht als Magie zu deuten – es handelt sich dabei um den Fundus des Theaters. Denn im dritten Akt ist der Bühnenraum mit dem geteilten Bühnenbild, auf den wir zu Beginn der Opernhandlung geblickt hatten, in der Mitte des Raums erneut errichtet. Damit sind wir nun bewusst erneut in jenem Theater angekommen, in welchem wir uns, zunächst unbewusst, von Anfang an befunden haben. Dabei handelt es sich um ein durchaus zwielichtiges Theater, wie die zu Massage und Liebesdiensten nutzbaren Liegen diesseits des weißen Bühnenvorhang zeigen. (Und in der Tat diente der Raum des Theaters durch die Jahrhundert bekanntlich durchaus nicht nur dazu, dem Inhalt einer Spielvorlage zu folgen oder schöne Stimmen zu erleben, wie u. A. die entsprechend ausgestatteten Logen älterer Theater beweisen.)

Zu Recht wurden am Premierenabend Dirigent und Orchester bereits nach der Pause, vor dem dritten Akt, emphatisch bejubelt: Donald Runnicles hat die klangvollen Schönheiten dieser Partitur erstrahlen lassen und mit Betonung von deren repetierender Motorik den Bogen geschlagen zur amerikanischen Minimal Music.

Eine Aufführung dieser Oper steht und fällt mit der Besetzung der 300-jährigen Schönheit E. M.. Die selbst noch sehr jugendliche, aber über ein enormes dramatisches Rollenrepertoire verfügende Evelyn Herlitzius reiht sich triumphal ein in die Reihe prominenter Verkörperungen der jung gebliebenen Tochter des Leibarztes von Kaiser Rudolf II, an der das Unsterblichkeitselixier ausprobiert worden war. Die Partie, in tschechischer Originalsprache, gestaltet die Herlitzius mit erlesener vokaler Schönheit und einem überbordend intensiven Spiel, welches im Betrachter auch jenes „Mitleid“ mit der Zeitzeugin vergangener Saecularien evoziert, welches der Komponist, nach eigener Aussage, mit dieser Figur hatte. Diese Sopranistin vermag die Leere, die fatigierende Redundanz ihrer Liebesbeziehungen, nachdem die einst geliebten Partner schon lange tot sind, deutlich zu machen. Das passiert in der Berliner Neuinszenierung im Wechselspiel mit fünf (bis sechs) Doubles der E. M., welche zunächst in Unterwäsche, dann in Bühnenkostümen unterschiedlicher Jahrhunderte, teils parallel geführt werden, teils als körpernahes, vertikales Spiegelbild mit der Hauptheldin agieren.

Mit deren vorgezogenem Auftritt, in zerschlissenem Kostüm, beginnt der Abend während des kurzen Vorspiels vor einem weißen Zwischenvorhang, auf dem die Initialien „E M“ als Projektion in rascher Folge ergänzt werden zu „Elina Makropulos“, „Eugenia Montez“, „Elsa Müller“, „Ellian MacGregor“, „Ekaterina Myschkina“, „Emilia Marty“ sowie der Gleichung „EM = me“.

Neben dieser Partie, noch dazu in einer Idealbesetzung, drohen alle weiteren Rollen zu Handlangern zu werden. Um so erfreulicher, welche Profile die SängerdarstellerInnen dieses Abends entwickelten: Jana Kurucová, mit leuchtendem Sopran als junge Sängerin Krista, die sich von ihrer bewunderten Kollegin Emilia Marty ein Autogramm geben lässt, dessen Initialen nach dem Selbstmord von Kristas jungem Freund Janek (Gideon Poppe) die finalen Enthüllungen der Sache Makropulos ins Rollen bringen. Treffliche Leistungen bieten auch Seth Carico als sexhungriger Anwalt Dr. Kolenatý, Paul Kaufmann als sein Kanzleivorsteher Vítek, Ladislav Elgr als Klient Albert Gregor, im Rechtsstreit mit Derek Welton als Jaroslav Prus, einem direkten Nachkommen von E. M.s erstem Geliebten. Köstlich Robert Gambill als alter Harlekin Hauk-Šendorf, der mit Eugenia Montez vor fünfzig Jahren ein Verhältnis hatte. Und sogar die historisierend kostümierten Bediensteten Rebecca Raffell, Adriana Ferfezka und Andrew Harris bleiben als Typen im Gedächtnis.

Am Ende sterben die Doubles synchron, indem sie das Rezept aufessen. Aber Emilia Marty überlebt als Bühnenfigur auf ihrer Bühne (auf der Bühne) – denn, mit Schrekers „Vision einer Oper“ zu sprechen, hat sie „gelebt doch nur … ein Bühnenleben“.

Am Ende einer überaus gelungenen Neuinszenierung begeisterter Applaus, in den sich beim Verneigen des Regieteams auch einige obligatorische Buhrufe mischten.

  • Weitere Aufführungen: 25., 28. Februar, 27., 30. April 2016

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